Essen. Aus Sorge vor Abwanderung von Formen fordert Regionaldirektorin Geiß-Netthöfel von EU und Bund mehr Tempo beim Ausbau der Wasserstofftechnik.
Die Euphorie ist groß: Gelingt dem Ruhrgebiet der Umstieg von Kohle und Gas auf Wasserstoff, könnten in der Region einer Studie zufolge rund 40.000 neue und hochwertige Arbeitsplätze entstehen. Doch die Transformation ist nicht nur ein finanzieller Kraftakt. Beim Regionalverband Ruhr geht die Sorge um, dass Planungsverfahren zu lange dauern und die Verunsicherung in den Unternehmen, die künftig auf grünen Wasserstoff angewiesen sein werden, weiter wächst und sie möglicherweise abwandern.
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Am Handlungsbedarf gibt es keinen Zweifel: Der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft könnte dazu führen, dass das Ruhrgebiet pro Jahr 25,5 Millionen Tonnen klimaschädliches CO2 einspart. Dafür braucht es aber gewaltige Mengen Wasserstoff, allein schon, um die hiesige Stahl-, Chemie- und Glasindustrie zu versorgen. „Experten gehen davon aus, dass im Jahr 2027 rund 47 Prozent des deutschen Wasserstoffs im Ruhrgebiet verbraucht wird“, hat Karola Geiß-Netthöfel errechnen lassen.
RVR-Direktorin fordert kürzere Genehmigungsverfahren
Die Planungsleute der Direktorin des Regionalverband Ruhr (RVR) werden in den nächsten Monaten dafür verantwortlich sein zu prüfen, ob Trassen für neue Pipelines „raumverträglich“ sind. Die Leitungen sollen den Wasserstoff ins Revier befördern. Grünes Licht vom RVR wird aber nicht ausreichen, die Bagger zu bestellen. Die Einzelprüfung unterliegt anderen Behörden, darunter den drei Bezirksregierungen, die für das Ruhrgebiet zuständig sind.
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Und genau hier liegt der Knackpunkt. „Bei den anschließenden Genehmigungsverfahren brauchen wir mehr Tempo. Hier ist vor allem die Bundesregierung gefragt, neue Regelungen zu schaffen, die die Verfahren erleichtern“, fordert Geiß-Netthöfel. Wie wichtig das Projekt Dekarbonisierung ist, will das Ruhrgebiet am 13. Juni ranghohen Vertretern der Bundespolitik in Berlin verdeutlichen (s. Infobox).
Die Regionaldirektorin weiß, dass viel auf dem Spiel steht. „Unsere Unternehmen sind verunsichert, wann es ausreichend grünen Wasserstoff geben und wie hoch die Energiekosten dann sein werden“, sagt sie. „Wir sind eine Industrieregion und wollen das auch bleiben, aber klimaneutral.“ Bei der weitgehenden Dekarbonisierung stehe das Ruhrgebiet im Wettbewerb mit anderen Regionen, die über hohe Subventionen und niedrige Energiepreise verfügten.
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Die IHK Dortmund warnte unlängst vor einer drohenden Deindustrialisierung. „Die Stromkosten haben in Deutschland den Höchststand erreicht. Sie sind über 2,7-mal teurer (+ 174 Prozent) als im internationalen Durchschnitt“, sagte Hauptgeschäftsführer Stefan Schreiber. In USA sei der Strompreis halb so hoch. Die Dachorganisation DIHK empfange bereits „Anzeichen einer schleichenden Produktionsverlagerung“.
Wasserstoff könnte 40.000 neue Stellen im Revier schaffen
Beim RVR ist man davon überzeugt, dass die Region von Wesel bis Hamm alles für eine Modellregion Wasserstoff mitbringe, die auch die schwarz-grüne Landesregierung in ihrem Koalitionsvertrag von 2022 als Ziel festgeschrieben hat: Über 240 Kilometer Wasserstoff-Leitungen der chemischen Industrie aus dem Jahr 1938 liegen bereits im Boden; rund 200 Firmen mit 50.000 Beschäftigten sind in der Energiewirtschaft tätig; über 100 Unternehmen beschäftigen sich unmittelbar mit dem Zukunftsthema Wasserstoff.
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„Für das Ruhrgebiet spricht, dass wir hier die gesamte Wertschöpfungskette abbilden können: Forschung, Erzeugung, Zulieferindustrie, Verbrauch und Infrastruktur“, fasst Julia Frohne die Pluspunkte zusammen. Die Geschäftsführerin der Business Metropole Ruhr verweist auf 14 Wasserstoff-Initiativen, die sich im Ruhrgebiet gebildet haben. Weitere befinden sich in der Entstehung.
Wirtschaftsförderin Frohne: EU-Kommission ist am Zuge
Die Aktivitäten, davon ist die Wirtschaftsförderin überzeugt, werden aber nicht ausreichen. „Wir brauchen Geschwindigkeit, aber auch Akzeptanz. Dafür müssen wir den Menschen Gelegenheit zur Mitwirkung geben, aber auch sagen, dass die Energiewende sichtbar wird und nicht ohne Mühen gelingt“ sagt Frohne. Ihre und die Hoffnungen des RVR ruhen nicht nur auf der Bundesregierung. „Alle stehen bereit. Jetzt ist es an der EU-Kommission, die nationale Förderung zum Ausbau der Wasserstoff-Infrastruktur zu genehmigen“, fordert Regionaldirektorin Geiß-Netthöfel.
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Dabei geht es nicht nur um die milliardenschwere Förderung für Thyssenkrupp Steel, um in Duisburg grünen Stahl herstellen zu können. Vom Bund erhofft sich das Ruhrgebiet die Anerkennung als Modellregion, damit Unternehmen und Institutionen vereint und mit einer Stimme Fördertöpfe anzapfen und um beschleunigte Genehmigungsverfahren bitten können. Mit diesem Wunsch steht das Ruhrgebiet aber nicht allein, Frohne: „Damit stehen wir im Wettbewerb zu anderen Metropolregionen wie Rhein-Neckar oder Stuttgart..
>>> Große Bühne in Berlin
„Wir sind bereit für den Aufbruch in ein neues Energiezeitalter“ – mit dieser Botschaft plant das Ruhrgebiet am Dienstag, 13. Juni, einen großen Aufschlag in der NRW-Landesvertretung in Berlin. Die Metropole Ruhr will insbesondere bei der Bundesregierung und politischen Entscheidungsträgern dafür werben, dass sie Modellregion Wasserstoff wird.
Ihre Teilnahme an der „NewHCom“ haben unter anderem zugesagt Bundesjustizminister Marco Buschmann, der aus Gelsenkirchen stammt, Jörg Kukies, Staatssekreträr im Bundeskanzleramt und NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur, Jens Spahn (CDU), Matthias Miersch (SPD) sowie Führungskräfte von Revier-Unternehmen wie Führungskräfte von namhaften Ruhr-Unternehmen wie Open Grid Europe, Uniper, Thyssengas, Thyssenkrupp Steel Europe und BP Europe. , BP-Europe-Chef Patrick Wendeler, Arndt Köfler (Thyssenkrupp Steel) und Thomas Gößmann (Thyssengas).