2000 Unterstützer der Roten Flora gingen auf die Straße. Rund 1000 Polizisten im Einsatz.

Die Piazza vor der Roten Flora, gestern Abend gegen 20 Uhr: Hundertschaften der Polizei sind aufgezogen. Martialisch, dick gepolstert, mit Helmen und der Hand am Schlagstock. Die Wut über die Razzia dürften sie hier deutlich spüren. Etwa 2000 Demonstranten haben sich auf dem Platz am Schulterblatt versammelt, den die meist jungen Linken nur "Achidi-John-Platz" nennen, nach dem Afrikaner, der 2001 bei einem Brechmitteleinsatz starb. Sie tragen Schwarz, sind meist jung und skandieren: "BRD - Bullenstaat - Wir haben dich zum Kotzen satt." Ihre Art, Frust zu zeigen, über eine Durchsuchungsaktion, die wohl alle hier als Versuch der Einschüchterung vor dem G-8-Gipfel werten.

Nur Minuten nach dem Beginn der Großrazzia gestern gegen acht Uhr früh war über das Internet zur Solidaritätsdemonstration aufgerufen worden. Die Polizei zog vorsorglich alle verfügbaren Einheiten zusammen, forderte Kräfte aus Schleswig-Holstein an. Um 20.09 Uhr zogen rund 2000 Demonstranten von der Schanze nach St. Pauli und zurück. Zunächst blieb es friedlich - am Ende eines Tages, an dem die Polizei mit der Roten Flora das Symbol der linken Szene erstmals seit Jahren wieder durchsuchte. Nach dem Ende der Demonstration warfen vereinzelte Teilnehmer vor der Flora Flaschen in Richtung der Polizei. Die setzte Wasserwerfer ein, um die Protestierer von der Piazza zu vertreiben. Um 22.30 leerte sich der Platz langsam, doch immer wieder gab es Auseinandersetzungen. An der Glashüttenstraße setzten Unbekannte Papiercontainer in Brand - Zerstörungslust aus Wut auf die Razzia?

Gegen acht Uhr früh waren die Ermittler vor dem Kulturzentrum vorgefahren, mit 20 Mannschaftswagen. Sofort sperrten Beamte das Areal, während Kollegen das leere Gebäude gewaltsam öffneten. Die Polizisten brachen auch innen die Türen auf, bis ein Anwalt dazukam.

Fast zeitgleich begannen weitere Durchsuchungen - in einer Wohngemeinschaft an der Kampstraße (St. Pauli), an der Julius-Leber-Straße (Altona-Nord), an der Talstraße, der Seilerstraße (St. Pauli). Bis Mittag beschlagnahmten Fahnder Unterlagen, transportierten Computer ab.

Pikant: Auch im Deutschen Schauspielhaus an der Kirchenallee (St. Georg) rückte die Polizei an und nahm Schreibtisch und Computer eines Angestellten unter die Lupe. Er ist einer von 18 Tatverdächtigen, gegen die Generalbundesanwältin Monika Harms wegen des Verdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung ermittelt. Ein Dutzend Brandanschläge in Hamburg und dem Umland sollen auf das Konto der Gruppe gehen.

Als gegen 10.20 Uhr am Schlump 50 Demonstranten auf die Straße rannten, reagierte die Polizei schnell und hart: Unter Einsatz von Schlagstöcken wurden die Protestierer zurückgedrängt, 18 von ihnen wurden wegen Landfriedensbruchs festgenommen. "Wir waren auf die Razzia vorbereitet", hieß es in der Szene gestern. Einige Zielpersonen der Großrazzia warteten offenbar bereits mit einem Anwalt auf die Ermittler. "Tatsächlich sind wir eher erstaunt, dass erst jetzt durchsucht wird", sagt ein Aktivist. In einer Erklärung der Roten Flora heißt es: "Wir werten das massive Vorgehen der Polizei als Angriff auf die gesamte Protestbewegung und als einen Versuch der Einschüchterung aller AktivistInnen, die sich gegen G 8 aussprechen." Die Razzia sei ein "Versuch der Staatsmacht, die auf breiter Basis organisierte Kampagne gegen die menschenverachtende Politik der G 8 zu kriminalisieren".

In der Tat: Haftbefehle gegen die Zielpersonen der Razzia gab es gestern nicht. Offizielle Begründung: Es mangele am nötigen Tatverdacht. "So dringend ist der nicht", sagt Petra Kneuer, Sprecherin der Bundesanwaltschaft. Es fehle an den gesetzlichen Voraussetzungen.

Nach Abendblatt-Informationen sind die Vorwürfe gegen die meisten Tatverdächtigen eher dürftig: So wird ein Verdacht damit begründet, ein Verdächtiger sei mit einem anderen zusammen gesehen worden, etwa beim Verteilen von Flugblättern. Sogar "stilistische Ähnlichkeiten" bei Bekennerschreiben sollen ins Feld geführt worden sein. Dem Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof reichte das aus. Den Vorwurf, es habe sich bei der Razzia um eine auch politisch motivierte Aktion gehandelt, wies Petra Kneuer zurück: "Unser Vorgehen war nicht willkürlich, sondern ist rechtlich fundiert." Die Proteste dauerten bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe (23 Uhr) weiter an.