Essen. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas zur Stahlkrise: Sie fordert einen klaren Kurs zu Trump und sagt, wie es um Thyssenkrupp und HKM steht.
„Das macht mich wütend“, sagt Bärbel Bas (SPD), wenn die Frage aufkommt, ob wir noch Stahl in Deutschland herstellen müssen oder ihn nicht einfach günstig importieren können. Für die Bundestagspräsidentin geht es dabei nicht nur um die Arbeitsplätze in ihrer Heimatstadt Duisburg bei Thyssenkrupp und HKM, sondern auch um Sicherheitspolitik. Aus der Gaskrise nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine müsse man doch lernen und neue Abhängigkeiten von Autokratien wie Russland und China verhindern. Und überleben könne die deutsche Stahlindustrie nur, wenn sie schnell auf eine grüne Produktion umstelle. Im Interview mit unserer Redaktion sieht sie vor allem die nächste Bundesregierung und die EU in der Pflicht, die heimische Stahlindustrie mit niedrigeren Energiepreisen und Schutzzöllen zu retten.
Frau Bas, als Duisburgerin und Aufsichtsrätin bei den Hüttenwerken Krupp Mannesmann (HKM) haben Sie tiefere Einblicke in die Stahlindustrie als die meisten anderen Politikerinnen und Politiker in Berlin. Nun kommt zur Krise von Thyssenkrupp und HKM auch noch eine zuletzt von CDU-Chef Friedrich Merz angefachte Debatte hinzu, ob grüner Stahl „made in Germany“ absehbar überhaupt realistisch ist. Wie denken Sie darüber?
Bas: Jeder, der sich in dem Thema auskennt, weiß: Die grüne Transformation im Stahl ist für uns überlebenswichtig. Der herkömmlich gekochte Stahl aus China ist so billig – das können wir in Deutschland ohnehin niemals toppen. Es geht nur über eine neue, klimaneutrale Technologie. Das ist unsere einzige Chance. Wenn ich dann höre, wir brauchen das alles nicht und machen einfach weiter wie bisher, sind wir schnell raus aus dem Markt. Diesen Fehler haben wir schon einmal gemacht: in der Automobilindustrie, die zu lange gezögert hat, in Elektromobilität zu investieren.
Friedrich Merz hat inzwischen beigedreht und betont, er glaube an die Wasserstofftechnologie und grünen Stahl, nur nicht im bisherigen Zeitplan. Lässt sich der Umstieg verschieben?
Bas: Nein, uns rennt die Zeit davon. Wie die Automobilindustrie braucht auch die Stahlindustrie vor allem Planungssicherheit. Sonst werden sich die Unternehmen wieder nicht für die neue Technologie entscheiden.
Aber Merz hat doch recht, wenn er fragt, wo die benötigten riesigen Mengen an Wasserstoff herkommen sollen und ob sie bezahlbar sein werden.
Bas: Das wissen und sagen aber auch alle. Der Weg zum grünen Stahl ist ein Marathonlauf, und es gibt mehrere Wege zum Ziel. Eine Alternative zu den wasserstoff-basierten Direktreduktionsanlagen sind etwa Elektrolichtbogenöfen, wenn sie mit grünem Strom laufen. Das wird gerade bei HKM als Möglichkeit diskutiert und auch bei Thyssenkrupp. Ich sehe das als große Chance: Wir hätten damit die europaweit einmalige Gelegenheit, beide Technologien in Duisburg zu entwickeln. Was sich am Ende durchsetzt, wird man dann sehen. Aber dafür muss erst einmal eine Grünstahl-Anlage stehen – und zwar so schnell wie möglich.
Das geht aber nur mit Staatsgeldern. Für Außenstehende ist es schwer vermittelbar, dass der Staat so viele Milliarden in Thyssenkrupp, Salzgitter und die anderen Stahlkonzerne pumpen soll.
