Essen. Es braucht 50 neue Gaskraftwerke, um den Kohlestrom ersetzen zu können. Doch noch fehlt Habecks Konzept – und nun auch Geld aus dem Klimafonds.

Wenn in vier Wochen die Silvesterraketen steigen, bleiben noch sechs Jahre bis zum Kohleausstieg, zumindest in NRW. Doch die klimaschädlichen Kraftwerke vor allem im rheinischen Braunkohlerevier können nur abgeschaltet werden, wenn bis dahin genügend neue Gaskraftwerke laufen, die den Kohlestrom ersetzen können. Bisher dauerte es vom Genehmigungsantrag an durchschnittlich sieben Jahre, bis ein Gaskraftwerk ans Netz gehen konnte. Dass es langsam eng wird, ist also offensichtlich. Und der Grund dafür liegt ausgerechnet dort, wo der vorgezogene Kohleausstieg geplant wurde: In der Bundesregierung.

Die Ampel hatte in ihren Koalitionsvertrag nicht nur geschrieben, dass der Kohleausstieg idealerweise auf 2030 vorgezogen werden solle, sondern auch, dass dies nur mit dem Bau moderner Gaskraftwerke gelinge, die später auf grünen Wasserstoff umgestellt werden können. Sie zu bauen, sei kein Problem, betonen die Stromkonzerne. Was fehlt, ist der gesetzliche Rahmen, den das Bundeswirtschaftsministerium von Robert Habeck (Grüne) bereits für den vergangenen Sommer versprochen hatte.

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Über die staatliche Förderung des Zubaus und die Bezahlung des Stroms aus den Reservekraftwerken gab es schon bisher keine Einigkeit zwischen Habeck und Finanzminister Christian Lindner (FDP). Nun kommt noch die Haushaltskrise nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts hinzu: Denn für die neuen Gaskraftwerke sollte es nicht nur eine besondere Vergütung, sondern auch Investitionskostenzuschüsse vom Bund geben.

Habeck-Ministerium: Nach Verfassungsurteil hängt alles mit allem zusammen

Eine Sprecherin des Wirtschaftsministeriums sagte am Freitag der dpa, die Kraftwerkstrategie solle „so schnell wie möglich präsentiert werden“, schränkte aber zugleich ein, mit Blick auf das Karlsruher Haushaltsurteil hänge nun „alles mit allem zusammen“. Bisher ist unklar, ob und wie das entstandene 60-Milliarden-Haushaltsloch gestopft werden soll. Für 2023 verständigte sich die Ampel auf einen Nachtragshaushalt, aber für 2024 kündigte Finanzminister Lindner „harte Verhandlungen“ mit den anderen Ministerien und seinen Koalitionspartnern an.

Ohne entsprechende Mittel gibt es aber auch kein Kraftwerkskonzept. RWE-Chef Markus Krebber stellte vor wenigen Tagen unmissverständlich klar: Ohne den versprochenen staatlichen Rahmen „werden wir die Kraftwerke nicht bauen“, sagte er. Die Stromkonzerne fordern vor allem, dass die Kapazitäten der Kraftwerke und nicht der tatsächlich erzeugte Strom vergütet werden. Anders würden sich die Kraftwerke nicht rechnen. Denn sie sollen nur in „Dunkelflauten“ laufen, wenn zu wenig Ökostrom aus Wind und Sonne ins Netz fließt. Krebber glaubt zwar, durch die von Habeck beschleunigten Verfahren inzwischen schneller bauen zu können. Aber spätestens im nächsten Jahr müsse man loslegen, um 2030 aus der Kohle aussteigen zu können.

Stadtwerke: jeder weitere Aufschub gefährdet Kohleausstieg

Die Stadtwerke sehen das noch etwas dramatischer: „Jeder weitere Aufschub der bereits für diesen Sommer angekündigten Kraftwerkstrategie muss vermieden werden“, warnte Ingbert Liebing die Regierung, er ist Hauptgeschäftsführer des Verbands kommunaler Unternehmen (VKU). Denn: „Ansonsten droht uns eine Versorgungslücke oder der Kohleausstieg kann nicht wie geplant stattfinden.“

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Deutschland benötigt je nach Größe etwa 40 bis 50 neue Gaskraftwerke, um die Stromlücke nach dem Kohleausstieg füllen zu können, sie müssen insgesamt mehr als 20 Gigawatt (GW) Erzeugungskapazität erreichen, Skeptiker fordern wegen des steigenden Strombedarfs sogar 30 GW. RWE hat zugesagt, Gaskraftwerke an bestehenden Standorten mit einer Gesamtkapazität von „mindestens drei GW“ bis 2030 zu bauen. Gemessen am Anteil des Essener Marktführers sei das eigentlich zu wenig, räumte Krebber unlängst auf Nachfrage unserer Redaktion ein. Doch bevor noch nicht einmal für diese Kraftwerke der gesetzliche Rahmen stehe, falle es schwer, weitere Investitionsmittel freizumachen.

EnBW-Chef: Ohne Planungssicherheit kein weiteres Gaskraftwerk

Den Bauauftrag für ein großes 800-Megawatt-Gaskraftwerk in Weisweiler hat RWE längst vergeben, seine Investitionsentscheidung aber unter den Vorbehalt gestellt, dass die Politik die regulativen Voraussetzungen für den Betrieb schafft. Der baden-württembergische Stromkonzern EnBW will bereits 2028 seine letzten Steinkohlekraftwerke abschalten und dafür drei wasserstofffähige Gaskraftwerke bauen. Das erste in Stuttgart ist bereits im Bau und soll bis 2025 fertig werden.

Damit ist EnBW gut in der Zeit, aber: „Ohne Planungssicherheit werden wir keine weiteren Investitionsentscheidungen treffen können“, sagte jetzt auch Konzernchef Andreas Schell dem Spiegel. Und auf die gesamte Republik gemünzt: „Wenn die Kraftwerkstrategie nicht bald kommt, wird Deutschland 2030 nicht aus der Kohle aussteigen können.“

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Die vom VKU vertretenen Stadtwerke legen den Finger in eine weitere Wunde: Ohne den Bau neuer Gaskraftwerke, die nicht nur Strom, sondern auch Wärme erzeugen, gerate auch Habecks Wärmewende in Gefahr. Denn der Minister setzt neben elektrischer Wärmeerzeugung etwa durch Wärmepumpen vor allem auch auf den Ausbau der Fernwärmenetze. Die funktionieren auch mit Industrie-Abwärme, benötigen vielerorts aber Heizkraftwerke als verlässliche Einspeisequellen. „Auch um den Aus- und Umbau der kommunalen Wärmenetze abzusichern, sind KWK-Anlagen essenziell“, sagte VKU-Geschäftsführer Liebing. Die Bundesregierung müsse „nun sehr zügig eine Einigung erzielen“, forderte er.

Lindner nennt Kohleausstieg 2030 „Träumerei“

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Danach sah es zuletzt aber ganz und gar nicht aus. Lindner stellte den Kohleausstieg 2030 als grüne „Träumerei“ grundsätzlich infrage. Gegenüber dem Kölner Stadtanzeiger bekräftigte er zwar, dass es für den Übergang neue Gaskraftwerke in Deutschland brauche. Zugleich ließ er aber Zweifel an einer finanziellen Flankierung des Zubaus durch den Staat erkennen, als er sagte: „Aber die Frage ist, wie dies so effizient marktwirtschaftlich gelingt, dass die Strompreise nicht weiter steigen.“