Halima Krausen, der deutschsprachigen muslimischen Gemeinde, spricht über die Suche nach Gott und die Rolle der Frauen im Islam.

Der rote Faden zieht sich durch die Stadt: Er verbindet Menschen, die einander schätzen, bewundern, überraschend finden. Sie entscheiden, an wen sie ihn weiterreichen: an andere, die hier arbeiten, die Besonderes für Hamburg leisten, die als Vorbilder gelten. Den Anfang machte Altbürgermeister Henning Voscherau. Heute in der 23. Folge: Halima Krausen

Halima Krausen hat sich früh entschieden, hart und konsequent. "Mit 13 Jahren", so erzählt die Imamin der deutschsprachigen islamischen Gemeinde in Hamburg und Norddeutschland, "wusste ich, dass ich per definitionem Moslem bin. Und hab die Konsequenzen daraus gezogen." Was ist in einer Jugendlichen, Jahrgang 1949, vorgegangen, bis sie diesen Weg einschlägt und sich durch nichts und niemanden davon abbringen lässt?

Ihr Elternhaus ist evangelisch mütterlicherseits, der Vater der Mutter ist Pastor, war Mitglied der bekennenden Kirche während der Nazizeit, zu ihm hat sie "'nen ganz engen Draht", die väterliche Seite ist katholisch, "und damals war noch nix mit Ökumene". Bald merkt sie, "dass da etwas nicht in Ordnung ist". Das Kind kann mit vier Jahren lesen, liest mit acht die Bibel von vorn bis hinten durch. Hört auch das Raunen über die Hitler-Jahre und stößt auf "gefrorenes Schweigen, eine Wand. Da kam man nicht ran. Ich hab also die Ohren gespitzt, keine Fragen mehr gestellt - mit Fragen verstärkt man nur die Wand. So hab ich das eine oder andere mitgekriegt und weiter recherchiert." Die Ergebnisse, im Alleingang gefunden, schockieren sie.

Sie will den Streit der Konfessionen nicht auf Gott schieben und beschließt: Das muss an den Menschen liegen. Sie liest viel über Religion und Religionen. "Was mir vorschwebte, war, dass es einen Gott gibt und dass der gerecht und barmherzig ist. Und wenn es den gibt, muss es mehrere Zugänge geben, genau wie für Kinder zu ihren Eltern. Mir wurde Gott zugänglich aus islamischer Sicht. Wenn das so ist, dann bin ich doch eigentlich Muslim. Als ihr das klar wurde, was hat sie da gedacht? "Erstmal: Schreck lass nach ..."

Was da theoretisch und kopfgesteuert klingt, war für sie ein Weg durch die Hölle und zurück, sagt sie. "Ich hätte ja verkehrt liegen können! Was fällt mir denn ein, die ganzen Erwachsenen infrage zu stellen?" Sie liest weiter und weiter. "Ich hab den Fußboden unter meinen Füßen hinterfragt. Wer bin ich eigentlich? Gibt's mich wirklich? Wie kann ich so sicher sein?" Nach einer kurzen Pause fällt ihr dazu eine Schlagerzeile ein: "Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst ..." Sie lacht.

Für sie sind das aber keine unverbindlichen Gedankenspiele, die man irgendwann beiseitelegt oder durch die Abkehr vom Glauben beendet wie viele ihrer Klassenkameraden später; sie ist sich sicher: "Wenn das mein Weg ist, muss ich ihn auch gehen."

Den Eltern sagt sie nichts, "meine Mutter hat das dann rausgefunden, als ich gerade religionsmündig war". Das ist man in Deutschland mit 14 Jahren. Die Eltern sind schockiert, vor allem ihre Mutter. Was nach dieser Entdeckung folgt, bis sie zu Hause auszieht, möchte sie nicht erzählen.

