Recklinghausen. Die Videoplattform TikTok stellt dem Hashtag #BookTok stellt ausgerechnet die Buchbranche auf den Kopf. Was hat die Buchhandlung vor Ort davon?
„Ein Trend“, hieß es noch bis vor ein paar Monaten, wenn über BookTok gesprochen wurde. Doch der Trend hat sich etabliert, ist nicht mehr wegzudenken aus der Welt der gedruckten Bücher. Denn längst sind es nicht mehr nur Leser- und Leserinnen, sondern auch Verlage, Autoren und Autorinnen und Buchhandlungen, die mit kurzen Videos das Lesen im Allgemeinen und sich im Speziellen bewerben. Auch eine Buchhändlerin aus Recklinghausen macht mit.
BookTok ist eine von vielen Seiten der Plattform TikTok. Und eigentlich ist BookTok nichts anderes als die Fortsetzung von Booktube und Bookstagram, die es seit über zehn Jahren gibt. Aber BookTok ist anders, ist schneller, ist unterhaltsamer. Die Buchvorstellungen kommen meistens mit wenigen Worten aus, es geht weniger um Stil und Sprache, es geht um Gefühle und Stimmungen, die die gelesenen Bücher ausgelöst haben.
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Booktoker erstellen Listen ihrer Lieblingsreihen, halten Bücher in die Kamera, in denen sie mit vielen bunten Klebezetteln ihre Lieblingsstellen markiert haben. Sie schwärmen, loben und sind nach der Lektüre manchmal noch so ergriffen, dass die Tränen fließen. „Das Buch hat mich bewegt“, sagt die eine. „Voll krass, ich bin geschockt“, lautet das Fazit einer anderen. Es sind Emotionen, die in klassischen Rezensionen selten bis nie auftauchen.
Mit BookTok neue Leute kennenlernen
Es geht aber auch darum, Orientierung zu geben und Schätze zu heben, die in der Flut der wöchentlichen Neuerscheinungen untergegangen sind. Mehr noch: Während Lesen bei jungen Menschen lange Zeit als Hobby für Streber und Loser galt, ist BookToking cool und hilft, neue Leute kennenzulernen. Denn der Algorithmus von Tiktok sorgt dafür, dass die Videos hauptsächlich Menschen angezeigt werden, die ebenfalls gerne lesen.
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Für Neulinge ist BookTok eine Chance, gesehen zu werden, für Profis eine Möglichkeit, neue Leserschichten zu erreichen. Und bei jedem veröffentlichten Video schwingt die Hoffnung mit, es könne viral gehen. Tut es das wirklich, steigt automatisch die Nachfrage. Britt Spengler, Inhaberin von „Britts Bücherforum“ in Recklinghausen kann das bestätigen. „Man merkt schon, was bei BookTok so vorgestellt wird“, sagt die 38-Jährige.
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Zwar hat sie – anders als die großen Buchhandelsketten, die fix ein Eckchen dafür frei gemacht haben – noch kein eigenes BookTok-Regal in ihrem Laden, aber BookTok-Neuheiten und -Bestseller liegen gemeinsam auf einem Tisch. Denn BookTok hat auch das Aussehen der Bücher verändert. „Die Cover werden sehr aufwändig gestaltet“, erklärt die Buchhändlerin. Gerne sind sie pastellfarben (blau und rosa), haben oft ein Relief. „Und immer öfter haben die Seiten einen Farbschnitt“, sind mal einfach bunt, mal mit Ornamenten oder Zeichen geschmückt, die zum Thema des Buches passen.
Booktok führt dazu, dass viele die Romane verkehrt herum ins Regal stellen
Das hat dazu geführt, dass viele Booktoker die Romane verkehrt herum ins Regal stellen, damit man den Effekt auch sieht. Diese Bücher sind zwar – aufgrund der deutschen Buchpreisbindung – nicht teurer, meist aber limitiert und deshalb besonders begehrt „Deshalb stehen sie kurz nach Erscheinen oft für viel Geld bei Ebay“, weiß Spengler. Das findet sie nicht gut, ist sich aber klar, dass das Buch-Tuning auch Vorteile hat. „Da kann ein E-Book nicht mithalten.“
Sie selbst nutzt die Plattform, um Influencern, Verlagen und Autoren zu folgen. „Eine Praktikantin hat mir erzählt, dass sie sich dort über neue Bücher informiert. Da habe ich mich dann reingefuchst.“ Eigene Videos hat Spengler auch eingestellt. „Es sind noch nicht viele, aber trotzdem bin ich schon drauf angesprochen worden. ,Dich kenne ich doch von BookTok.’“ Deshalb will sie in Zukunft auch öfter vor die Kamera treten und eigene Tipps geben. „Ich glaube, das Thema wird immer wichtiger.“
Das glaubt sie nicht alleine. „Das ist kein Randphänomen mehr, sondern ein ernstzunehmender Trend für die Buchbranche“, sagt Thomas Koch vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels. Schließlich müssten Bücher den Menschen dort begegnen, wo sie sich aufhalten – und gerade bei der jungen Zielgruppe sei das eben auch TikTok.
