Hamburg. Bezirk will Sondernutzung bis Ende 2024 weiter erlauben. Nachbarn der beliebten Reh Bar empört: „Das gefährdet unsere Gesundheit“

Während der Corona-Pandemie wurden sie geschätzt: die zusätzlichen Außenflächen für Restaurants, Cafés und Bars in Hamburg. Auch die Nachbarn der Reh Bar in Ottensen gönnten Betreiber Stefan Schmitz, dass er pandemiebedingte Verluste durch die Bewirtschaftung von vier Parkbuchten (je zwei an Ottenser Hauptstraße und Nöltingstraße) mildern konnte. Doch mittlerweile fühlen sich die Bewohner eines gegenüber liegenden Eckhauses durch die Außengastronomie so belästigt, dass sie von Gesundheitsgefährdung sprechen

Das i-Tüpfelchen in dem seit gut einem Jahr schwelenden Nachbarschaftsstreit war ein Antrag von CDU und FDP in Altona, Gastronomen das Betreiben von Sonderflächen bis Ende 2024 zu erlauben. Als sie das hörten, schickte die Hausgemeinschaft einen langen Beschwerdebrief an alle Bezirksfraktionen.

Ottensen: Politik fördert Außengastronomie – Anwohner der Reh Bar sauer

Als „unmittelbar Betroffene der in den vergangenen Jahren immens vergrößerten Außengastronomie der benachbarten Reh Bar“ werde der Antrag mit großer Sorge betrachtet, schrieben sie. „Während er die Bedürfnisse der Gastronomiebetriebe berücksichtigt, würdigt er nicht einmal ansatzweise die erheblichen Auswirkungen auf die Nachbarschaft.“

„Es gab keine einzige Reaktion“, sagt Anwohner Andreas Hake. Der IT-Berater, der seit 2006 im Viertel wohnt und dort im Homeoffice arbeitet, ist stinksauer. Denn der Antrag wurde mittlerweile im Umweltausschuss beraten und von der Bezirksversammlung Altona beschlossen: Um Nachbarschaftsgewerbe in schweren Zeiten zu schützen, sollen Sondernutzungen von Parkbuchten über den Winter und auch 2024 grundsätzlich weiterhin erlaubt sein.

Blick aus der Wohnung von einem der Anwohner der Reh Bar in Hamburg-Ottensen.
Blick aus der Wohnung von einem der Anwohner der Reh Bar in Hamburg-Ottensen. © privat | Privat

Natürlich müsse jeder Einzelfall geprüft und mit der Polizei abgestimmt werden, heißt es aus dem Bezirksamt. Grund für die Verlängerung der Ausnahmegenehmigung sei die „andauernd schwere wirtschaftliche Lage“ der Gastronomen, konkret die anhaltende Inflation, eine massive Verteuerung, insbesondere der Lebensmittelpreise, die Mietpreisentwicklung im gewerblichen Bereich, der sich verschärfende Personalmangel in der Gastronomie sowie die derzeit auslaufenden Steuernachzahlungsfristen und die 2024 anstehenden Mehrwertsteuererhöhung.

Reh Bar: Anwohner beklagen Vermüllung und Verschmutzung durch Gäste

Was die einen entlasten soll, belastet aber andere. „Die zusätzliche Außengastronomie bedeutet für uns als Anwohnende neben einer Zunahme der Vermüllung und Verschmutzung durch Urin und Erbrochenes insbesondere eine dauerhaft völlig inakzeptable Mehrbelastung durch ganz erheblich gestiegene Lärmemissionen“, halten die Nachbarn der Reh Bar dagegen.

Und sie verweisen darauf, dass seitens Bezirk und Politik anfangs nur von einer „temporären Erweiterung der Außengastronomie die Rede gewesen sei. Dieser „temporäre“ Zustand halte aber mittlerweile wegen bereits erfolgter Verlängerungen seit mehreren Jahren an.

Ottensen: „Ich setze nicht für Gastronomen meine Gesundheit aufs Spiel“

Ihre Wohn- und Lebensqualität sei durch die erweiterte Außengastronomie dauerhaft erheblich eingeschränkt. Allabendlich hielten sich bis zu 50 teils erheblich alkoholisierte Gäste der Reh Bar an der Nöltingstraße auf. Die Lärmemissionen gingen „maßgeblich“ von den Gästen der Reh Bar aus und seien „derart erheblich“, dass in Obergeschoss-Wohnungen zeitweise mehr als 70dB gemessen worden seien. Also ungefähr die Lautstärke eines nah vorbeifahrenden Autos.

