Hamburg. Am Sonntag läuft ein ungewöhnlicher Dokumentarfilm im Zeise. Aus einem Handyprojekt wurde ein so liebevolles wie sehenswertes Stadtteilporträt.
Es klingt wie ein Märchen, aber ist ein Dokumentarfilm. Eine junge Frau verliebt sich in ihren Heimatstadtteil, filmt immer wieder Szenen mit dem Handy. Aus dem Projekt wird eine Leidenschaft und aus dem YouTube-Schnipsel schließlich der ganze Kinofilm „Die Geschichte von Ottensen“. Am Sonntag feiert er um 11 Uhr im Beisein der Regisseurin Laura Dieckmann Premiere im Zeise.
Diese Story erinnert an den Überraschungserfolg des Gängeviertel-Films „Wir waren das dunkle Herz der Stadt“, der seit zwei Jahren im Zeise läuft. Der Film des Kunstverrückten Andreas Karmers, der seinen ersten Film gedreht hatte und die Menschen damit sechs Stunden im Kino fesselt.
Neuer Kinofilm über Ottensen im Zeise: „Heimatkunde im besten Sinne“
Dieses Vorbild hat Zeise-Geschäftsführer Matthias Elwardt und Laura Diekmann ermutigt, es jetzt auf der großen Leinwand zu wagen. „Laura geht den Karmers-Weg. Der Film ist Heimatkunde im besten Sinne – spannend, unterhaltsam, aber eben kein Werbefilm“, sagt Elwardt. In 109 kurzweiligen Minuten erzählt der Streifen von Wachsen und Werden eines faszinierenden Stücks Hamburg: Ottensen von der Frühgeschichte über die mittelalterliche Dorfgeschichte, Industrialisierung und Weltkriegszeit bis ins Heute.
Mit Sprüngen, schrägen Ideen, lustigen Erklärungen und Wendungen verschafft die 25-Jährige auch Ottensen-Kennern noch so manche Aha-Erlebnisse. Der Name Lolli beispielsweise ist eine Erfindung aus dem Stadtteil. Man erfährt auch, dass der Dichter Friedrich Gottlieb Klopstock das Eislaufen nach Hamburg brachte und „Mottenburg“ mit mehr als 100 Fischbetrieben lange das Zentrum der Branche war. Zudem erklärt Dieckmann, wer denn die Namensgeber der Ottenser Straßen und Plätze war, von Alma Wartenberg bis Kemal Altun, und wie Max Brauer und Gustav Oelsner gemeinsam das moderne Hamburg schufen.
Kinofilm über Ottensen: Dieckmanns Interesse wurde in der Max-Brauer-Schule geweckt
Rund zwei Jahre hat sie an dem Film gearbeitet, erzählt die Hamburgerin, die mit zwei Jahren aus Wandsbek nach Ottensen zog und dort die Max-Brauer-Schule besuchte. Die Geschichte der Gebäude ihrer Schule, in der sie als Schulhausmeistertochter aufwuchs, inspirierte sie dazu, den historischen Film zu wagen.
Die 25-Jährige begann mit der Recherche zum Mittelalter und zur Neuzeit, aus der monatelangen Archivarbeit mit Büchern und Bildern entstand ein 80-seitiges Exposé. Später setzte sie dann ihre Ideen mit Freunden, Anwohnern und Stadtteilkennern um. Da sie zu dieser Zeit in Augsburg studierte, musste Diekmann am Wochenende zum Drehen nach Hamburg fahren, weil sie kein Auto besitzt, legte sie alles mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurück.
Herausgekommen ist ein Selfmade-Film von der Idee bis zur Fertigstellung: Geschichtsforschung, intensiver Austausch und Abgleich mit Professoren, mit Museen und Archiven, die Filmaufnahmen, Texte, Dramaturgie, Regie, Schnitt und vieles mehr – die gesamte Produktion hat Dieckmann selbst gestemmt.
Selfmade-Kinofilm: Gewidmet ist der Film den Menschen aus früheren Zeiten
Ihr Umfeld reagierte zwischenzeitlich skeptisch, weil das Projekt immer weiter ausartete, erzählt Dieckmann. Heute sind alle stolz. Nicht ohne Grund: Der jungen Filmemacherin gelingt es, ihre Nachbarn und Freunde mit in die Filmgeschichte einzuweben. Die Früh- und Mittelaltergeschichte lässt sie geschickt über die Archäologische Zentrum Hitzacker und das Freilichtmuseum am Kiekeberg wieder auferstehen, bei den Recherchen zur jüngeren Geschichte ist das Stadtteilarchiv Ottensen ein gigantischer Fundus mit alter Plänen, Karten und Fotografien. Geschickt legt sie die alten Fotos von Bauernhäusern und Fabriken über die heutigen Gebäude.
„Mit dem Film möchte ich mich bei den Menschen von früher bedanken, deren Leistungen oft etwas aus dem Blick geraten“, sagt Dieckmann. Ihr Ansporn ist so bescheiden wie bedenkenswert. Gewidmet hat sie den Film, „den Menschen aus früheren Zeiten, denen mehr Anerkennung gebührt“. Auch für sie hat der Film das Leben verändert. Nach einem Freiwilligen Sozialen Jahr arbeitete sie im pädagogischen Bereich und studierte Geschichte, will nun aber zum Film und hat sich beim NDR als Mediengestalterin in Bild und Ton beworben.
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Andreas Karmers hat den Film bereits gesehen: „Wunderbare Schnitte, aber auch die Prise Humor, die leider oft bei Dokus fehlt“, sagt er. Der Film ist aufgrund seiner einfachen Sprache und des ruhigen Schnitts für Kinder ab zehn Jahren geeignet.
Aufgrund der großen Nachfrage hat das Zeise schon jetzt mehrere Termine festgemacht. Am Sonntag, dem 10. November 2024, um 11 Uhr, findet die Kino-Premiere statt. Danach läuft der Film vorerst bis zum 12. Januar 2015 immer sonntags um 11 Uhr jeweils in Anwesenheit der Regisseurin Laura Dieckmann (außer in der Zeit vom 15. Dezember bis zum 5. Januar).