Seit Sonntag verlängert sich die Fahrzeit zwischen Hamburg und Berlin wegen umfangreicher Baumaßnahmen um rund 40 Minuten.

Es ist angerichtet im ICE 733 von Hamburg nach Berlin: "Service-Stewardess" Samira Gehrmann (19) zieht ein schwarzes Tablett aus dem Trolley und reicht es lächelnd Fahrgast Stephan Morawski (41) in der ersten Klasse. Ein Croissant oder Kaiserbrötchen, Konfitüre, Butter, Putenaufschnitt, Käse und eine Scheibe Salami werden serviert. Dazu gibt es eine Schale Vanillequark mit Kirschen. Wahlweise werden Kaffee oder Tee - grün oder schwarz - ausgeschenkt. Der Reisende hat die Wahl zwischen diversen Tageszeitungen und Zeitschriften - alles kostenlos.

Die Charme- und Serviceoffensive der Bahn hat allerdings einen Grund: Seit Sonntag verlängert sich die Fahrzeit zwischen Hamburg und Berlin wegen umfangreicher Baumaßnahmen um rund 40 Minuten (siehe oben).

Gestern war der erste Tag, an dem Tausende Pendler und Geschäftsreisende ihre "Premiere" auf der Umleitungsstrecke über Uelzen und Stendal hatten - das Abendblatt war dabei: Der ICE 733 startet pünktlich um 6.27 Uhr am Hamburger Hauptbahnhof. Die meisten Reisenden wissen um die längere Fahrzeit - die Bahn hatte im Vorfeld umfassend darüber informiert. Wer noch unwissend ist, erfährt diesen Umstand nach etwa 20 Minuten via Bordlautsprecher. Allerdings wurde dem Abendblatt-Reporter beim Fahrkartenkauf im Reisezentrum die Fahrzeitverlängerung von der Dame am Schalter verschwiegen.

Aber zurück in den ICE 733: Kaufmann Morawski schneidet sein Croissant auf. So richtig freuen kann sich der Vielfahrer allerdings nicht: "Ich muss jetzt einen früheren Zug nehmen. Ich habe wenig Verständnis dafür, dass die Schwellen nach so kurzer Liegedauer getauscht werden müssen. Da entschädigt mich so ein Frühstück wenig." Eine andere Erste-Klasse-Reisende, hat zwar Verständnis für die Bauarbeiten, aber ein anderes Problem. Es stehen an diesem Morgen vier Tageszeitungen kostenlos zur Verfügung, aber die von ihr bevorzugte ist nicht dabei: "Ein bisschen mehr Service könnte man schon erwarten."

Die einfache Fahrt ohne Ermäßigungen kostet 110 Euro, in der zweiten Klasse sind es 68 Euro - ein Preisunterschied, der sich auch im Service-Angebot bemerkbar macht. Der ICE ist inzwischen an Uelzen vorbeigezogen - die "Stewardessen" sind nun auch in der zweiten Klasse am Werk. 400 Päckchen mit Orangensaft oder Wasser gefüllt und 450 Schokoladendonuts haben sie in ihren Trolleys. Die Fahrgäste greifen gerne zu. Der ICE rauscht inzwischen an Salzwedel vorbei - noch immer im Zeitplan.

Die zusätzliche Zeit nutzt Pendler Gunnar Groebler zum Arbeiten. Der 36-Jährige ist etwas genervt: "Mussten die gleich einen gesamten Streckenabschnitt für den Schwellentausch sperren. Und warum werden die überhaupt schon wieder ausgetauscht?" Auf solche Fragen dürfte das Servicepersonal wohl keine Antwort haben. Obwohl sich die Bahn viel Mühe gegeben hat, die Kunden für die Zeit der Bauarbeiten besonders gut zu betreuen. Es wurden mehr als 200 Mitarbeiter befristet eingestellt, die sich in den ICEs um den Service und die damit verbundene Logistik kümmern. Die Kosten für zusätzliches Personal und Gratis-Verpflegung bleiben ein Geheimnis der Bahn.

Plötzlich kurz vor Stendal. Der ICE bleibt stehen. Die Entwarnung kommt über den Bordlautsprecher: Es handele sich um einen "planmäßigen Betriebsaufenthalt". Die Fahrt geht weiter - die Service- und Charmeoffensive auch. In der ersten Klasse werden Pralinen gereicht. Die Kästchen tragen die Aufschrift: "Lassen Sie sich unsere Bauarbeiten etwas versüßen."

Inzwischen ist die Stadtgrenze von Berlin erreicht. Zugchef Gisbert Holst (46) wirkt zufrieden: "Die Akzeptanz der Kunden ist sehr hoch, ich hatte nur zwei Beschwerden und das bei 271 Fahrgästen." Wenige Minuten später, es ist 8.50 Uhr und ein paar Sekunden: Der ICE fährt im Hauptbahnhof ein - planmäßig, mit 40 Minuten Verspätung.