Marie Kristin Wett hat noch keinen Hafengeburtstag versäumt. Ihren ersten vor 22 Jahren verbrachte sie damals im Tragegurt ihres Vaters.
Hamburg. Vier schwarze, drei weiße und drei braune - bei der Mischung der Salmiak-Lollis gibt es für Rainer Wett keine Diskussion. Als die Verkäuferin ihm ein bereits vorbereitetes Päckchen hinhält, in dem auch die rosa Lollis lecker seien, blickt er nur kurz zu seiner neben ihm Tochter stehenden, sagt dann: "Nee, Erdbeergeschmack finden wir komisch." Der 59-Jährige weiß, was seine Marie Kristin will, schließlich kauft er für sie seit vielen Jahren Salmiak-Lollis auf dem Hafengeburtstag. "Das ist eine unserer Traditionen", sagt Rainer Wett. "Wir laufen immer einmal alle Buden ab, vergleichen die Preise und gehen dann zum günstigsten Süßigkeitenstand zurück."
Tochter Marie Kristin hat seit ihrer Geburt noch keinen einzigen Hafengeburtstag verpasst. "Ich bin 22 Jahre, genauso alt wie der Hafen, nur 800 Jahre jünger", sagt sie. Mit drei Wochen war sie zum ersten Mal dabei. In ihrem Tragetuch hat sie damals aber einen Großteil der Attraktionen verschlafen. "Für meine Frau Ursula war das selbstverständlich, und die Kleine war ja auch ein sehr ruhiges Baby", sagt Rainer Wett. Die gebürtige Blankeneserin liebt die Elbe und hat jedes Jahr zum Muttertag, der meist auf des Hafengeburtstagswochenende fällt, nur einen Wunsch: mit der ganzen Familie zum Hafengeburtstag zu gehen und die Auslaufparade zu sehen.
Am vergangenen Sonnabend, an dem sich Vater und Tochter die Großsegler ansahen, musste sie arbeiten. "Darüber hat sie sich schon geärgert, aber zur Auslaufparade ist sie wieder dabei", sagt ihr Mann. Dann sitzt die Familie an einem ihrer Stammplätze und blickt den Schiffen nach.
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"Als wir kleiner waren, fanden wir das oft langweilig, aber dann haben wir Salmi-Lollis bekommen, und die Welt war in Ordnung", sagt Marie Kristin. Wir, damit meint sie sich und ihre fünf Jahre ältere Schwester Annkathrin. Die studiert heute in Leipzig und findet das Fest nicht so wichtig, um dafür extra in den Norden zu kommen. Marie Kristin hingegen hat das Hafengeburtstagsfieber gepackt. Auch sie will später mit ihren Kindern zu dem Fest gehen. Ihren Freund Sebastian, 22, gewöhnt sie schon mal daran. "Der muss jetzt auch immer mit", sagt sie.
In den vergangenen Jahren war der zum ersten Mal dabei. "Aber da war es furchtbar kalt", sagt Marie Kristin und setzt wie zum Beweis für das schöne Wetter an diesem Tag ihre Sonnenbrille auf. "Ja, aber da war es auch langweilig", fügt der Papa hinzu. "Stimmt, da waren nicht mal ein Großsegler da", sagt die Tochter. Und ohne die entsprechenden Boote mache ein Hafengeburtstag ja gar keinen Sinn. Schließlich seien die beiden keine Touristen, sondern echte Hamburger, denen es in erster Linie um die Schiffe gehe. In diesem Jahr gefallen den beiden besonders die alten Windjammer. Sie haben allerdings unterschiedliche Favoriten. Dem Papa gefällt die "Krusenstern" am besten, der Tochter die "Dar Mlodziezy". Zum Feiern kommt Marie Kristin nie auf den Hafengeburtstag. "Dafür gehe ich lieber auf den Kiez", sagt sie. Hier gehe es ihr um die Schiffe, und die sehe man bei Tageslicht nun mal am besten.
Auch kulinarisch hat die Familie aus Lokstedt ihre Festrituale. Die Eltern essen immer ein Fischbrötchen, und dann gibt es für alle Crêpes. "Mit Zucker und Zimt natürlich, wir stehen nicht auf so Schickimickisachen", sagt Rainer Wett. Früher musste er dann immer noch zum Dosenwerfen. "Obwohl er Linkshänder war, war er da ziemlich erfolgreich", erzählt die Tochter und klingt dabei etwas stolz. Die vielen Plüschtiere, die so die ihren wurden, hat sie aber inzwischen entsorgt. Aus dem Alter sei sie schließlich raus.
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Auch was den Hafengeburtstag betrifft, gab es Phasen, in denen deutlich wurde, dass das kleine Mädchen langsam seinen eigenen Kopf entwickelt. "In der Pubertät habe ich ab und zu überlegt, ob ich nicht lieber zu Hause bleibe", sagt Marie Kristin. Dann sei sie ihrer Mutter wegen aber doch mitgekommen, habe aber die ganze Zeit herumgemosert. "Nach dieser Trotzphase lernt man es dann aber irgendwann wieder zu schätzen." Die Einzelhandelskauffrau wohnt noch bei ihren Eltern. Häufig trifft sie sich mit Freunden im Wohnzimmer und Garten der Familie. "Man toleriert uns dann", sagt Rainer Wett in einem scherzenden Ton. "Wir sind eine sehr harmonische Familie, und das fühlt sich sehr gut an." Die Tochter nickt.
Ein Hafengeburtstagserlebnis ist beiden besonders im Gedächtnis geblieben. In den 90er-Jahren sind sie einmal auf dem Eisbrecher "Stettin" bei der Auslaufparade mitgefahren. "Von dort hatten wir einen wundervollen Blick auf die ganze Sache", sagt Rainer Wett. Seine Tochter erinnert vor allem an das Schiffshorn: "Wir sind immer so erschrocken, wenn es "Tut" gemacht hat."