Berlin. Die Bundesregierung muss den von der EU beschlossenen Sanierungsplan umsetzen. Eine neue Berechnung zeigt, wie teuer es werden könnte.
Klimaschutz beim Wohnen ist ein Thema, an dem sich die Ampelkoalition wie an kaum einem zweiten in dieser Legislaturperiode die Finger verbrannt hat. Das Prozedere um das Heizungsgesetz von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) endete im Fiasko und zog eine Flaute in den Umfragen nach sich, die bis heute anhält. Die Nachfrage nach Wärmepumpen ist seitdem mau, die Sanierungsquote verharrt auf niedrigem Niveau. Und beim Neubau, wo die Regierung gleich zu Beginn ihrer Amtszeit die Förderanforderungen verschärft hat, ist man vom Ziel von 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr meilenweit entfernt.
„Wir haben verstanden“, musste Geywitz Anfang März eingestehen, als das Europäische Parlament die sogenannte europäische Gebäuderichtlinie beschloss. Ein Sanierungszwang für besonders schlecht gedämmte Gebäude, wie die EU-Kommission es anfangs geplant hatte, ist seitdem vom Tisch. „Klimaschutz braucht Akzeptanz“, sagte Geywitz damals und verwies darauf, den Sanierungszwang für Ein- und Mehrfamilienhäuser verhindert zu haben. Dabei hatte zu Beginn ihrer Amtszeit die SPD-Politikerin selbst noch auf ordnungspolitische Maßnahmen gedrängt.
Miete: Bei Sanierung auf strengen Standard steigen die Kosten um 1,20 Euro pro Quadratmeter
Zwar gibt es keinen Sanierungszwang mehr, aus der Verantwortung hat die EU ihre Mitgliedstaaten aber auch nicht entlassen. Bis 2030 soll der durchschnittliche Energieverbrauch in Gebäuden um 16 Prozent sinken, bis 2035 um 20 Prozent. Und: 55 Prozent der Energieeinsparung soll durch Renovierungen an den am schlechtesten sanierten Gebäuden erreicht werden. Wie dieses Ziel aber konkret erreicht werden soll, ist den Mitgliedsstaaten selbst überlassen. „Wir arbeiten aktuell an der Umsetzung des EU-Rechts auf nationaler Ebene“, teilte eine Sprecherin des Bauministeriums unserer Redaktion auf Anfrage mit. „Die Umsetzung in Deutschland wird sozialverträglich sein und nutzt bereits gestellte Weichen wie die kommunale Wärmeplanung.“
Der Eigentümerverband Haus und Grund hat berechnet, was auf Vermieter und Mieter in Deutschland zukommen könnte. Die Berechnung liegt unserer Redaktion exklusiv vor. Und sie hat es in sich. Um bis zu 1,20 Euro pro Quadratmeter könnte die Miete demnach steigen. Zwar würden die Mieter durch den nach der Sanierung besseren Zustand des Hauses Energie sparen. Bei einer 90 Quadratmeter großen Wohnung würden die Mehrkosten im Mittel allerdings trotz der Energieeinsparungen bei 108 Euro im Monat liegen – macht 1.296 Euro zusätzlich pro Jahr.
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Auch beim lascheren Standard müssten Mieter drauflegen
Für die Berechnung hat Haus und Grund die 1,22 Millionen Mehrfamilienhäuser untersucht, die im Besitz privater Vermieter sind. In ihnen befinden sich 6,22 Millionen Wohnungen. Mit Blick auf die Sanierungen hat der Eigentümerverband zwei Szenarien durchgerechnet. Zum einen eine Sanierung auf den Energieeffizienzhausstandard 55 (EH55). Das ist der Standard, der derzeit für den Neubau von Wohnungen gilt. In diesem strengeren Szenario ergeben sich die Mehrkosten von bis zu 1,20 Euro pro Quadratmeter.