Sie sucht Anschluss an andere Muslime, nicht einfach, "damals gab's ja keine weit und breit außer einigen Studenten. Später kamen Türken und Marokkaner als Gastarbeiter, die konnten aber kein Deutsch und wussten nicht so viel wie ich." Sie schließt sich der moslemischen Studentengemeinde in Aachen an, nimmt den Vornamen Halima an. Das bedeutet, sagt sie, so etwas wie "Visionärin, geduldig, weitsichtig. Früher", lacht sie, "war ich ein bisschen überfordert damit." 1977 heiratet sie einen muslimischen Studenten, eine Ehe, die bis heute eine tragende Säule in ihrem Leben ist. Kinder haben sie keine. "Irgendwie hat der Chef" - sie schaut nach oben - "andere Pläne mit mir gehabt." Zum Beispiel dieses Wanderleben zwischen den Kulturen.

"Ich bin in Aachen geboren, also geborene Grenzgängerin." Sprachen lernen fällt ihr leicht, sie spricht fließend Englisch und Schwedisch, Arabisch kann sie "eher so mit Schwerpunkt auf Büchern und Gebet, aber in arabischen Ländern geht es so, wie auch mit Urdu und Hebräisch". Kürzlich hat sie die britische Gebärdensprache erlernt. Der rheinische Tonfall ihrer Geburtstadt ist geblieben.

Sie lebt monatsweise in Pakistan und in Ägypten, eine Weile in Belgien und Schweden, fünf Jahre in Dänemark und kichert: "Ich hab 'nen Migrationshintergrund, den nimmt nur keiner wahr." Spät holt sie das Abitur nach, "im Selbststudium", und studiert islamische Theologie in verschiedenen islamischen Ländern. "Ich wollte wissen, wie es wirklich ist, meine Beziehung nach oben entwickeln und auch meine Beziehung zu den Mitmenschen auf die Reihe kriegen." Sie arbeitet hart, hat ein Händchen fürs Systematische, denkt ungeduldig schnell und kann klar formulieren. In Hamburg, wo sie im Schanzenviertel wohnt, wird Halima Krausen schließlich in der Imam-Ali-Moschee an der Schönen Aussicht zur rechten Hand ihres Lehrers Imam Mehdi Razvi. "Irgendwann waren alle Leute dran gewöhnt, dass ich die Sachen mache, und als er aufhörte, war das nur ein Sitzplatzwechsel."

"Imam", erklärt sie, "ist jemand, der vorne steht - in der Regel jemand, der dieses Gebet jetzt leitet - er oder sie. Und dann ist Imam jemand, der eine Gemeinde leitet, als Lehrer, Seelsorger und Richter. Das ist eine Amtsfunktion, dafür sollte man Ahnung und studiert haben", sagt sie, und man hört zwischen den Zeilen. Das ist wohl nicht überall so.

Was tut sie genau? "Alles, was kompliziert ist, landet früher oder später mal auf meinem Schreibtisch." Religiöse Streitfälle zwischen den islamischen Richtungen, zwischen den Religionen. Das geistliche Richteramt versteht sie als Mediator in persönlichen Streitfällen - "in Familien, zwischen den Generationen, Ehesachen, wo es darauf ankommt, dass da eine Lösung gefunden wird, mit der die Leute leben können". Sie darf auch den religiösen Teil einer Eheschließung vornehmen. Wird sie da akzeptiert? "Sagen wir mal so: Männer empfinden mich meist in einer Mutterfunktion, und in patriarchalischen Strukturen ist die Mutter ja immer die Referenzperson per se, wenn es um den Hausfrieden geht."

Und die Imamin, die Vorbeterin? "Frauen leiten normalerweise Gebete für Frauen, das geschieht dann in der eigenen Sphäre." Ärgert sie es, dass Frauen nicht vorbeten dürfen, wenn Männer dabei sind? "Ich hab keinen Bock auf Herzinfarkt. Nee, im Lauf der Zeit hat sich bei mir auch ein bisschen Humor entwickelt. Ich ärger mich ja auch nicht darüber, dass es regnet. Da kann ich nichts machen, außer 'nen Schirm mitzunehmen."