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In den USA ist das schon länger bekannt. Laut einer Marktanalyse war die Plattform dort allein im Jahr 2021 für den Verkauf von 20 Millionen Büchern verantwortlich. Ein Großteil davon hat Coleen Hooper geschrieben, die allein acht Titel in den Top 25 der Print-Bestsellerliste 2023 hatte. Zwar war die Texanerin schon vor TikTok nicht gänzlich unbekannt in den USA, doch erst als ihr bereits 2016 erschienenes Buch „It Ends with us“ (deutscher Titel: „Nur noch ein einziges Mal“) 2021 bei BookTok angepriesen wurde, explodierten die Verkaufszahlen. Rund 8,6 Millionen Exemplare wurden allein 2022 verkauft.
Noch beeindruckender ist das Beispiel von Lloyd Devereux Richards. Vierzehn Jahre lang hatte der heute 74-jährige Jurist an seinem Thriller „Stone Maidens“ geschrieben, aber der bei Amazon selbst veröffentlichte Roman fand nur wenig Beachtung. Bis seine Tochter ihren Vater ohne sein Wissen filmte und den Clip bei BookTok einstellte. Nur 17 Sekunden lang ist das völlig unspektakuläre Video, in dem ein grauhaariger Mann Papiere sortiert und am Computer sitzt. Es endet mit dem Satz: „Ich würde mich so für ihn freuen, wenn er ein paar Exemplare mehr verkauft. Kurze Zeit und 40 Millionen Aufrufe später steht Richards Buch auf Platz Eins der Kategorie „Polizei-Thriller“.
Junge Leser greifen dank BooktTok schneller zu und geben mehr Geld aus
Jedenfalls lohnt sich BookTok für alle Beteiligten. Eine GfK-Analyse im Auftrag des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels und des Buchgroßhändlers Libri kam zu dem Ergebnis, dass junge Menschen wieder mehr Geld für Bücher ausgeben. Besonders stark, heißt es darin, seien die Zuwächse mit 19 Prozent bei den 16- bis 19-Jährigen. Und mehr als jeder vierte Euro des für diese Bücher ausgegebenen Geldes lässt sich laut dieser Analyse auf Empfehlungen in sozialen Netzwerken zurückverfolgen.
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Mittlerweile aber ist Tiktok nicht nur eine Plattform für die ganz Jungen. Der demografische Wandel schlägt sich auch auf BookTok nieder. Natürlich sind noch immer vor allem Romance, Young Adult oder Fantasy die beherrschenden Themen auf der Plattform, inzwischen aber gibt es auch „Belletristik für Erwachsene“, die dort von den Verlagen vorgestellt wird. Klassiker, die vielen aus der „Generation Z“ bisher unbekannt sind. Im besten Fall, heißt es aus den Pressestellen der Branche, lasse sich BookTok als nachhaltiges Marketinginstrument einsetzen, mit dem man langfristig ganz unterschiedliche Bücher auf der Plattform im Gespräch halten könne. Dass genau das funktioniert, sieht man schon anhand von einigen Dauerbrennern: So hielt sich „Die 1%-Methode“ von James Clear, ein Ratgeber dazu, wie man mit kleinen Gewohnheiten große Veränderungen bewegt. Der Titel stand zuletzt auf Platz 3 der BookTok-Charts – schon Anfang 2020, also während des ersten großen Lockdowns, war er weit oben. Auch Matt Haigs „Mitternachtsbibliothek“ (Platz 4) stammt aus dem Jahr 2021, beides also Beispiele für die Nachhaltigkeit des BookTok-Erfolgs.
„Es ist eine Chance, die man nutzen sollte“, sagt auch Britt Spengler. „Zum Beispiel, um der Kundschaft zu zeigen, dass auch ihre Buchhandlung vor Ort die meisten Bücher von einem Tag auf den nächsten beschaffen kann. Wenn sie nicht ohnehin vorrätig sind.“
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