Drei Monate lang fuhren die Züge auf Deutschlands meistgenutzter Fernverkehrs-Pendlerstrecke einen 40-minütigen Umweg. Ab Sonntagmorgen, fünf Uhr, soll es damit vorbei sein - wenn die Techniker im „ICE-S“ ihr O.K. gegeben haben.

Hamburg. Bei Kilometer 217,6 schlägt das „Schienen-EKG“ aus. Eine kurze, hektische Zickzackwelle. Dann, so scheint es, eine Nulllinie auf dem Papier. Ein penetrantes Piepsen. „Keine Panik“, beruhigt Messingenieur Frank Siebenhaar im Test-ICE zwischen Hamburg und Berlin. „Alles noch im normalen Bereich, die Schienen sind super.“ Drei Monate lang fuhren die Züge auf Deutschlands meistgenutzter Fernverkehrs-Pendlerstrecke einen 40-minütigen Umweg. Ab kommendem Sonntag, morgens um fünf, soll es damit vorbei sein - allerdings nur, wenn die Techniker im „ICE-S“ ihr O.K. geben.

Die Fahrt beginnt bei Kilometer 280,892 in Hamburg-Rothenburgsort. Bis zum Berliner Hauptbahnhof wird rückwärts gezählt, auf drei roten Digitalanzeigen und auf meterlangen Messprotokollen. Der „ICE-S“, S für „Schnellfahrt“, ist der kürzeste ICE Deutschlands: zwei Triebköpfe, in der Mitte der Messwagen, ein üblicher ICE-Waggon vollgestopft mit Kabeln, Computern, Anzeigen und anderer Technik. Knöpfe leuchten rot, zwei Drucker spucken ununterbrochen Fieberkurven aus, der „Herzschlag“ der Strecke. Alle zwei Kilometer ein Blatt, von Hamburg bis Berlin fast 85 Meter Papier. Schlägt das „Schienen-EKG“ aus, „stimmt die Kraft zwischen Schiene und Rad nicht“, erklärt Siebenhaar. Bei zu großen Ausschlägen muss nachgebessert werden. So fährt der Test-ICE auf allen deutschen Hochgeschwindigkeits-Bahnstrecken und prüft Schienen und Schwellen, testet neue Bauteile. Der „ICE-S“ schafft es auf einigen Strecken bis auf Tempo 440.

Nicht ganz so schnell geht es zwischen Hamburg und Berlin. Kilometer 183,249: In kürzester Zeit hat es das „Leichtgewicht“ mit seinen 208 Tonnen auf 230 km/h gebracht. „Beschleunigen mit Festhalten“, kommentiert Bahnsprecher Holger Bajohra. Für die Testfahrt hat der ICE „grüne Welle“ auf der gesamten Strecke. „Aber im regulären Verkehr würde wir ja auch nicht schneller fahren. Würde sich nicht lohnen.“ Deshalb bleibe man auf der Testfahrt bei maximal 230 km/h, erklärt Bajohra. 256.000 Schwellen sind in den vergangenen drei Monaten ausgewechselt worden. Ob sie richtig liegen, haben die Techniker mit Laserstrahlen geprüft – bei der Ausrichtung zählen Zehntelmillimeter. „Alles bestens“, lautete das Urteil. Und doch blicken auf der Testfahrt alle gebannt auf die Messkurven. Nicht immer gehen die Versuchs-Fahrten so glatt, wie auf den 280,892 Kilometern zwischen Hamburg und Berlin. „Auf der 300 km/h-Strecke zwischen Nürnberg und Ingolstadt“, erinnert sich Siebenhaar, „da hat's richtig kräftig ausgeschlagen. Wir hatten Probleme mit der Kraftbeanspruchung der Weichen.“ Auch auf einer kleinen Strecke in Norddeutschland habe es „schon mal kräftig gerappelt“.

Kilometer 71,0: Der Zugführer meldet sich: „Die Kilometer stimmen nicht.“ Tatsächlich passt die Anzeige der Techniker nicht zu den Schildern am Streckenrand. „Da haben wir beim Umbau wohl einen Kilometer verloren“, wird gescherzt. Die Instrumente werden justiert, damit die Messungen später richtig ausgewertet werden können.Bei Kilometer 12 am Berliner Bahnhof Spandau dann zufriedene Gesichter. Die Strecke ist freigegeben. Ab Sonntag kommen die täglich 10.000 Pendler wieder in eineinhalb Stunden von Berlin nach Hamburg. Auf Muffins und O-Saft, die die Bahn während der Bauphase im Zug servierte, müssen sie dann wieder verzichten. Und der „ICE-S“ fährt längst auf einer neuen Baustelle.