Hamburg. Die Lage auf dem Immobilienmarkt kann nicht schlechter werden? Oh, doch. Mit dramatischen Folgen für den sozialen Frieden.
Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) brachte es auf den Punkt. Es gibt in Hamburg drei wichtige Themen, sagte er: „Wohnen, wohnen, wohnen.“
Das war auf einem SPD-Landesparteitag – vor fünf Jahren. Heute ist die Lage natürlich ganz anders. Sie hat sich dramatisch verschlechtert. Und das betrifft nicht nur die, die verzweifelt auf der Suche nach einem neuen Zuhause sind, die unter der hohen Mietbelastung ächzen oder ihren Traum vom Eigenheim begraben mussten (den laut Umfragen übrigens eine große Mehrheit der Hamburger hat, auch und gerade die Jüngeren).
Immobilien Hamburg: Selbst die obere Mittelschicht kann sich kein Reihenhäuschen mehr leisten
Die Situation auf dem Immobilienmarkt betrifft uns alle, weil sie den sozialen Frieden gefährdet. Wenn nicht mal mehr die obere Mittelschicht trotz sparsamen Lebensstils ein Reihenhäuschen am Stadtrand finanzieren kann, wenn einige nur in einem Eigenheim leben, weil die Zeiten und die Zinsen damals anders waren, wenn damit der wichtige Aspekt, den Eigentum mit sich bringt – eine Altersvorsorge – wegfällt, führt das bei den Betroffenen nicht nur zu Frust. Sondern zu dem Gefühl massiver Ungerechtigkeit, einem brodelnden Konflikt der Generationen, nackter Zukunftsangst.
Und was macht so was mit den Menschen? Sie stellen das, was ist, infrage und öffnen sich für radikale Gedanken. Auch politisch.
Immobilien Hamburg: Wohnproblem ist Teil eines großen Krisensturms, der über uns hinwegfegt
Das prophezeien derzeit Ökonomen und Soziologen. Im „Spiegel“ wird der Direktor des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung, Jens Beckert, zitiert: „Wir haben eine große gesellschaftliche Verunsicherung, weil wir in einer Polykrise leben. Migration, Klima, Krieg, Wirtschaftskrise, künstliche Intelligenz, China gegen die Vereinigten Staaten – in ganz unterschiedlichen Dimensionen erleben wir Krisen. Dieser Krisensturm befördert Zukunftsängste. Vor allem in der breiten Mitte, der tragenden Säule für Stabilität und liberale Ordnung in der Gesellschaft. Wenn da das Vertrauen schwindet, dass der Staat mit einer Aufgabe wie der Erstellung von angemessenem Wohnraum überfordert ist – dann ist das historisch.“
Laut Jens Beckert ein weiterer Grund für die Leute, nach den politischen Optionen zu greifen, die Sicherheit versprechen. Auch der Leiter des Centrums für Europäische Politik, Henning Vöpel, warnte die Politik kürzlich im Abendblatt vor derartigen Folgen. Und machte deutlich, dass, wenn die Eigentumsquote sinkt, sich die Schere zwischen Arm und Reich weiter öffnet.
Wohnen in Hamburg: Baubranche ist gekniffen – es öffnet sich der Teufelskreis
Schließlich hängt hier alles miteinander zusammen. Wer nicht kaufen kann, muss mieten. Mit der Konsequenz, dass sich das Angebot drastisch verknappt, und die Menschen – egal ob sie viel oder wenig verdienen – rund ein Drittel ihres Gehalts fürs Wohnen berappen. Auch das war schon vor fünf Jahren so und wird sich so schnell nicht ändern, dafür wird zu wenig gebaut, denn die Baubranche ist ebenso gekniffen wie Immobiliensuchende. Schöne Grüße aus dem Teufelskreis.
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Während man vor fünf Jahren wenigstens noch die Bautätigkeit in Hamburg preisen konnte („Wir sind in der Wohnungsbaupolitik in ganz Deutschland Vorbild“, hieß es auf oben genanntem Parteitag vom stolzen Bürgermeister), erleben wir laut dem Vorsitzenden des Landesverbands Nord des Bundesverbands Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen (BFW) derzeit einen „dramatischen Absturz“. 60 Prozent der Firmen hätten genehmigte Bauvorhaben im vergangenen Jahr nicht mehr begonnen. Und in diesem Jahr werde sich die Lage: dramatisch verschlechtern.
Immobilien Hamburg: Wer hier wohnt, muss nicht pendeln – doch die Zahl der Pendler steigt
Dass der Wohnungsbau übrigens auch in anderer Hinsicht wichtig sei, verkündete Tschentscher ebenfalls 2018: Angesichts von 300.000 Pendlern führe jeder, der in Hamburg arbeitet und hier auch eine Wohnung findet, zu weniger Verkehr, weniger Lärm und weniger Umweltbelastung.
Und wie ist die Lage heute? Aktuell pendeln laut Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung 378.000 Menschen nach Hamburg. Daran hat natürlich auch Corona Schuld, und viele bleiben im Homeoffice. Aber weniger Verkehr, weniger Lärm, weniger Umweltbelastung? Sagen wir so: Verbessert hat sich die Lage hier nicht.