Essen. Flächennot im Ruhrgebiet wächst. Dabei erweisen sich Gewerbegebiete als Jobmotor. Wirtschaftsförderer Kemna hat Sorge und einen Wunsch.
Seit vielen Jahren beklagen die Ruhrgebietsstädte einen Mangel an Gewerbe- und Industrieflächen, um neue Unternehmen anzusiedeln. Aktuelle Zahlen belegen, dass sich der Engpass noch einmal verschärft hat. Revier-Wirtschaftsförderer Jörg Kemna schlägt Alarm: „Spektakuläre Großansiedlungen wie in Ostdeutschland sind im Ruhrgebiet aktuell nicht machbar.“
Die Zahlen sind ernüchternd: Im Ruhrgebiet stehen gerade einmal noch 1400 Hektar potenzielle Gewerbe- und Industrieflächen zur Verfügung. Das sind knapp 1000 Fußballfelder. Aber, und das macht die Lage noch einmal brisanter, nur für rund 35 Prozent dieser Brachen gibt es Baurecht. Der große Rest ist nach Einschätzung der Business Metropole Ruhr GmbH (BMR) aber derart mit Schadstoffen belastet, dass eine Sanierung lange dauern und sehr kostspielig sein wird.
„Mir macht es Sorgen, dass bereits 61 Prozent der heute verfügbaren Flächen nur mit erheblichem finanziellen Aufwand zu entwickeln sind“, sagt Geschäftsführer Jörg Kemna. „Deshalb brauchen die Kommunen finanzielle Unterstützung bei der Aufbereitung alter Industrieflächen.“ Die Ertüchtigung und Erschließung der Brachen sei „eine wirkliche Herausforderung“ für das Ruhrgebiet geworden, „ein Hemmschuh im Vergleich zu anderen Wirtschaftsregionen“, meint Kemna.
Bei seinem Appell an die Adressen von Land, Bund und EU-Kommission, finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen, hat der Wirtschaftsförderer ein besonders schlagfertiges Argument in der Rückhand. Denn Gewerbe- und Industriegebiete sind im Ruhrgebiet, das nach wie vor von hohen Arbeitslosenquoten gebeutelt ist, ein „Jobmotor“. In den vergangenen zehn Jahren hat sich nach Berechnungen der BMR die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten innerhalb der Gewerbe- und Industriegebiete um 132.846 Personen erhöht – das entspricht einer Zunahme von 20,5 Prozent. Außerhalb habe das Plus bei nur 9,5 Prozent gelegen.
Dabei wandelt das Ruhrgebiet zunehmend sein Gesicht. Seit einigen Jahren hat die Gesundheitswirtschaft die Industrie als Wirtschaftszweig mit den meisten Arbeitsplätzen überholt. Einen ähnlichen Trend hat die BMR nun auch in den Gewerbegebieten entdeckt: Erstmals stellt dort der Dienstleistungssektor mehr Arbeitsplätze zur Verfügung als das im Revier traditionell starke produzierende Gewerbe.
Der Gewerbeflächenmangel macht sich vor allem im westlichen Kernruhrgebiet bemerkbar: Ende 2023 war Mülheim mit nicht einmal zehn Hektar nahezu ausverkauft. Nicht viel besser ist die Lage in Oberhausen. Die Halbe-Million-Einwohnerstadt Duisburg kommt gerade noch auf 45 Hektar. In Essen ist das Potenzial fast 100 Hektar groß, in Bottrop sind es 75 Hektar – aber auch nur, weil an beider Grenze die Riesenbrache Emil Emscher liegt, die beide Städte zum interkommunalen Gewerbepark Freiheit Emscher entwickeln wollen.
Die meisten Flächenvorräte schlummern noch im Kreis Wesel und im nordöstlichen Ruhrgebiet: Der Kreis Recklinghausen kommt auf fast 400 Hektar. Der Löwenanteil entfällt freilich auf das lange geplante Gewerbegebiet New Park im Städtedreieck Datteln, Waltrop und Dorsten, das aber nicht so recht in die Gänge kommt. Auch Dortmund hat ein Polster von 140 Hektar, das wie die anderen Brachen auch noch erschlossen werden muss.
Die Wirtschaftsförderer unterstreichen die herausragende Bedeutung der Gewerbegebiete auch, um den Verdacht zu zerstreuen, dass neue und expandierende Unternehmen freien Raum und vielleicht sogar Grünflächen fressen. 70 Prozent der Areale, die zuletzt vermarktet wurden, befinden sich laut BMR auf Brachen, die schon früher industriell genutzt wurden. Gewerbe- und Industriegebiete machten gerade einmal fünf Prozent der gesamten Fläche des Ruhrgebiets aus. In den vergangenen zehn Jahren wurden im Revier nach Berechnungen der Wirtschaftsförderer 550 neue Unternehmen auf 370 Hektar angesiedelt.
Hoffnung auf den Regionalplan Ruhr
Auf eine Prognose, wann der Flächenvorrat aufgebraucht sein wird, will sich BMR-Geschäftsführer Kemna nicht so recht einlassen. Er hofft auf staatliche Hilfe und positive Wirkungen des Regionalplans Ruhr, der im März offiziell in Kraft getreten ist und Entwicklungsspielräume für die Kommunen skizziert. Neue Standorte für Unternehmen seien unerlässlich. Kemna: „Wir können schon jetzt viele Anfragen einfach nicht bedienen.“
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