Viele Fragen, die ihr ständig gestellt werden, langweilen sie. Frauen im Islam? "Boo! Da red ich nur notgedrungen drüber und wenn das Honorar stimmt. Ich bin nicht bereit, mich aufzuregen über Kopftuch oder Gesichtsschleier. Wir haben andere Probleme. Dann doch eher: Wie kann man Studienprojekte aufbauen?" - "Für Frauen?" - "Nee, generell. Und besonders für Männer. Das ist doch das Problem: Weil Männer keine Ahnung haben, deswegen geht's den Frauen schlecht. Mich ärgert es aber auch, dass Frauen sich einschränken lassen. Die machen nämlich fleißig mit - die lassen sich das einfach so gefallen. Ich diskutier nicht groß diese Sachen, ich mache einfach, wenn etwas anliegt."

Halima Krausen redet, wie ihr der Schnabel gewachsen ist; streben nach Harmonie fällt bei ihr nicht als Erstes ins Auge. "Ich provozier gern mal. Es gibt sogar Leute, die mich als Kaktusfrucht bezeichnen", sagt sie. "Obwohl meine Stacheln ein bisschen stärker sind als bei den echten Kaktusfrüchten. Sie sollen Schönes, Feines, Zartes schützen." Wenn jemand ein zartes japanisches Teetässchen zerbricht oder wenn ihr jemand Schnittblumen mitbringt, geht ihr das nahe, verrät sie. "Ich würde das aber nicht zeigen, sondern lieber sehr aggressiv vorbeugen." Sie lacht wieder. Fast immer, wenn sie lacht, ist dem eine argumentative Überraschung für das Gegenüber vorausgegangen, worüber sie sich freut. Wie über die kleine Hand, die sie als Schmuckstück an einer Halskette trägt. Das Symbol wird von Moslems, Christen und Juden verwendet; bei ihr steht einer der 99 Namen Gottes darauf. Auf Hebräisch! "Er wird aber auf Arabisch genauso ausgesprochen. Wenn sich jemand traut zu fragen, erklär ich das, und schon sind wir im Gespräch."

Unversöhnliches mag sie nicht; vielleicht unterscheidet sie auch deshalb zwischen den religiösen Institutionen - "die sind eher wie 'ne Firma" - und dem persönlichen Glauben. Ihr geht es um Religion "im Sinn von Werten, motivieren, Hoffnung und Kraft geben. Die Ansätze, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen, Verantwortung für den anderen zu spüren, Verantwortung für die Welt." Sie baut gern Brücken. Arbeitet in Hamburg bei der Lehrerausbildung für den gemeinsamen Religionsunterricht mit, lehrt in London mit einer Rabbinerin über die Religionsgrenzen hinweg, kreativ mit Koran- und Bibeltexten umzugehen und sie auf sich selber zu beziehen, "das geht stellenweise fast schon ins Therapeutische".

Wenn man ihr gegenübersitzt, könnte man sie mit ihrem Kopftuch bei flüchtigem Hinsehen fast für eine christliche Klosterfrau halten, und sie sagt selbst: "Wenn es den Islam nicht gäbe, wäre ich vielleicht irgendwann Pastorin geworden." Es gibt ihn aber, und sie hat ihre "eigenwillige Art zu denken und meine Sachen zu entwickeln" in den Dienst des Islam gestellt.

Nicht jedem sind die alltagspraktischen und liberalen Ansichten der Vorbeterin Halima Krausen willkommen. "Ich krieg schon mal die eine oder andere E-Mail, ich solle doch zum Teufel gehen oder man solle mir den Hals umdrehen." Ihre Antwort: ein arabisches Dankgebet für die Löschtaste des Computers. Als sie es laut rezitiert, drehen die Leute im Café die Köpfe zu ihr.

Einfach ist er nicht, der Weg der Imamin, aber das wäre auch nicht ihr Ding "Er ist manchmal einsam - und autsch, aber es macht mir auch Spaß."

Halima Krausen bekam den roten Faden von Professor Wolfram Weiße. Sie reicht ihn weiter an Dr. Andreas Hieronymus, "weil ich sein vielfältiges Engagement gegen Diskriminierung schätze".