Vor der Reh Bar an der Ottenser Hauptstraße werden die Parkplätze für Außengastronomie genutzt. Weitere Tische und Bänke an der Nöltingstraße hat der Betreiber bereits abgebaut – aus Rücksicht auf die Nachbarn, wie er betont.
Vor der Reh Bar an der Ottenser Hauptstraße werden die Parkplätze für Außengastronomie genutzt. Weitere Tische und Bänke an der Nöltingstraße hat der Betreiber bereits abgebaut – aus Rücksicht auf die Nachbarn, wie er betont. © Funke Foto Services | Roland Magunia

„Ich setze doch nicht für die wirtschaftlichen Interessen der Gastronomen meine Gesundheit aufs Spiel“, sagt Hake, den der Lärm extrem stresst und der unter Schlafstörungen leidet. Er befürchtet, dass auch im Winter solche Belästigungen drohen. „Was, wenn die Reh Bar uns jetzt einen Weihnachtsmarkt vors Haus setzt?“

Reh Bar in Ottensen: Auch nach Mitternacht sei es noch laut

Bei den Beeinträchtigungen spiele auch eine Rolle, dass die Reh Bar keine Ruhetage habe und wochentags ab 17 Uhr und am Wochenende bereits ab 14 Uhr geöffnet habe, heißt es im Schreiben der Nachbarn. Auch nach den Schließzeiten um 23 beziehungsweise 24 Uhr hielten sich „zahlreiche Personengruppen“ im Kreuzungsbereich auf und störten „infolge der alkoholbedingten Enthemmung“ die Nachtruhe teils erheblich.

Andreas Hake räumt ein, dass der Betreiber der Reh Bar „Maßnahmen zur Einhaltung der behördlich vorgegebenen Öffnungszeiten“ ergriffen habe. Doch spät in der Nacht würden noch Tische und Bänke laut klappernd zusammengeräumt und Leergut entsorgt.

Ottensen: Anwohner fühlen sich „hilflos und ohnmächtig“

Er und seine Nachbarn fordern von der Politik die Wiederherstellung einer Wohnqualität, die der aus Vor-Corona-Zeiten entspricht. „Hilflos und ohnmächtig“ fühle er sich, sagt Hake wütend. „Denn wir können uns zwar beschweren, aber dadurch ändert sich nichts.“

Der Bezirk Altona ist nicht der erste Bezirk, der Außengastronomie auf öffentlichen Flächen im Winter erlaubt. Auch Mitte hatte diese Regelung bereits verlängert – allerdings mit der klaren Maßgabe, dass dies nicht für Lokale in „klassischen Wohnvierteln“ gelte.

Mehr zum Thema

Angesprochen auf die Kritik aus der Nachbarschaft, reagiert auch Stefan Schmitz, Betreiber der Reh Bar, gereizt. „Wir Gastronomen versuchen gerade, die Corona-Folgen, die Energiekosten und die wahnwitzigen Preiserhöhungen zu wuppen – und werden dann mit solchen Beschwerden konfrontiert.“ Er gebe sich „außerordentlich große Mühe“, dass alle Auflagen eingehalten würden, habe dafür sogar einen Türsteher engagiert und bereits, um den Nachbarn entgegenzukommen, die Terrasse an der Nöltingstraße abgebaut.

Ottensen: Betreiber der Reh Bar nennt Vorwürfe zu Schmutz „Kokolores“

„Wir sind hier in Ottensen, im innerstädtischen Bereich, und nicht auf dem Land“, sagt er. Angesichts der verheerenden wirtschaftlichen Lage wären die um ein Jahr verlängerte Ausnahmegenehmigungen für ihn existenziell. „Inhabergeführte Läden wie die Reh Bar machen den Charme des Stadtteils aus. Wenn wir schließen müssen, geht der verloren.“

Den Vorwurf der Nachbarn, dass seine Gäste Straße und Hauseingänge vermüllten und verschmutzten, bezeichnet Stefan Schmitz als „Kokolores“. „Ich habe das Umfeld hier sehr genau im Blick. Diese Vorwürfe sind einfach nicht wahr.“