Essen. Ein konkurrierender Hersteller erhebt Vorwürfe gegen die Sicherheit des Multisensor Plus, den Vonovia nutzt. Betreiber Techem widerspricht.
Der Rauchwarnmelder von Vonovia, der weitaus mehr kann als bei Qualmentwicklung in der Wohnung Alarm auszulösen, erregt weiterhin die Gemüter. Mieterschützer warnen vor vermeintlichen „Spionage“-Funktionen, weil der „Multisensor Plus“ Daten sammelt. Inzwischen erhebt ein konkurrierender Hersteller von Rauchwarnmeldern aber auch Sicherheitsbedenken gegen das Multifunktionsgerät, das der Energiedienstleister Techem für Vonovia und andere Immobilienunternehmen entwickelt hat.
EI Electronics hat seine Deutschland-Zentrale in Düsseldorf. „Wir sind der Marktführer für Rauchwarnmelder in Europa und produzieren in Irland. Deutschland ist der zweitgrößte Markt für uns“, sagt der Vorstandsvorsitzende Philip Kennedy. Nach einer Reihe von Berichten dieser Zeitung über den Multisensor Plus hat sich der aus Irland stammende Manager an unsere Redaktion gewandt. Im Gespräch erhebt er schwere Vorwürfe. „Ich halte es für fahrlässig, die Rauchwarnung mit anderen Funktionen zu kombinieren“, sagt Kennedy. „Einfachheit ist ein ausschlaggebender Sicherheitsfaktor, wenn es um die Rettung von Menschenleben geht.“
EI Electronics: Unterschiedliche Warntöne im Rauchmelder verwirren
Der EI-Chef kritisiert, dass der Multisensor Plus mehrere Funktionen in einem Gerät vereint und deshalb vor unterschiedlichen Phänomenen warnt. „Rauchwarnmelder haben das Ziel, Menschen zu schützen und nicht Gebäude. Wenn Alarm während des Schlafs ausgelöst wird, sollten Sie die Wohnung sofort verlassen. Sie haben dann keine Zeit darüber nachzudenken, ob der Alarm wegen Rauch, Kohlenmonoxid, Hitze oder Feuchtigkeit ausgelöst wurde“, sagt Kennedy.
Auf Nachfrage unserer Redaktion erklärt der Energiedienstleister Techem, dass das neu entwickelte Gerät Alarme bei Rauch und Hitze, aber auch bei hohen Kohlenmonoxid-Werten in der Wohnung auslöse, die „nicht nur akustisch voneinander unterscheidbar“, sondern „jeweils auch optisch deutlich getrennt voneinander“ seien. Dadurch werde ein „deutlich höheres Sicherheitsniveau“ für die Bewohner erreicht.
Prüffirma VdS: Rauchalarm muss Vorrang vor anderen Signalen haben
Ähnlich dem Tüv gibt es auch eine Reihe von Prüfinstituten, die Rauchwarnmelder auf Herz und Nieren untersuchen und ein Zertifikat erteilen. Das Testzentrum Kriwan, das offenbar den Multisensor Plus geprüft hat, reagierte nicht auf die E-Mail unserer Redaktion. Wir fragten deshalb bei der VdS Schadenverhütung GmbH in Köln nach, die sich aber zurückhaltend gibt, weil sie das Innere des Multisensor Plus nicht kennt. „Das Alarmsignal des Rauchwarnmelders muss unabhängig vom Zeitpunkt der Signalauslösung Vorrang vor allen anderen Signalen haben“, sagt VdS-Sprecher Jan Leder.
Doch die Kritik des Techem-Wettbewerbers EI geht noch weiter. „Kohlenmonoxid in Wohnräumen misst man in Regel auf Kopfhöhe und nicht unter der Decke“, meint Kennedy. So sieht es auch der Bundesverband der Schornsteinfeger: Er empfiehlt die Installation der Kohlenmonoxid (CO)-Melder „in Atemhöhe“ - also auf einem Level von 1,0 bis 1,5 Metern an der Wand. Es gibt aber auch andere Einschätzungen. „Der Montageort an der Decke ist zur Signalisierung von Alarmen grundsätzlich geeignet, da die Anzeige über LEDs gut sichtbar ist“, rechtfertigt sich Techem. „Das CO-Gas erreicht, indem sich CO mit der Raumluft vermischt, auch die Decke. Zudem kann sich CO von der CO-Quelle in andere Räume ausbreiten“, so Techem.
