Frankfurt/Essen. Gewerkschaft fordert Industriepolitik auch von einem Kanzler Merz. Rhetorisch bewegt sie sich auf ihn zu. Was das für Thyssenkrupp bedeutet.

Die IG Metall fordert von der neuen Bundesregierung bereits vorab eine aktive Industriepolitik, um den derzeit massiven Abbau der Arbeitsplätze, etwa in der Stahl- und der Autoindustrie, aufzuhalten. „Für jeden wegfallenden Arbeitsplatz muss ein neuer entstehen. Alle müssen jetzt ihren Beitrag leisten, um Wertschöpfung im Land zu halten“, mahnte Gewerkschaftschefin Christiane Benner bei der Jahrespressekonferenz in Frankfurt. Eine Wahlempfehlung gibt die IG Metall, die sich als überparteilich versteht, traditionell nicht ab.

Wen Jürgen Kerner, Vizechef der Gewerkschaft, mit seiner Kritik an aktuellen Wahlkampfthemen meint, lässt sich aber erahnen. „Wir sind in einer neuen Welt angekommen“, sagt er mit Blick auf den Ausgang der US-Wahlen und die Politik Chinas. Da brächten „olle Kamellen“ nichts, etwa Forderungen nach Sozialkürzungen, Arbeitszeitverlängerung oder das bloße Vertrauen auf die Selbstheilungskräfte des Marktes. Zu diesen Punkten finden sich Forderungen und Thesen in den Wahlprogrammen von Union, AfD und FDP.

IG-Metall-Vize Kerner zu Merz: Er hat sich klar zu grünem Stahl bekannt

Kerner betonte aber offene Gesprächskanäle zum Unions-Kanzlerkandidaten Friedrich Merz und nahm ihn in der zuletzt hitzigen Debatte um grünen Stahl in Schutz. Merz hatte erklärt, er glaube nicht an einen schnellen Umstieg auf Wasserstoff-basierten, klimafreundlichen Stahl in Deutschland. „Wir haben das im Vorstand mit Herrn Merz diskutiert und er hat ein klares Bekenntnis zum grünen Stahl abgegeben“, sagte Kerner auf Nachfrage unserer Redaktion.

198257_256_cover.jpg

#1 Brodelnder Machtkampf: Was ist los bei Thyssenkrupp?

Am Abgrund – Die Thyssenkrupp-Story

Von der künftigen Bundesregierung erwarte die IG Metall mit Blick auf den Stahl zuallererst Maßnahmen für bezahlbare Energie, aber auch ein „pragmatisches Herangehen beim Umbau der Hochofenroute“, sagte Kerner. Und betonte, die IG Metall sei „flexibel in der Farbenlehre“. Was er damit meint: Bevor grüner Wasserstoff in ausreichenden Mengen und zu bezahlbaren Preise verfügbar ist, setzt die Gewerkschaft „im ersten Schritt auf Gas“, mit dem die bei Thyssenkrupp, Salzgitter und Arcelor Mittal geplanten Direktreduktionsanlagen auch laufen können.

Auch interessant

Interview mit Bundestagspräsidentin Bärbel Bas zur Stahl- und Industriekrise
Von Ulf Meinke, Stefan Schulte, Frank Meßing, Frank Preuß, Alexander Marinos und Oliver Hollenstein

Das ist ohnehin so vorgesehen, wie Thyssenkrupp-Konzernchef Miguel López immer wieder betont. Wobei die Meinungen zuletzt auseinandergingen, ist die strategische Frage, ob man nun absehbar auf Erdgas setzen oder die Umstellung auf Wasserstoff so schnell wie möglich anstreben sollte, um damit international vorne zu sein.

Beim Tempo auf dem Weg zu grünem Stahl gehen die Meinungen auseinander

Letzteres forderte unlängst Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) im Interview mit dieser Zeitung. „Uns rennt die Zeit davon“, sagte die Duisburgerin mit Blick auf die globale Konkurrenz. Die Grünstahl-Anlage bei Thyssenkrupp müsse „so schnell wie möglich“ in Betrieb gehen. Wenn das nicht gelinge, werde Stahl aus Deutschland sehr schnell vom Markt verschwinden.