Bas: Ja, viele Leute fremdeln mit dem Umstieg und sagen: Stahl kann man auch woanders einkaufen. Das stimmt. Aber das sind nicht alles demokratische Länder, und irgendwann bestimmen die den Preis – ähnlich wie beim Öl. Dann wird alles teurer. In dieser krisenhaften Zeit ist das ein Sicherheitsrisiko geworden. Das haben wir beim Gas aus Russland doch auch gesehen. Wenn wir abhängig sind, werden wir erpressbar, auch von einem US-Präsidenten Trump. Zu sagen, wir brauchen den Stahl hier nicht mehr, macht mich vor diesem Hintergrund wirklich wütend.
Aber beim grünen Wasserstoff machen wir uns doch auch abhängig von anderen Ländern, in Deutschland können wir die Mengen ja nicht produzieren.
Bas: Aber in anderen europäischen Ländern geht das. Wir müssen den Wasserstoff natürlich zum Großteil importieren. In meiner Funktion als Bundestagspräsidentin bin ich in vielen Ländern der Welt unterwegs. Dort warten alle darauf, ob Deutschland den Umstieg hinkriegt. Darunter sind auch Länder, die Wasserstoff produzieren und gern an uns liefern wollen. Die sagen mir: Wenn Ihr das schafft und große Mengen bestellt, werden wir das auch zu einem vernünftigen Preis hinbekommen.
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Nun hat Thyssenkrupp seine Ambitionen im Stahl ja bereits kräftig zurückgeschraubt, anstatt alle vier Hochöfen in Duisburg durch DRI-Anlagen zu ersetzen, ist jetzt die eine und demnächst vielleicht noch ein Elektroofen geplant. Weil die DRI-Anlage bereits teurer wird als geplant, ist doch auch die Frage, was der Staat sagt, wenn er bald gefragt wird, ob er noch mehr Geld geben kann.
Bas: Das bringt uns zur Frage nach einem Staatseinstieg. Wenn ich keinen Plan für die Zukunft eines Unternehmens habe, macht ein Staatseinstieg wenig Sinn. Wenn es eine gute Prognose gibt und man – wie etwa bei der Meyer-Werft – die nötige Transformation gemeinsam schaffen will, kann der Staat zur Überbrückung einsteigen und etwa Forschungsgelder für neue Technologien geben.
Genau diesen Eindruck macht das Unternehmen Thyssenkrupp gerade aber nicht. Fehlen die von Ihnen genannten Voraussetzungen hier nicht?
Bas: Deshalb bin ich zurückhaltend. Denn das kann ja nur gemeinsam mit dem Unternehmen gelingen – und in der Konzernleitung ist das offensichtlich nicht gewollt. Thyssenkrupp-Chef López will stattdessen die Stahlsparte loswerden.
Aber könnte der Staat nicht in eine vom Konzern abgespaltene Stahlsparte einsteigen?
Bas: Auf der Ebene könnte man das überlegen. Dafür müssten aber noch weitere Rahmenbedingungen stimmen. Was wir zuerst brauchen, sind niedrigere Energiepreise. Dafür muss Berlin sorgen. Und wir brauchen eine gemeinsame europäische Stahlstrategie mit Schutzmechanismen für die heimische Industrie.
Als Reaktion auf die Strafzölle, die unter dem neuen Präsidenten Trump drohen?
Bas: Ich kann nicht beurteilen, wie gut die EU darauf vorbereitet ist. Europa muss klar sagen, ob wir diese Grundstoffindustrie behalten wollen oder nicht. Es ist auch eine Sicherheitsfrage, ob wir uns abhängig machen wollen von Autokratien wie Russland, China und anderen. Die können den Markt bereinigen. Wenn unsere Stahlindustrie erst einmal weg ist, werden wir den Stahl teuer einkaufen müssen.
Also Gegenzölle?
Bas: Ich möchte keinen Handelskrieg. Aber jetzt ist der Moment, in der EU Einigkeit zu demonstrieren und klar zu sagen, wie wir auf Trump und andere reagieren. Europa muss einheitlich gegenhalten. Wir brauchen Abgaben auf Importstahl, wenn er nicht klimafreundlich hergestellt wird. Sonst gibt es keinen fairen Wettbewerb beim Stahl. Kommissionspräsidentin von der Leyen hat das angekündigt, jetzt muss sie es auch machen. Machen wir das nicht, ist europäischer Stahl schnell Geschichte.
