Düsseldorf. Noch immer sind 33.000 Ausbildungsplätze in NRW zu haben. Der Kampf der Arbeitgeber um die jungen Köpfe wird härter. So werben die Branchen.

Alle ziehen an der gleichen, viel zu dünnen Personaldecke: Wohl nirgends wird das so deutlich wie im Kampf der Betriebe um den Nachwuchs. Vor dem offiziellen Beginn des neuen Ausbildungsjahres sind in NRW noch 33.000 Ausbildungsplätze unbesetzt, bei nur 17.000 jungen Menschen, die sich beworben, aber noch keine Stelle gefunden haben. Bei der Jahresbilanz warben Handwerk, Industrie, Handel und die Freien Berufe gleichermaßen um die wenigen übrigen Jugendlichen. Doch wenn eine Branche Fortschritte bei der Rekrutierung macht, werden die Lücken der anderen immer größer.

Der allgemeine Nachwuchsmangel kennt immense Ausschläge und nimmt in einzelnen Berufen dramatische Züge an. Während sich etwa Softwarefirmen, Immobilienmakler sowie nach wie vor Autowerkstätten und Arztpraxen nicht über zu wenige Bewerbungen beklagen können, sieht es etwa auf dem Bau und im Lebensmittelhandwerk finster aus. Über alle Ausbildungsberufe kommen aktuell noch 50 unversorgte Bewerberinnen und Bewerber auf 100 Stellen, in der Gastronomie dagegen nur 14, im Tiefbau 13 – und auf 100 freie Stellen im Lebensmittelverkauf sogar nur noch ganze drei. Viele Bäckereien und Metzgereien schreiben ihre Stellen inzwischen umsonst aus – sowohl fürs Handwerk als auch für den Verkauf.

podcast-image

Besserung ist nicht in Sicht: „Auf der einen Seite gehen in den nächsten zehn Jahren eine Million Fachkräfte in den Ruhestand, auf der anderen kommen immer weniger junge Menschen nach“, beschreibt Roland Schüßler, Chef der Bundesagentur für Arbeit in NRW, eine Demografiefalle aus beiden Richtungen. Auf zehn Ältere, die gehen, folgen nur sieben Junge, präzisiert Handwerkspräsident Berthold Schröder.

20 Prozent weniger Bewerbungen in Industrie und Handel

Die Bundesagentur zieht in NRW seit Jahren gemeinsam mit den Berufsverbänden Bilanz. Das ist schon deshalb sinnvoll, weil viele Betriebe ihre Ausbildungsplätze eigenständig besetzen und sie der BA gar nicht erst melden. Die aus den offiziellen Zahlen zu lesende Tendenz bestätigen aber sowohl das Handwerk auch auch Industrie und Handel sowie die Freien Berufe, also Arztpraxen, Rechtsanwälte und Steuerberater. Stefan Hagen, Vizepräsident der IHK NRW, betont die Nachwirkungen der Pandemie für seine Branchen: Gegenüber 2019 hätten sich diesmal 20 Prozent weniger junge Frauen und Männer um Lehrstellen in Handel und Industrie beworben.

Das hat nach seinen Erfahrungen auch zur Folge, dass es selbst innerhalb einzelner Berufe zu Verwerfungen kommt – zwischen großen und kleinen Betrieben. Die Großen hätten keine Probleme, etwa Maschinenbau-Azubis zu finden. „Kleine Betriebe bekommen dagegen oft keine einzige Bewerbung mehr. Einige bilden deshalb gar nicht mehr aus“, weiß Hagen. Früher hätten sie gelernte Maschinenbauer von den Großbetrieben übernehmen können, weil diese über Bedarf ausgebildet haben. Aber auch das gebe es nicht mehr.

Alle werben um die gleichen, wenigen Jugendlichen

Die drei großen Ausbildungsbereiche buhlen alle gleichermaßen um die gleichen jungen Menschen. „In fünf Jahren vom Azubi zum Chef – im Handwerk geht das“, wirbt Handwerkspräsident Schröder. „Die Karriereaussichten sind in der Industrie und im Handel brillant“, sagt IHK-Vize Hagen. „Wer seine Ausbildung abschließt, hat eine Anstellung so gut wie sicher. Arbeitslosigkeit gibt es bei uns so gut wie nicht“, trommelt Christian Auffenberg, Vorstand im Verband Freie Berufe NRW.

Auch interessant

Was allen helfen würde, wäre es, zumindest die Jugendlichen, die eine Lehre beginnen wollen, aber noch keine haben, unterzubringen. „Es ist auch zum 1. Oktober oder 1. November noch möglich, eine Ausbildung zu beginnen“, betont Schröder. Diese Verlängerung des Ausbildungsjahres ist fast schon zum Standard geworden in den vergangenen Jahren, damit möglichst viele noch in letzter Minute aufspringen. Auch die Betriebe müssten weiter werben, auch auf sozialen Netzwerken, um die Jugendlichen zu erreichen, appelliert der Handwerkspräsident.

Wenn alles passt, ist oft der Weg zu weit

Doch wenn sonst vielleicht alles zwischen Bewerber und Betrieb passt, bleibt oft immer noch eine große Hürde: Der Weg zur Ausbildungsstätte. Die mangelnde Mobilität der Jugendlichen ist ein altes Thema, aber mit jedem Jahr, in dem Zehntausend Lehrstellen im Land verwaist bleiben, wird es aktueller. Vor allem für das Ruhrgebiet. „Fast überall in NRW werden mehr Plätze angeboten als sich Jugendliche bewerben. Im Ruhrgebiet ist es immer noch umgekehrt“, sagt BA-Chef Schüßler. Darin liege eine große Chance, wenn Betriebe etwa in Südwestfalen oder dem Münsterland Jugendliche aus dem Ruhrgebiet ausbilden könnten. Aber: „Wir müssen einräumen, dass uns das bisher nicht gelungen ist.“

Wenn der Weg weit und teuer ist, gibt es zwei Möglichkeiten: Den Azubis die Fahrtkosten oder ihnen im Ausbildungsort eine Wohnung finanzieren helfen. In einzelnen Betrieben geschehe das längst, weiß Schröder: „Bei manchen ist die Not so groß, dass sie Auszubildenden ein Fahrzeug zur Verfügung stellen“, sagt er. Auch deshalb: „Für eine Ausbildung mit dem ÖPNV etwa von Dortmund ins Sauerland zu kommen, ist schwierig.“

IHK NRW fordert Wohnheime auch für Azubis

Weitere Texte aus dem Ressort Wirtschaft finden Sie hier:

IHK-Manager Hagen fordert, Umzüge zu erleichtern. „Überall werden Studentenwohnheime gebaut, aber keine Auszubildenden-Wohnheime“, beklagt er. Und plädiert mittelfristig für den Bau von „Lernenden-Wohnheimen“ für Studierende, Auszubildende und junge Zuwanderer. Kurzfristig wünscht er sich, die bestehenden Studentenwohnheime zumindest für Azubis zu öffnen.