Das Hamburger Farbenspiel schien noch vor Kurzem undenkbar. Dabei verband schwarze und grüne Milieus schon längst viel mehr, als den Politikern bewusst war.

Für Alfred Dregger waren die Grünen "der Höhepunkt des Ausstiegs aus der Wirklichkeit". 1982 forderte der damalige CDU-Vorsitzende von den Bundestagsparteien, keine Koalitionen mit den neu gegründeten Ökos einzugehen. Begründung: Sie seien noch "nicht ins demokratische System eingestiegen".

Dregger? Das war kurz nach der Jungsteinzeit. Heute lechzen Grüne und Schwarze überall in der Republik danach, sich zu umarmen. Sieben deutsche Städte oder Großstadtbezirke - etwa in Frankfurt/Main, Kiel, Duisburg - werden bereits schwarz-grün regiert, und überall loben sich beide Partner gegenseitig. Nach einer Forsa-Umfrage für den "Stern" würden 40 Prozent der Deutschen und sogar fast jeder zweite Unionswähler eine enge Zusammenarbeit von Grün und Schwarz befürworten.

Man sieht sie förmlich vor sich, wie sie - in Glück und Harmonie vereint - gemeinsam auf der vertieften Elbe in den Sonnenuntergang paddeln.

Und das, nachdem die Republik fast 30 Jahre lang eher eine Kampfbeziehung erlebt hat. Als sich am 13. Januar 1980 in Karlsruhe Die Grünen gründeten - "sozial, ökologisch, basisdemokratisch, gewaltfrei" , sagte ihre damalige Frontfrau Petra Kelly: "Wir verstehen uns als eine Anti-Parteien-Partei." Damals glaubte und hoffte die CDU unter Kohl und Dregger, das Bündnis von Linkssozialisten, Maoisten, regionalen Kleinparteien, Anti-AKW-, Sponti- und Umweltgruppen würde innerhalb weniger Jahre sang- und klanglos zerfallen.

Stattdessen zogen die Grünen 1983 mit 5,6 Prozent in den Bundestag ein und stockten 1987 auf 8,3 Prozent auf. Entsetzlich: Man saß im Parlament neben "Hausbesetzern, Terrorsympathisanten und Steinewerfern". Was die Union so schockte, waren zunächst die Politikfelder, die die Grünen lärm- und aktionsreich auf die Tagesordnung setzten.

Dauerproteste gegen den Nato-Doppelbeschluss, kein Sinn für transatlantische "Bündnistreue";

Dauerbeschuss gegen den Ausbau von Flughäfen, neue Autobahnen, Atomkraftwerke und -endlager; wollte man den Hafen erweitern, wedelten Grüne mit degenerierten Aalen vor den Kameras herum;

störende Forderungen an die Wirtschaft: Emissions- und Abwassergesetze sollten her und Einspruchsrechte für Bürgerinitiativen;

und vor allem: die Frauenfrage!

Den Bau von Krötentunneln hätte man bei der CDU ja noch verkraftet. Aber in immer mehr kommunalen Behörden tauchten nun Frauen- oder Gleichstellungsbeauftragte auf, auch die SPD-Frauen machten begeistert mit. Bei den Unions-Platzhirschen wurden "Gleichstellung" und "Quoten" schnell so beliebt wie Fußpilz. In den Hamburger Bürgerschaftswahlkampf 1986 ging die GAL sogar mit einem reinen "Feminat", angeführt von Adrienne Goehler. Auf Grünen-Parteitagen, staunte die Nation, erschienen Männer in Latzhosen, wickelten Kinder und strickten.

Na und?, würde man heute sagen. Damals war es anders: Gerade die verschiedenen Lebensstile trugen mehr zur gegenseitigen Aversion von CDU und Grünen bei als einzelne Sachfragen. Der traditionelle CDU-Lokalpolitiker hatte Frau und Kinder, war nicht geschieden, tummelte sich in Handwerks- und Handelskammer und möglichst im Schützenverein. Ihm trat jetzt ein Kämpferinnentypus gegenüber, der ganz anders war als die deutsche Mutter und Familienhausfrau: die studierte Alternative aus der Wohngemeinschaft, die sich mit Pressure-Groups in der Umwelt- und Frauenszene umgab und zu Empfängen auch allein erschien. Offenbar wurde das Erbe der 68er nun endgültig institutionalisiert.

Der zweite Schock: das Führungspersonal der Grünen. Anwälte wie Otto Schily und Christian Ströbele hatten sich als Verteidiger in RAF-Prozessen einen Namen gemacht und waren für Konservative ein blutrotes Tuch. Oder die Radikalökologin und Feministin Jutta Ditfurth. Oder die Hamburger Ökosozialisten Thomas Ebermann und Rainer Trampert, die heftig gegen die Hafenerweiterung stritten.

