Dortmund. Duisburger Ökonom Achim Truger fordert staatliche Unterstützung für die Energiewende. So schätzt er die Aussichten für die Konjunktur ein.

So ziemlich alle, die an der Energiewende mitwirken, haben sich an diesem trüben Dienstagvormittag im Dortmunder U versammelt. Niemand aus Wirtschaft und Wissenschaft bezweifelt, dass dem Wasserstoff als klimafreundlicher Ersatz für Gas und Kohle die Zukunft gehören wird. Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Kongresses Hy-Summit sind sich aber auch einig, dass die ins Stocken geratene Transformation ohne die Hilfe des Staates nicht funktionieren werde. Doch auch am Dienstag bleibt unklar, was die Bundesregierung tun will.

Achim Truger kennt die Lage der deutschen Wirtschaft wie nur wenige andere. Als Wirtschaftsweiser wird der Ökonomieprofessor der Universität Duisburg-Essen im Herbst gemeinsam mit dem Sachverständigenrat die neueste Prognose vorlegen. „Es sieht so aus, dass wir 2024 wieder kein Wachstum haben werden“, sagt er in Dortmund. Und auch für das kommende Jahr ist Truger skeptisch, erwartet gerade mal ein Plus von einem halben Prozent. Das mache ihm Sorgen.

Achim Truger: „Es ist fünf vor zwölf“

„Es ist fünf vor zwölf“, sagt der Wissenschaftler und meint damit nicht nur die Konjunktur in Deutschland, die einfach nicht ans Laufen kommen wolle. Truger hat auch die Energiewende im Blick. „Der Wasserstoff-Ausbau ist nötig, da muss die Bundesregierung liefern“, fordert er und betont, es sei „sehr plausibel“, dass der Staat die Kosten bezuschusse, die bei der Herstellung und dem Transport von Wasserstoff anfallen. Truger spricht sich auch dafür aus, Wasserstoff in Deutschland gebündelt einzukaufen. „Das kann Vorteile haben. Ich weiß aber nicht, was die EU dazu sagt“, meint er im Hinblick auf das Wettbewerbsrecht und unterstreicht, dass man neue Technologien beim Hochfahren nicht dem freien Markt überlassen solle.

Das Ruhrgebiet und NRW sind vom Gelingen der Energiewende in besonderem Maße abhängig. 35 bis 40 Prozent des Wasserstoffs, der in Deutschland nötig ist, um Kohle, Gas und Öl klimafreundlich zu erstetzen, werde in Nordrhein-Westfalen gebraucht, hat der Bochumer Ökonomie-Professor Graham Weale ausgerechnet. Wie und zu welchen Kosten diese gewaltigen Wasserstoff-Mengen hierher gebracht werden, ist noch völlig offen.

Thyssenkrupp Nucera: Industrie ist bereit, ins Risiko zu gehen

„Die Industrie ist bereit, ins Risiko zu gehen. Wenn wir eine Infrastruktur für Wasserstoff haben, wird es auch Abnehmer geben. Davon bin ich überzeugt“, macht Werner Ponikwar, Chef der Dortmunder Thyssenkrupp-Tochter Nucera, die Elektrolyseure zur Herstellung von Wasserstoff entwickelt, Mut. Beim Hy-Summit wird deutlich, dass die Investitionsbereitschaft der Unternehmen groß ist.

„Wir haben bereits mehr als zehn Milliarden Euro für den Start des Wasserstoff-Kernnetzes eingesammelt“, sagt Thyssengas-Chef Thomas Gößmann. Das in Dortmund ansässige Unternehmen ist Betreiber eines großen Fernleitungsnetzes für Erdgas. „Teile des Systems haben wir bereits auf Wasserstoff umgestellt“, erklärt Gößmann und rechnet damit, dass im nächsten und übernächsten Jahr die ersten reinen Wasserstoff-Leitungen in Betrieb gehen werden. „Die Bagger laufen“, sagt er.

Amprion will 27,5 Milliarden Euro ins Stromnetz investieren

Um Elektrolyseure und Speicherbatterien zu betreiben, braucht es viel grünen Strom. Christoph Müller, Geschäftsführer des Dortmunder Übertragungsnetzbetreibers Amprion, kündigt an, dass sein Unternehmen bis zum Jahr 2028 rund 27,5 Milliarden Euro in sein Stromnetz investieren werde. Im Gegenzug fordert er, dass nicht auch noch die aufwändigen Anschlüsse für Elektrolyseure über die Netzentgelte finanziert werden. „Ich plädiere dafür, die Transformationskosten aus dem Staatshaushalt zu finanzieren“, so Müller.

Im Auftrag der Duisburg Business Innovation GmbH hatte der Bochumer Ökonom Weale ausgerechnet, dass rein mit erneuerbaren Energien erzeugter grüner Wasserstoff, wie ihn die EU-Kommission vorschreibt, fast drei Mal so teuer sein werde als bislang erwartet. Die hohe Kostenbelastung treibt auch Thyssenkrupp Steel um. Der Konzern baut gerade in Duisburg die erste millardenschwere Direktreduktionsanlage, die grünen Stahl produzieren soll. Jens Reichel, Leiter strategische Prozesse bei Thyssenkrupp Steel, sagt am Rande des Hy-Summit, dass grüner Stahl, der mit Wasserstoff zum Kilogramm-Preis von 8,50 Euro hergestellt wird, auf dem Weltmarkt kaum zu verkaufen sei. Weale hält es sogar für möglich, dass grüner Wasserstoff bis zu elf Euro kosten könnte.

Thyssengas-Chef: Blauer Wasserstoff 20 Jahre nötig

Beim Kongress in Dortmund ist man sich am Dienstag deshalb einig, dass die EU auch blauen Wasserstoff zulassen solle. Das CO2, das bei der Aufspaltung von Wasser entsteht, wird dabei unterirdisch verpresst. Thyssengas-Chef Gößmann ist davon überzeugt, dass der Einsatz von blauem Wasserstoff für eine Übergangszeit von 20 Jahren nötig sei.  

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