Hamburg. In einer Großstadt wie Hamburg prallen Lebenswelten aufeinander. Doch wer siegt: Die Corner-Freiheit oder das Recht auf Nachtruhe?
Ah, da hängt er ja wieder. Wie immer Mitte November. Ganz unscheinbar im Flur, neben dem Stromkasten. „Liebe Nachbarn“, steht auf dem Zettel, „ich werde wieder ein Jahr älter und möchte darauf am Sonnabend mit ein paar Freunden anstoßen. Ich entschuldige mich schon mal, falls es ein bisschen lauter werden sollte.“
Klingt ja ganz harmlos. Doch spätestens am Sonnabendabend um 23.30 Uhr wird wieder klar, dass die noch am Vormittag als versöhnliche Geste des Gastgebers im Treppenhaus platzierten Ohropax für die gesamte Hausgemeinschaft des Hamburger Altbaus so gar nichts nützen.
Immobilien Hamburg: Wenn der Bass von unten durch die Altbaudecke wummert
Der Bass wird wieder mit so viel Schmackes von unten durch die Decke dringen, dass man das Gefühl hat, die Matratze könnte jede Sekunde aus dem Bettgestell gedrückt werden. Die „paar Freunde“ werden im Laufe des Abends zu Großraumdisco-Stärke anwachsen und sich nach ein Uhr morgens auch entsprechend artikulieren. Ja, es wird „ein bisschen lauter“ werden, das zeigt die jahrelange Erfahrung mit dem Geburtstagskind, das zumindest partytechnisch nicht älter wird.
Mit Glück werden die Kinder das Spektakel wie durch ein Wunder verschlafen, was jedoch heißt, dass sie spätestens eineinhalb Stunden nachdem die letzten Gäste laut polternd gegangen sind, ihre eigene Party starten werden.
Party im Mehrfamilienhaus: Wann ist man eigentlich so spießig geworden?
Je näher dieses Szenario rückt, desto größer wird die Versuchung, das Ganze nicht, wie vorgehabt, lässig an sich vorbeirauschen zu lassen, sondern zu klopfen und zu bitten, die Musik doch etwas leiser zu drehen. Laut gegen den Fußboden zu hämmern. Im Flur die Sicherungen rauszudrehen. Anonym die Polizei zu rufen. In die Bude zu marschieren und die Boxen vom Balkon zu werfen. Nachdem man die zum 5387-mal zugeknallte Haustür eingetreten hat.
Zu welchem Zeitpunkt, den man in Hamburger Mietwohnungen verbracht hat, ist man eigentlich so spießig geworden? Einmal im Jahr wird das Haus zum Electroclub, das wird ja wohl drin sein. Oder? Man kann ja schließlich auch woanders übernachten. Sollte man sich mal nicht so haben? Darf der Gastgeber das seinen Nachbarn zumuten? Oder muss er sich eine externe Partylocation buchen?
Schanze, Kiez, St. Georg: Darf man sich über Lärm beschweren, wenn man hier wohnt?
Fragen, über die die Anwohner solcher Locations nur müde lächeln können. Wer über, vor oder neben einer Kneipe, einer Bar, einem Club lebt, der weiß, wie aggressiv einen fröhlich feiernde, unbedarfte, sorglose Menschen um zwei Uhr morgens machen können – wenn man selbst seine Ruhe haben oder nichts als schlafen will.
In einer Großstadt prallen diese Welten zwangsläufig in einigen Vierteln aufeinander. Auf dem Kiez, in der Schanze, in St. Georg muss man damit leben. Oder? Darf man sich beschweren, wenn man hier wohnt? Siegt die Corner-Freiheit über das Recht auf Nachtruhe? Schnell ist man dann bei der Frage nach dem Huhn und dem Ei: Wer war zuerst hier – die Barbesucher oder der gemeine Hausbewohner?
Ottensen: Anwohner wehren sich gegen ausufernde Außengastro vor Bar
Aber wie ist es mit Vierteln, die tendenziell eher zum Wohnen gemacht, aber auch zum Ausgehen taugen? So wie Ottensen zum Beispiel. Hier wehren sich Anwohner einer Bar an der Ottenser Hauptstraße dagegen, dass diese weiterhin Außenplätze auf dem Gehweg und den Parkplätzen anbieten kann, wie Politiker es im Sinne der gebeutelten Gastronomen fordern.
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Die Anwohner berichten davon, dass sie es seit Beginn dieser „temporär erweiterten“ Außennutzung seit ein paar Jahren zu Hause selbst bei geschlossenen Fenstern nur noch mit Noise-Cancelling-Kopfhörern aushalten, die Nachtruhe in Folge „alkoholbedingter Enthemmung“ teils erheblich gestört werde und Urin und Erbrochenes in den Hauseingängen zum Alltag gehören. Die ersten seien schon weggezogen.
Immobilien Hamburg: Am Hansaplatz kann man über Lärm und Urin nur lächeln
Im Bezirk Mitte ist bereits beschlossen worden, Außengastronomie auf öffentlichen Flächen auch im Winter zuzulassen. Allerdings nicht in klassischen Wohnvierteln, um die Anwohner nicht zu stören. Eine Ausnahme, so heißt es, sei jedoch der Hansaplatz. Hier werde durch die Außengastronomie „das Sicherheitsgefühl für die Bevölkerung gesteigert“.
Wer hier wohnt, so darf man also annehmen, kann über Lärm, Urin und gestörte Nachtruhe nur müde lächeln.