Essen. RWE-Managerin Sopna Sury im Interview: Der Essener Energiekonzern plant Wasserstoff-Kraftwerke und will ein Tankstellen-Netz aufbauen.
RWE-Managerin Sopna Sury soll für den Essener Energiekonzern das Wasserstoff-Geschäft voranbringen. Der Revierkonzern will unter anderem wasserstofffähige Kraftwerke betreiben, das Import-Geschäft ausweiten und ein Tankstellen-Netz aufbauen. „Bei RWE stehen wir in den Startlöchern“, sagt Sury, die zum Vorstand der Konzerntochter Generation SE gehört, im Gespräch mit unserer Redaktion. Zum Teil wartet der Konzern aber noch auf politische Entscheidungen. „Bis 2030 wollen wir in Deutschland wasserstofffähige Gaskraftwerke mit einer Kapazität von rund drei Gigawatt errichten. Die Investitionsentscheidungen für diese Anlagen können jedoch erst getroffen werden, wenn der politische Rahmen geklärt ist.“
Frau Sury, um Wasserstoff ist ein Hype entstanden. Doch zu sehen ist in Deutschland noch wenig. Elektrolyseure zur Wasserstoff-Produktion sind Mangelware, Pipelines und Kraftwerke bislang nicht umgerüstet. Woran liegt das?
Sury: Der komplette Umbau unserer Energieversorgung geht nicht von heute auf morgen. Es geht aber voran. Trotzdem: Auch wir wünschen uns beim Aufbau der Wasserstoff-Infrastruktur mehr Tempo, mehr Pragmatismus bei politischen Regularien, schnelle Genehmigungsverfahren und weniger Bürokratie. Denn Deutschland und Europa stehen im internationalen Wettbewerb. Für die Dekarbonisierung der Industrie brauchen wir Wasserstoff – je schneller, desto besser. Bei RWE stehen wir in den Startlöchern. Wir haben viele gute Projekte, die von der Erzeugung über den Transport bis zur Speicherung und der Nutzung von Wasserstoff reichen.
RWE hat viele große Kraftwerksstandorte – gerade auch in NRW. Werden Sie hier künftig Wasserstoff statt Kohle und Erdgas einsetzen?
Sury: Wasserstofffähige Gaskraftwerke werden zur Versorgungssicherheit gebraucht. Sie müssen als klimafreundliche Reserve dienen, wenn zu wenig Energie aus Windkraft- und Solaranlagen fließt. Bis 2030 wollen wir in Deutschland wasserstofffähige Gaskraftwerke mit einer Kapazität von rund drei Gigawatt errichten. Die Investitionsentscheidungen für diese Anlagen können jedoch erst getroffen werden, wenn der politische Rahmen geklärt ist.
Wo sollen die Anlagen entstehen?
Sury: Insbesondere bieten sich unsere bestehenden Kraftwerksstandorte an. Bevor wir darüber konkret entscheiden können, brauchen wir Klarheit zum künftigen Wasserstoffnetz. Bestehende Erdgas-Pipelines müssen umgerüstet werden, zum Teil sind neue Leitungen erforderlich. Dieser wichtigen Aufgaben, des Netzes und der Vergütungsfrage, hat sich die Bundesregierung angenommen. Das ist gut und wichtig.
Sie fordern Subventionen für Wasserstoff-Kraftwerke?
Sury: Es braucht ein auf ihre Funktion als Backup-Kraftwerke zugeschnittenes Vergütungssystem. Sie sollen schließlich nur dann einspringen, wenn Sonne und Wind nicht reichen oder sie zur Stabilisierung der Netze gebraucht werden. Wir wollen möglichst schnell loslegen. Die Genehmigung und der Bau werden einige Jahre dauern. Daher drängt die Zeit.
RWE hat milliardenschwere Gewinne in der Energiekrise verbucht. Warum geht der Konzern bei diesen Investitionen nicht selbst ins Risiko?
Sury: Wir wollen investieren. Das geht aber nur dann, wenn ein Geschäftsmodell ersichtlich ist. Ein anderer Weg ist einem privatwirtschaftlichen Unternehmen nicht möglich.
Planen Sie auch außerhalb Deutschlands Wasserstoff-Kraftwerke?
