Hamburg. Es ist der Ort im Haus, dem man schonungslos ausgeliefert ist. Trotzdem wird er zu oft vernachlässigt. Appell in die Nasszelle.
Eigentlich ist sie ja ganz nett anzusehen. Löwenmähne, aparte Rundungen, sinnlicher Blick. Gibt schlimmere Motive, möchte man meinen, zumindest wenn man gerade im Urlaub auf der Peloponnes weilt. Oder bei Moussaka und Souvlaki beim Griechen seines Vertrauens. Da würde ein Wandgemälde von Aphrodite wohl Sinn ergeben.
Für die Göttin der Liebe, der Schönheit und der sinnlichen Begierde ist dagegen ein Badezimmer in einem 80er-Jahre-Reihenmittelhaus in Hamburg-Osdorf nicht ganz die natürliche Umgebung.
Immobilien Hamburg: schrecklich schön – Berichte aus dem Badezimmer
Und dennoch prangt sie da fast lebensgroß in ihrer ganzen Pracht über der Badewanne. Und weil es so schön ist, auch noch einmal auf den in einem dezenten Schlackebraunton gehaltenen Kacheln in der Dusche. Dort räkelt sie sich, thematisch vom versierten Fliesenleger mit Bedacht platziert, am Fuße eines Wasserfalls, während sie auf der anderen Seite des Bades lasziv mit einem Strang Trauben hantiert.
Und weil man in Sachen Interior Design unbedingt seinem Stil treu bleiben sollte, schmücken zwei weitere Liebesgöttinnen auch die Wände im Gäste- sowie im Kinderbad.
Wer in Hamburg ein Eigenheim besitzt, muss bei Investitionen pragmatisch sein
Ja, als die Bewohner dieses göttliche Reihenhaus vor ein paar Jahren erworben haben, ist ihnen durchaus der Gedanke gekommen, die Bäder einer kleinen bis vollumfänglichen Sanierung zu unterziehen und diese damit nicht nur zu entaphroditisieren, sondern in demselben Zuge auch sämtliche auf Säulenstandfüßen thronende Waschbecken sowie goldumrandete Toiletten auszutauschen.
Doch wer ein Eigenheim besitzt und den damit einhergehenden Kredit zu bedienen hat, der wird pragmatisch. Schönheitskuren rund um griechische Schönheiten müssen leider nachrangig behandelt werden, wenn sie mit noch aus dem Baujahr stammenden und somit recht zugigen Fenstern und einer auseinanderfallenden Küche konkurrieren.
Wohnen in Hamburg: Richtig fies sind Badezimmerfliesen in HSV-Blau
So sitzt die Familie nun hinter Dreifachverglasung am maßgeschneiderten Küchenblock mit integrierter Induktionsplatte und einem Bora X Pure, dem Mercedes der Kochfeldabzüge, und geht zum Duschen in ihre antike Therme.
Dabei ist das Badezimmer doch das heimliche Herz des Hauses. Weniger prominent als Küche und Wohnzimmer, nicht so zwingend gemütlich wie das Schlafzimmer und natürlich auch kein Vergleich zu den liebevollst arrangierten Kinderzimmern. Und doch ist es der Ort im Zuhause, der eigentlich das größtmögliche Wohlgefühl auslösen, der wohnlich, sanft und behaglich sein sollte.
Schließlich ist der Bewohner diesem Raum wie keinem anderen ausgeliefert, denn hier lässt er seine Hüllen fallen, hier macht er sich nackig, zeigt sich, wie Gott ihn schuf. Ein Zustand, in dem man eigentlich von schmeichelndem Licht und angenehmen Materialien umgeben sein möchte und keine Lust hat, sich von einer römischen Sexgöttin mustern zu lassen.
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Oder das Ganze, also sich, im Lichte einer Neonröhre vor grünen Kacheln zu betrachten (damit ist kein „besinnliches Waldgrün“ aus der Schöner-Wohnen-Designfarbpalette, sondern eher ein schreiendes Türkisgrün gemeint). Ja, auch derartige Badezimmer gibt es hierzulande noch zuhauf, gerne auch knallrot, eidottergelb oder, richtig fies, HSV-blau gefliest, und das selbstverständlich wie in einer Fleischerei bis zur Decke.
Immobilien Hamburg: Das Bad – kein lebenswerter Raum, sondern trostlose Nasszelle
Wer in so einer Umgebung morgens mit verquollenen Augen in den an den Rändern leicht angelaufenen, plastikumrahmten Spiegelschrank guckt, muss doch eigentlich direkt die Nummer des nächsten Abbruchunternehmens googeln. Aber nein, viele können sich nicht wehren und müssen damit leben, dass ihr Vermieter nicht wenigstens in die weiße Ideal-Standard-Version aus dem Baumarkt investieren wollte. Andere wiederum stört es anscheinend gar nicht, dass ihr Bad kein lebenswerter Raum, sondern eine trostlose Nasszelle ist.
Dann doch lieber gleich so wie in der Altbau-WG damals, in der die Dusche nachträglich in die Speisekammer in der Küche eingebaut wurde. Leicht gewöhnungsbedürftig, keine Frage, doch wer nass aus der Kammer kam, stand zumindest wirklich im Herzen des Hauses.