Auch interessant

Thyssenkrupp-Chef López betonte dagegen zuletzt mehrfach, absehbar auf einen Gasbetrieb zu setzen, denn: „Bereits mit Gas sparen wir sehr viel CO2 ein, nämlich gut 50 Prozent“, wie er dem Focus sagte. Genau das hob nun auch IG-Metall- und Thyssenkrupp-Aufsichtsratsvizechef Kerner hervor. Das Ziel bleibe aber eine klimaneutrale Produktion mit grünem Wasserstoff, fügte er an.

Setzt Thyssenkrupp zu viel Erdgas in der Stahlproduktion ein, sinkt die Staatsförderung

Das Tempo beim Umbau der Stahlindustrie ist für Thyssenkrupp Steel Europe (TKSE) aber nicht nur eine strategische Grundsatzfrage, sondern es hat auch handfeste finanzielle Auswirkungen auf den kriselnden Stahlkonzern. Denn die Förderungen von Bund und dem Land NRW in Höhe von insgesamt zwei Milliarden Euro sind daran geknüpft, dass die subventionierten DRI-Anlagen absehbar mit grünem Wasserstoff laufen. Andernfalls würden sie gekürzt.

So wird am Tag der Arbeit in Duisburg gefeiert.
Jürgen Kerner, Zweiter Vorsitzender der IG Metall und stellvertretender Aufsichtsratschef von Thyssenkrupp. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

„Es sind Kontingente für den Einsatz von grünem Wasserstoff vorgesehen, an die Teile der staatlichen Förderung gekoppelt sind“, sagte López bereits vor einem Jahr im Interview mit unserer Redaktion. Auch die Stahltochter TKSE erklärte nach dem Förderbescheid durch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (beide Grüne), gefördert würden „insbesondere die innovative Anlagentechnik und der frühzeitige Verzicht auf Erdgas“. Wasserstoff soll in großem Stil spätestens 2029 eingesetzt werden.

Thyssenkrupp machen steigende Kosten der Grünstahl-Anlage zu schaffen

Inzwischen machen Thyssenkrupp die steigenden Kosten für die DRI-Anlage zu schaffen, intern ist von einem mittleren dreistelligen Millionenbetrag die Rede, der zum Eigenanteil von einer Milliarde Euro hinzukäme. Sollten Thyssenkrupp-Chef López und Stahl-Chef Dennis Grimm mit der neuen Bundesregierung darüber reden wollen, könnten sie gleich auch versuchen, die Förderbedingungen nachzuverhandeln. Eine von Merz geführte Regierung könnte mehr Verständnis für eine langsamere Umstellung auf grünen Wasserstoff entwickeln als die Ampel.

Christiane Benner
Die Vorsitzende der IG Metall, Christiane Benner: „Für jeden wegfallenden Arbeitsplatz muss ein neuer entstehen. Alle müssen jetzt ihren Beitrag leisten, um Wertschöpfung im Land zu halten.“ © DPA Images | Georg Wendt

Auch die IG Metall bereitet sich erkennbar auf einen möglichen Kanzler Merz vor. Gewerkschaftsvize Kerner nahm stattdessen die Konzernführungen ins Visier. Er betonte, IG Metall und Arbeitgeber seien die grüne Transformation der Industrie im Konsens angegangen. Doch manche Arbeitgeber hätten diesen „bei der ersten Gelegenheit aufgekündigt“ und „wieder die kurzfristige Rendite“ über die Entwicklung zukunftsträchtiger Innovationen gestellt. Er warnte davor, was sie erwarte, wenn dies nun zur Streichung Tausender Arbeitsplätze führe: „Beim Umbau sind wir Partner, beim Abbau entschiedene Gegner.“

IG-Metall-Chefin Christiane Benner: Wir werden eine Deindustrialisierung verhindern

In der Industrie stünden Tausende Jobs auf der Kippe, vor allem in der Auto- und in der Stahlindustrie, sagte IG-Metall-Chef Benner. Doch sie gab sich kämpferisch: „Was einmal weg ist, ist weg. Ohne eine moderne Industrie ist Deutschland ein armes Land“, warnte sie - um klarzustellen: „Das werden wir verhindern.“