Im zweiten Szenario geht Haus und Grund von einer Sanierung auf den etwas lascheren Standard EH115 aus. In diesem Fall würden die Mieten der Berechnung zufolge um 60 Cent pro Quadratmeter steigen. Wirtschaftlich vorteilhaft wäre aber auch diese nur halb so hohe Anpassung für Mieterinnen und Mieter nicht: Über alle sanierungswürdigen Wohnungen gerechnet würden die Kaltmieten um 10,3 Milliarden Euro steigen, an Energiekostenersparnis würden sich dagegen lediglich rund 4,5 Milliarden Euro ergeben – bleibt eine Differenz von 5,8 Milliarden Euro, für die die Mieterinnen und Mieter aufkommen müssten.
Investitionen von bis zu 393 Milliarden Euro wären nötig
Insgesamt wären für das Erreichen des EH115-Standards Investitionen in Höhe von 215 Milliarden Euro bis 2045 nötig. Beim EH55-Standard wären es sogar 393 Milliarden Euro – macht 18,7 Milliarden Euro pro Jahr. Ohne mögliche Preissteigerungen wohlgemerkt. Insbesondere im Zuge der Lieferengpässe nach der Corona-Pandemie und im Zuge der Energiekrise nach Ausbruch des Ukraine-Krieges hat der Bau zuletzt bereits kräftige Preissprünge erfahren. Haus und Grund geht in seiner Berechnung davon aus, dass 60 Prozent der gesamten Investitionskosten auf die Mieter umgelegt werden.
„Es erscheint sehr fraglich, ob ein individualisierter Klimaschutz über Vorgaben an Einzelgebäude sozial und gesellschaftlich gerecht bewältigt werden kann“, sagte Haus-und-Grund-Präsident Kai Warnecke unserer Redaktion. Klimaschutz sei eine Gemeinschaftsaufgabe und könne je nach Leistungsfähigkeit und Lebenssituation nicht dem Einzelnen aufgebürdet werden. Warnecke forderte „realistische und erreichbare“ Ziele für den Gebäudebestand. „Ein übermäßig hoher Standard wird die wirtschaftliche Tragfähigkeit überschreiten und damit die Umsetzung der Maßnahmen gefährden.“
Unter dem Gesichtspunkt der Energieeinsparung würden die Sanierungen der rund sechs Millionen Wohnungen deutliche Effekte erzielen. Bei einer Modernisierung auf den EH55-Standard könnten fast 54 Terawattstunden Energie eingespart werden, bei EH115 immerhin noch 15,7 Terawattstunden.
Mieterbund fordert geringere Modernisierungsumlage und höhere Förderung
Sorgen vor einer hohen Belastung hat der Deutsche Mieterbund. „Im Status quo wird Warmmietenneutralität tatsächlich häufig nicht erreicht“, sagte Mieterbundpräsident Lukas Siebenkotten unserer Redaktion. Er sieht den Hauptgrund dafür in der Modernisierungsumlage. Vermieterinnen und Vermieter sind laut der Umlage nicht verpflichtet, Fördermittel zu beantragen. Auch die Haus-und-Grund-Berechnung geht nicht von einer Inanspruchnahme von Fördermitteln aus. „Aktuell wird die Förderung von privaten Vermietern zwar kaum in Anspruch genommen, dennoch bieten die bestehenden Förderprogramme die Möglichkeit, die finanziellen Lasten der Eigentümer zu mindern“, heißt es in der Studie.
Mieterbund-Präsident Siebenkotten stört an der Umlage nicht nur die fehlende Verpflichtung zur Inanspruchnahme von Fördergeldern. Die Umlage stelle es Vermietern frei, Kosten an die Mieter weiterzugeben, anabhängig von der Höhe der Energieeinsparung. „Dieses System muss aus unserer Sicht abgeschafft, mindestens aber reformiert werden“, sagte Siebenkotten. Er plädiert für ein sogenanntes Drittelmodell: Öffentliche Hand, Vermieter und Mieter teilen sich dabei die Kosten. Würde die Modernisierungsumlage auf 3 Prozent abgesenkt und die Sanierungsfördersätze gleichzeitig um 15 Prozent erhöht, könnten alle drei Akteure profitieren.
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