Die SPD sah die Newcomer ambivalent. Sie verlor zwar Mitglieder an die Öko-Partei - die erste Abspaltungswelle nach links, lange vor Gründung der Linken. Andererseits ergaben sich aber schon früh Koalitionsoptionen. 1982 wagte der damalige Hamburger Bürgermeister Klaus von Dohnanyi als Erster Sondierungsverhandlungen mit der GAL (sie scheiterten allerdings) und sagte danach, die 50 Stunden langen Gespräche "gehörten zu den interessantesten politischen Erfahrungen meines Lebens".

Umwelt, Integration, Energiepolitik, Familie, Bildung: In all diesen Punkten wurden die Grünen bundesweit zu Vor- und Mitkämpfern der SPD. Das ist ein Grund dafür, warum das ideologische Säbelrasseln zwischen CDU und Grünen so lange dauerte und so heftig ausfiel. In dem Versuch, ihren konservativen "Markenkern" zu schützen, hat die CDU unter Helmut Kohl zu lange übersehen, was sie mit den Grünen verbindet.

Grüne Wähler kommen vorrangig aus dem "bürgerlichen" Lager. Sie haben zu 62 Prozent Abitur oder Fachhochschulreife, ein überdurchschnittlich hohes Haushaltseinkommen und sind relativ jung (38,1 Jahre). Hochburgen sind Groß- und Universitätsstädte, aber auch auf dem Land konnten sich Grüne etablieren - vor allem mit Themen wie regionale Landwirtschaftspolitik, Kinderbetreuung oder Umweltschutz. Immerhin räumte Kohl Mitte der 90er ein, auch unter den Grünen gebe es "vernünftige Leute". Und Unions-Fraktionschef Wolfgang Schäuble verhalf 1994 der Grünen Antje Vollmer ins Amt der Bundestags-Vizepräsidentin. Manche Medienkollegen sehen darin heute frühe Vorboten für eine schwarz-grüne Annäherung.

Wie etliche andere Fundis und Linke der ersten Stunde verließen Ditfurth, Ebermann und Trampert in den Neunzigern ihre Partei, als die Grünen sich mit dem ostdeutschen Bündnis 90 zusammenschlossen. Die ehemalige "Anti-Parteien-Partei" wollte nun eine Partei "für Bürger" werden. Die Realos und die Jüngeren hatten sich endgültig durchgesetzt.

Erst nach diesem Generationswechsel bei CDU und den Grünen kam es in der Endphase der Ära Kohl zu einem informellen, aber regelmäßigen schwarz-grünen Kontakt: der sogenannten "Pizza-Connection". Junge CDU-Politiker wie Hermann Gröhe, Ronald Pofalla, Eckart von Klaeden, Norbert Röttgen und Armin Laschet trafen sich in Bonn in dem italienischen Restaurant Sassella mit jungen Grünen-Politikern wie Volker Beck, Cem Özdemir, Margareta Wolf und Steffi Lemke. "Das waren immer feuchtfröhliche Veranstaltungen", erzählt Wolf, "Cem Özdemir und Volker Beck haben ganz großartig Leute aus CDU und SPD nachmachen können und Geschichten erzählt." Und Eckart von Klaeden habe "den Kohl ziemlich perfekt imitiert, von der Stimme her". Um das Schmieden von Koalitionen ging es den Hobby-Entertainern noch nicht. Aber es war ein "Warming Up". Kohl wusste Bescheid - denn einmal saß am Nebentisch im Sassella seine Vertraute Juliane Weber. Heute gehören Pofalla, Laschet und von Klaeden zum "Inner Circle" von Kanzlerin Angela Merkel.

Und insgesamt hat sich die CDU bewegt. Sie ist grüner geworden mit Merkels Engagement für den Klimaschutz. Sie ist in der Familienpolitik nach Grün gerückt: Ursula von der Leyen füllt mit ihrer Kita-Erweiterung den Platz aus, den vorher die SPD besetzte. Bündnispolitisch profitiert die CDU heute davon, dass der Grüne Joschka Fischer als Außenminister unter Rot-Grün den ersten Auslandseinsatz der Bundeswehr nach dem Krieg durchsetzte. Zwar tragen die meisten CDU-Politikerinnen immer noch Schleifenblusen. Aber sie haben nicht immer Kinder. In der CDU werden Schwule Bürgermeister und Frauen Kanzler.

Umgekehrt rücken Grüne auch ein bisschen nach Union. Heute fordert Volker Beck, der bekannte Schwulenpolitiker und parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, in der Gendiagnostik viel radikalere und "klerikalere" Verbote als die CDU-Wissenschaftsministerin Annette Schavan. Der grüne Haushaltsexperte Oswald Metzger trat gleich ganz in die CDU ein. Grüne Wertkonservative wohnen heute neben berufstätigen CDU-Müttern in schön renovierten Eimsbütteler Vier-Zimmer-Altbauwohnungen. CDU-Politiker wechseln zu Ökostrom und schließen ihre dritte oder vierte Ehe.

Mal abwarten, wie schnell die Linke nachdunkelt. Womöglich beginnt in zehn Jahren ein Abendblatt-Artikel damit: "Als die CDU 2008 noch jede Koalition mit der Linken ausschloss ... - das war Bronzezeit."