An mehreren Orten fanden die Fahnder Rückstände von Polonium 210. Jetzt ermitteln Staatsanwaltschaft und BKA gegen den Russen.

Tag zwei nach dem Polonium-Alarm in Hamburg brachte die Gewissheit: Bei der in der Erzbergerstraße (Ottensen) entdeckten radioaktiven Strahlung handelt es sich definitiv um Spuren jenes Giftes, das den russischen Ex-Spion Alexander Litwinenko in London tötete. Der frühere Geheimdienstler Dmitri Kowtun (41), der an der Erzbergerstraße eine Wohnung gemietet hatte, führte den rätselhaften Stoff mit sich - im Körper, an der Kleidung oder in einem Gefäß. Er ist also, ob als zweites Opfer oder als Täter, am Litwinenko-Mord beteiligt. Die Hamburger Staatsanwaltschaft leitete ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Missbrauchs ionisierender Strahlen sowie unerlaubten Umgangs mit radioaktiven Strahlen ein.

Seit gestern hat die "Soko Dritter Mann" auch ein klares Bewegungsprofil Kowtuns. Die Ermittler haben anhand hinterlassener radioaktiver Strahlungen und einiger Zeugenaussagen relativ genau rekonstruiert, wo sich der Geschäftsmann wann aufgehalten hat. Das Abendblatt beschreibt den Ablauf der fünf Tage, in denen Dmitri Kowtun seine Polonium-Spur in Norddeutschland hinterließ.

28. Oktober: Dmitri Kowtun kommt mit einer Maschine der Aeroflot von Moskau nach Hamburg. Vermutlich, so die Ermittler, hat er das Polonium 210 schon bei oder in sich. Er wird in Fuhlsbüttel mit dem Wagen des Freundes seiner Ex-Schwiegermutter abgeholt. In dem schwarzen 5er-BMW-Kombi wird er nach Haselau (Kreis Pinneberg) gefahren. Der Wagen steht inzwischen schrottreif auf dem Anwesen, das der Hamburger Makler Hartmut K. gemeinsam mit der Hamburger Psychologin Dr. Eleonora W. bewohnt. Der Beifahrersitz des Wagens ist ebenso kontaminiert wie ein Bett und ein Stuhl in dem Gehöft. Kowtun verbringt die Nacht vermutlich in Haselau.

29. Oktober: Offenbar bleibt Kowtun auf dem Lande, verbringt auch die Nacht dort.

30. Oktober: Kowtun lässt sich nach Hamburg fahren. Am Vormittag muss der Russe, der eine Aufenthaltsgenehmigung für Deutschland hat und vermutlich seit den 90er-Jahren immer wieder zeitweise in Hamburg wohnt, in der Ausländerabteilung des Bezirksamts Altona eine Unterschrift leisten. Später wird sich herausstellen: Die Akte, die Kowtun unterzeichnete, ist Polonium 210 kontaminiert. Der 41-Jährige besucht eine Spielhalle und ein Restaurant, hinterlässt dort aber keine Spuren. Dann besucht er einen Bekannten in der Kieler Straße 12. Er schläft in dem Apartment.

31. Oktober: Kowtun besucht, so die Ermittler, "verschiedene Orte im Hamburger Stadtgebiet" und fährt am Abend in die Erzbergerstraße. Dort schläft er auf dem Sofa in der Wohnung seiner Ex-Frau Marina W. (31, Tochter von Dr. Eleonora W.). Kowtun und Marina W. hatten sich Mitte 2006 scheiden lassen. Die 31-Jährige lebt mit zwei Kindern und ihrem neuen Lebensgefährten im ersten Stock. Die Wohnung, die Kowtun selbst im Haus gemietet hat (Erdgeschoss, mit Zugang zum Keller und der Kneipe Gigi L.) betritt er offenbar nicht. Spuren des Polniums finden Ermittler später auf der Couch und im Bad.

1. November: Um 6.40 Uhr besteigt der Ex-Geheimdienstler ein Germanwings-Flugzeug und nimmt Flug 4U7342 nach London. Dort, in der Bar des Millennium-Hotels, trifft er mit seinem Bekannten Andrej Lugowoi den Ex-Spion Alexander Litwinenko.


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Seit vergangenem Freitag, dem Tag, an dem die Spur nach Hamburg bekannt wurde, arbeitet die "Soko Dritter Mann" der Polizei und des BKA gemeinsam mit Strahlenexperten an dem Fall. Leiter der Soko: Der erfahrene Hamburger Kriminaldirektor Thomas Menzel. Fachleute der Zentralen Unterstützungsgruppe des Bundes (ZUB) kamen per Helikopter. Inzwischen sind 170 Ermittler für die Aufklärung der rätselhaften Vorgänge abgestellt. Heute kommen Scotland-Yard-Fahnder hinzu. Polizeipräsident Werner Jantosch widerspricht Gerüchten, die Vergiftung Litwinenkos könnte in Hamburg geplant worden sein: "Dafür gibt es nicht den geringsten Hinweis." Dr. Gerald Kirchner vom Strahlenschutzamt wies gestern noch einmal darauf hin, dass die Räumung des Hauses an der Erzbergerstraße unumgänglich gewesen sei, auch wenn für die Anwohner keine Gefahr bestanden habe: "Wir messen auch die Raumluft. Das ginge nicht, wenn Personen durchs Treppenhaus gehen." Hamburgs leitender Oberstaatsanwalt Martin Köhnke hofft, dass die russischen Behörden sich nun auch kooperativ zeigen. Köhnke: "Wir baten um Informationen über den Gesundheitszustand von Kowtun und um Unterstützung bei der Ermittlung der Aeroflot-Maschine. ,Doch bisher haben wir keine Antwort."