Akut gefährdet ist HKM, wo Sie im Aufsichtsrat sitzen. HKM wird geschlossen, wenn es nicht verkauft wird. Lässt sich das noch abwenden?
Bas: Das hängt ganz an den Gesellschaftern und der Frage, wie seriös das Angebot des potenziellen Investors ist. Ich bin guter Hoffnung, dass der geplante Verkauf funktionieren kann. Neben Thyssenkrupp hat sich auch Salzgitter als Miteigentümer zum Erhalt von HKM bekannt. Die Verhandlungen laufen gut – nach allem, was ich höre. Aber ein Restrisiko bleibt.
Machen Sie den Stahl jetzt zum Wahlkampfthema?
Bas: Das wird natürlich eine Rolle spielen müssen. Aber es geht mir nicht um Wahlkampf, sondern um die Beschäftigten und ihre Familien. Die machen sich gerade riesige Sorgen. Duisburg würde ein Aus für den Stahl nur schwer verkraften, darunter würde die ganze Stadt massiv leiden.
Gerade in Duisburg und auch in Gelsenkirchen hat die AfD zuletzt sehr gute Ergebnisse erzielt, beide Städte haben SPD-Oberbürgermeister. Welche Verantwortung trägt die SPD dafür?
Bas: Kompromisse zu finden, dauert vielen Leuten inzwischen zu lange. Manche entfremden sich auch von den politischen Institutionen. Die SPD hat es zunehmend schwer gegen eine AfD, die Probleme populistisch ausnutzt und mit vermeintlich einfachen Lösungen daherkommt. Sachlich dagegenzuhalten und damit durchzudringen, wird leider immer schwieriger.
Klingt verzweifelt.
Bas: Nein, ich gebe den Kampf nicht auf. Aber ich ziehe mir den Schuh nicht an, nur die anderen Parteien seien schuld am Aufkommen der AfD. Wir demokratischen Abgeordneten sind alle jeden Tag unterwegs, um für unsere Problemlösungen zu werben. Wer meint, radikal wählen zu müssen, damit alles wieder gut wird, den kann ich nur davor warnen. Am Ende muss jede Bürgerin und jeder Bürger wissen, was sie wollen.
Aber warum schaffen es SPD und CDU nicht, aus Städten wie Duisburg und Gelsenkirchen mehr rauszuholen, damit die AfD mit ihrem Populismus nicht durchkommt?
Bas: Weil diese Städte im Ruhrgebiet kein Geld haben. Demokratie fängt vor Ort an. In Berlin sitzen die Kommunen bei Entscheidungen aber nicht mit am Tisch. Das müssen wir ändern. Ich habe die Sorge, dass viele Bürgermeister sonst sagen, ich trete nicht mehr an, weil ich keine finanziellen Spielräume habe. Deshalb wäre der Altschuldenfonds, den wir fordern, so wichtig.
Mit diesem kurz vor der Wahl eingebrachten Entwurf kommen Sie in Berlin aber doch nicht durch.
Bas: Richtig ist, dass wir im Bundestag aktuell keine Mehrheit mehr haben. Aber wir fragen die größte Oppositionspartei, die CDU – die etwa in Essen den Oberbürgermeister stellt – ob sie das nicht mittragen kann. Keiner kann wollen, dass die Leute zu den politischen Rändern gehen, weil in ihrer Stadt die Straßen vermüllen oder Schulen und Brücken marode sind. Die Entschuldung der Kommunen wäre nicht nur für die SPD ein starkes Signal.
In Amerika hat die Hälfte der Wähler radikal gewählt, in Deutschland liegt das Potenzial bei 25 Prozent. Sehen Sie die Gefahr, dass wir in vier Jahren in Deutschland da sind, wo die Amerikaner schon heute sind?
Bas: Der Schlüssel ist die Sprache. Ich sage immer zu den demokratischen Parteien: Passt auf Eure Sprache auf. Wenn wir uns der Sprache der Radikalen anpassen, wird sich diese Lücke auch in Deutschland schließen. Gerade bei der jungen Generation verfangen die einfachen AfD-Parolen, etwa auf Tiktok. Wir dürfen uns dieser verrohten Sprache aber nicht anpassen und auf gleiche Weise antworten. Das ist meine feste Überzeugung.
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