Essen. Lindner kritisiert Kohleausstieg 2030 in NRW. Das treibe die Preise und spreche gegen Industriestrompreis. Was NRW-Ministerin Neubaur erwidert.
FDP-Chef und Bundesfinanzminister Christian Lindner kritisiert den in NRW auf 2030 vorgezogenen Ausstieg aus der Braunkohle – und geht damit erneut auf Konfrontationskurs zu seinem grünen Koalitionspartner in der Ampel-Regierung. Das Ende der Kohleverstromung sorge für eine künstliche Verknappung der Strommenge und sei damit verantwortlich für die hohen Preise.
Lindner argumentiert damit vor allem gegen den von den Grünen, der SPD und der Industrie so vehement geforderten Industriestrompreis. „Wenn Robert Habeck wegen der gestiegenen Energiepreise für einen Industriestrompreis wirbt, dann soll er bitte auch öffentlich machen, welchen Effekt der vorzeitige Kohleausstieg 2030 auf die Energiepreise hat“, forderte Kabinettskollege Lindner. Man könne mit einem solchen Schritt nicht einerseits die Energieproduktion verknappen „und andererseits mit dem Industriestrompreis genau diese Knappheitspreise runtersubventionieren wollen“.
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Bundeswirtschaftsminister Habeck und die grüne NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur hatten sich vor einem Jahr mit RWE-Chef Markus Krebber darauf geeinigt, dass der Essener Dax-Konzern seine Braunkohle-Tagebaue im rheinischen Revier bereits 2030 und damit acht Jahre früher als ursprünglich geplant ruhen lässt und damit auch die besonders klimaschädliche Erzeugung von Braunkohlestrom einstellt.
RWE verfeuert bis 2030 mehr Braunkohle als ursprünglich geplant
Im Gegenzug durfte RWE allerdings im Lichte der Energiekrise nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine seine bestehenden Braunkohleblöcke länger als geplant laufen lassen und sogar bereits stillgelegte Reservekraftwerke reaktivieren. Erst Anfang Oktober erteilte die Bundesregierung auch für diesen Winter die Erlaubnis, die Braunkohlereserve zu nutzen. Im vergangenen und in diesem Jahr ist also nicht weniger, sondern mehr Braunkohlekapazität am Stromnetz, um Knappheiten etwa durch die Abschaltung der Atomkraftwerke aufzufangen.
Lindners Verknüpfung des RWE-Deals mit dem Industriestrompreis ist bemerkenswert, nicht nur, weil er damit Habeck und das im Koalitionsvertrag gemeinsam festgehaltene Ziel kritisiert, möglichst bis 2030 aus der Kohle auszusteigen. Sondern vor allem, weil die jeweiligen Zeitschienen gar nicht übereinander liegen. Habeck hat einen staatlich subventionierten Brückenstrompreis von sechs Cent je Kilowattstunde (kWh) für energieintensive Industrien vorgeschlagen, der bis 2030 gelten soll. Ähnliches schlägt dei SPD vor.
XHTML Wirtschaftsreporter Aktuellste Podcast-Folge WAZ-onlyBis dahin wird RWE mit dem Segen von Habeck und Neubaur mehr Braunkohle verbrennen als nach dem ursprünglichen Ausstiegspfad vorgesehen wäre. Bis 2030 verknappt Braunkohle demnach nicht die Strommenge, sondern vergrößert sie. Deshalb haben Klimaschützer den Deal der Grünen mit RWE seinerzeit auch heftigst kritisiert. Habeck und Neubaur argumentieren dagegen, dass durch ihren Kompromiss im Vergleich zur Förderung bis 2038 unterm Strich rund 280 Tonnen Braunkohle in der Erde bleiben.
„Den Braunkohleausstieg im Rheinischen Revier 2030 für die aktuell gestiegenen Strompreise verantwortlich zu machen, ist weder zeitlich noch von der Kapazität her nachvollziehbar“, erwiderte NRW-Wirtschaftsministerin Neubaur auf Lindners Äußerungen. Sie betonte, der Ausbau Erneuerbarer Energien werde helfen, die Energiepreise zu senken. Aber: „In der Übergangszeit brauchen die energieintensiven Unternehmen eine klare Perspektive: NRW setzt sich daher gegenüber dem Bund gemeinsam mit vielen anderen Bundesländern für die Absenkung der Stromsteuer sowie einen Brückenstrompreis ein“, sagte Neubaur auf Anfrage unserer Redaktion.
Lindner: Industriestrompreis nicht finanzierbar
Lindner wehrt sich mit Rückendeckung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) gegen einen Industriestrompreis, den Grüne, die SPD-Fraktion im Bundestag, die Industriegewerkschaften IG Metall und IGBCE sowie natürlich die betroffenen Industrien vehement einfordern. Andernfalls sei die Grundstoffindustrie in Deutschland in ihrer Existenz gefährdet. „Unsere Industrie steht am Scheideweg. Das Haus brennt, und wir brauchen den Brückenstrompreis dringend als Löschwasser“, mahnt etwa Markus Steilemann, Präsident des Verbands der Chemieindustrie (VCI).
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Nach einem Besuch der FDP-Landtagsfraktion in Düsseldorf bekräftigte Lindner am Dienstag, das sei „schlicht finanziell nicht darstellbar“. Die Kosten für den Brückenstrompreis werden bis 2030 auf insgesamt rund 30 Milliarden Euro geschätzt. Als Gegenvorschlag schlägt Lindner eine Senkung der Stromsteuer vor. Das sei fairer, weil davon alle etwas hätten. „Von der Bafög-Empfängerin bis zum Rentner, vom Handwerksbetrieb bis zum produzierenden Gewerbe würden alle davon profitieren“, sagte Lindner.
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Das hat auch NRW-Ministerin Neubaur im Gespräch mit unserer Redaktion gefordert, zusätzlich zum Brückenstrompreis. Der Industrie würde die Senkung der Stromsteuer allerdings nicht reichen. Sie beträgt derzeit 2,05 Cent pro Kilowattstunde (kWh), das europäische Minimum liegt bei 0,05 Cent für Unternehmen. Sie könnten demnach zwei Cent sparen, was den aktuellen Preis bei Neuabschlüssen von durchschnittlich rund 21 Cent auf 19 Cent drücken würde.