Das Prüfunternehmen VdS erklärt, CO-Warnmelder hätten die Aufgabe, „vor einer gefährlichen Ansammlung von Kohlenmonoxid bei Betrieb eines Kamins oder ähnlichem“ zu warnen. Zu technischen Einzelheiten und zur Effektivität der Messung an der Decke wolle man sich nicht äußern, weil VdS den Multisensor Plus nicht geprüft habe.
Erfüllt der Multisensor Plus die Anforderungen der Wohnungswirtschaft?
EI-Chef Philip Kennedy wirft aber überdies die Frage nach Qualitätsstandards auf. „Warnmelder mit Zusatzfunktionen wie der Multisensor Plus sind nicht nach dem in der Wohnungswirtschaft allgemein anerkannten Qualitätsstandard Q zertifiziert, da dieser ausschließlich auf Basis geltender Normen und Richtlinien verliehen wird“, sagt der CEO. Erfüllt der neue Vonovia-Rauchwarnmelder also nicht die Anforderungen der Wohnungswirtschaft?
Wir haben das Forum Brandrauchprävention gefragt, das den Standard Q für Rauchwarnmelder verleiht. In dem Verein haben sich führende Dachverbände wie der Deutsche Feuerwehrverband, die Vereinigung zur Förderung des Deutschen Brandschutzes, der Bundesverband des Schornsteinfegerhandwerks sowie Hersteller und Dienstleister zusammengeschlossen. „Q-Rauchmelder mit Zusatzfunktionen können von uns nicht mit dem Qualitätszeichen Q zertifiziert werden, da wir nur nach geltenden Normen und Richtlinien zertifizieren“, sagt Claudia Groetschel vom Forum Brandrauchprävention.
Forum Brandrauchprävention wirft Fragen zum Datenschutz auf
Aber offenbar ist das Prädikat Q auch nicht zwingend. Das zuständige NRW-Bauministerium verweist darauf, dass Rauchwarnmelder in Schlafräumen, Kinderzimmern und Fluren vorgeschrieben seien. „Die Warnfunktion z.B. die Lautstärke ist nach EN 14604 vorgegeben und diese muss das Gerät mindestens erreichen. Weitergehende Qualitätssiegel sind allenfalls freiwillig und nicht vorgeschrieben“, sagt ein Sprecher. Auch Techem verweist darauf, dass das Q-Label „ausschließlich für ,reine‘ Rauchwarnmelder konzipiert“ sei.
Ein größeres Anliegen scheint dem Forum Brandrauchprävention der Datenschutz beim Multisensor Plus zu sein, an dem zuvor bereits mehrfach Mieterschützer Zweifel angemeldet hatten. „Daten über die Temperatur und Luftfeuchtigkeit in Wohnräumen stellen originär personenbezogene Daten dar, da sie aus sich heraus unmittelbar Rückschlüsse auf das Wohnverhalten der jeweiligen Wohnungsnutzer zulassen“, erklärt Claudia Groetschel.
Die Messung von Temperatur und Luftfeuchtigkeit von Wohnräumen „bedarf der ausdrücklichen und vorherigen Zustimmung jedes einzelnen Nutzers, bei vermieteten Räumen also aller Mieter bzw. erwachsenen Wohnungsnutzer“, sagt die Sprecherin des Forums. Groetschel: „Für die frühzeitige Warnung der Wohnungsnutzer vor den Gefahren eines in der Wohnung entstehenden Brandes sind diese Daten zur Wärme und Luftfeuchtigkeit weder erforderlich noch förderlich.“
Vonovia hatte bereits im Herbst auf Datenschutz-Bedenken reagiert. Die zusätzlichen Funktionen im Rauchwarnmelder werden deshalb nach Angaben des Unternehmens seither nur aktiviert, wenn die Mieter das ausdrücklich wünschten. In dieser Woche hatten Mieterschützer ihre Kritik an den „teuren Spionage-Rauchmeldern“, wie sie den Multisensor Plus bezeichnen, erneuert. „Diese Geräte greifen in die Privatsphäre der Mieterinnen und Mieter ein, die zudem die Kosten für die Umrüstung tragen sollen“, erklärten unterschiedliche Organisaitionen und forderten Vonovia auf, bundesweit auf den Einbau des Multisensor Plus zu verzichten.
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