Sury: Ja, im niederländischen Eemshaven haben wir das Gaskraftwerk Magnum erworben. Mit einer Kapazität von 1,4 Gigawatt ist die Anlage enorm leistungsfähig. Dank ihrer Konstruktion kann sie bereits mit bis zu 30 Prozent Wasserstoff betrieben werden. Bis zum Ende des Jahrzehnts ist eine komplette Umstellung auf Wasserstoff möglich.
Die Voraussetzung ist aber auch in Deutschland, dass genug Wasserstoff verfügbar ist.
Sury: Wir gehen davon aus, dass Deutschland 70 bis 80 Prozent des Wasserstoffs, der hierzulande verbraucht wird, importieren muss. Neben dem Aufbau eigener Produktionsanlagen in Deutschland kooperieren wir daher unter anderem mit dem norwegischen Unternehmen Equinor. Ab 2030 wird Equinor zunächst blauen Wasserstoff über eine neu zu errichtende Pipeline von Norwegen nach Deutschland liefern. Blauer Wasserstoff meint, dass CO2, das bei der Herstellung entsteht, in ehemaligen Gasfeldern in Norwegen mit Hilfe der CCS-Technologie dauerhaft eingelagert werden soll. Mit der Zeit soll der Wasserstoff dann immer grüner werden, indem er beispielsweise mit Strom aus Offshore-Windparks entlang der Pipeline produziert wird.
Das CCS-Verfahren – kurz für „Carbon Capture and Storage“ – ist in Deutschland bislang nicht erlaubt. Würden Sie auch in Deutschland gerne Speicher für das klimaschädliche Kohlendioxid aufbauen?
Sury: Die CCS-Technologie ist ein Schlüssel zur Dekarbonisierung – insbesondere für die energieintensive Industrie. Deutschland sollte sich der Diskussion stellen, wo und wie ein Abtransport und die Einspeicherung von CO2 sinnvoll ist. Andere Länder wie die Niederlande oder Großbritannien sind da schon weiter.
Fällt Deutschland als großes Produzentenland für Wasserstoff aus, weil hier die Strompreise so hoch sind und der Herstellungsprozess energieintensiv ist?
Sury: Die Energiepreise spielen beim Wasserstoff eine wichtige Rolle. Richtig ist, dass Deutschland seinen enormen Wasserstoffbedarf voraussichtlich nur zum Teil selbst decken kann. Auch wir bei RWE wollen in
Deutschland Elektrolyseure bauen und betreiben. Die erste Pilot-Anlage mit 14 Megawatt soll im Herbst auf unserem Kraftwerksgelände in Lingen ihren Betrieb aufnehmen. Für die ersten 200 Megawatt Elektrolyseleistung in Lingen haben wir die Bestellung ausgelöst, um im Zeitplan zu bleiben, obwohl wir noch auf den Förderbescheid aus Brüssel warten.
In der Industrie soll Wasserstoff unter anderem das Erdgas ersetzen. Ist das auch zur Wärmeversorgung in Deutschlands Privathaushalten möglich?
Sury: Wasserstoff ist immer dann eine gute Option, wenn eine Dekarbonisierung nicht durch Elektrifizierung möglich oder schwierig ist. Daher geht es beim Wasserstoff zunächst einmal um die Industrie, aber auch um schwere Lkw, die riesige Batterien benötigten würden für einen elektrischen Antrieb. Perspektivisch schließe ich aber nicht aus, dass Wasserstoff auch im Wärmemarkt für Privathaushalte eine Rolle spielen kann.
Mit der Westfalen Gruppe aus Münster möchten Sie Wasserstoff-Tankstellen aufbauen. Macht RWE künftig Unternehmen wie Aral oder Shell Konkurrenz?
Sury: Gemeinsam mit der Westfalen Gruppe wollen wir ein Netz von Wasserstoff-Tankstellen insbesondere für schwere Nutzfahrzeuge errichten. Sofern die Rahmenbedingungen stimmen, sollen bis 2030 bis zu 70 Wasserstoff-Tankstellen entstehen. Hier übernimmt RWE die Aufgabe, den grünen Wasserstoff zu liefern. Der Fokus liegt zunächst auf Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen. Unsere erste öffentliche Wasserstoff-Tankstelle entsteht vor dem Gelände des RWE-Gaskraftwerkes Emsland in Lingen. Ab 2024 sollen dort sowohl Lkw als auch Busse, Müllfahrzeuge, Kleintransporter und Pkw grünen Wasserstoff tanken können. Bei dem Projekt sind wir gut unterwegs.