Berlin. Kommt es durch Änderungen bei der Abgasmessung zur Stilllegung vieler Diesel-Autos? Der Verkehrsminister glaubt das, der ADAC eher nicht.

Droht Millionen Dieselfahrern wegen möglicher neuer EU-Vorgaben die Stilllegung ihrer Autos? Deutschlands Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) befürchtet das. Wissing hat sich deshalb mit einem Schreiben an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) gewandt. Darüber hatte zuerst die „Bild“ berichtet.

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Anderer Auffassung ist Europas größter Verkehrsclub: Der Allgemeine Deutsche Automobilclub (ADAC) hat der Annahme Wissings, wonach Millionen Dieselfahrzeugen wegen möglicher neuer Verfahren bei der Abgasmessung die Stilllegung drohe, ausdrücklich widersprochen. Der ADAC sehe keine sachliche Grundlage für eine Stilllegung, teilte der Automobilclub auf Anfrage dieser Redaktion mit.

Größter deutscher Automobilclub: Betriebsuntersagung „abwegig“

„Diese Fahrzeuge sind zum Zeitpunkt der Betriebnahme ordnungsgemäß zugelassen worden. Änderungen im Messverfahren bei der Typgenehmigung eines Kfz zu einem späteren Zeitpunkt können nach Auffassung von ADAC-Juristen nicht rückwirkend Anwendung finden“, so der ADAC weiter. Eine Betriebsuntersagung sei vor diesem Hintergrund „abwegig“, hieß es.

Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) hatte zuvor in einem Brief an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) vor einer Stilllegung von Millionen Dieselfahrzeugen gewarnt. Das Schreiben liegt dieser Redaktion vor. Hintergrund dafür ist die Auseinandersetzung um neue Verfahren zur Abgasuntersuchung. Laut Verkehrsministerium laufe dazu ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH).

Die EU-Kommission reagierte am Abend – allerdings ohne näher auf die von Wissing gezogenen Schlussfolgerungen einzugehen. Man verfolge dieses laufende Verfahren beim Europäischen Gerichtshof, teilte eine Sprecherin auf Anfrage dieser Redaktion mit. „Die Kommission wird sich immer für Lösungen einsetzen, die zu einer gesunden sauberen Luft beitragen und zugleich umsetzbar sind und das Vertrauen der europäischen Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen schützen“, so die Sprecherin weiter.

Wissing warnt: „Nicht realisierbare nachträgliche Anforderung“

In dem betreffenden Gerichtsverfahren hat die EU-Kommission laut Wissing die Auffassung vertreten, dass die Schadstoffgrenzwerte nicht nur im Normalbetrieb, sondern für jede Fahrsituation gelten würden. Das würde bedeuten, dass die Grenzwerte auch bei sogenannten „Vollastfahrten“ mit Steigung einzuhalten wären – das bedeutet: wenn ein Auto voll geladen bergauf fährt und der Motor seine maximal mögliche Leistung erreicht. „Dies ist nach derzeitigem Stand der Technik nicht umsetzbar und würde damit die in Verkehr befindlichen Fahrzeuge eine nicht realisierbare nachträgliche Anforderung darstellen“, so Wissing in dem Schreiben. 

Sämtliche Euro 5-Genehmigungen würden infrage gestellt. Ausgeschlossen seien auch nicht Konsequenzen für Fahrzeuge nach der Abgasnorm Euro 6. „Millionen von Fahrzeugen droht damit die Außerbetriebsetzung“, so Wissing. Allein in Deutschland wären 4,3 Millionen Euro 5- und gegebenenfalls 3,9 Millionen Euro 6-Dieselfahrzeuge betroffen.

Verbraucher verunsichert: ADAC, VDA und Wissing fordern EU zur Klarstellung auf

Nach Zahlen des Kraftfahrt-Bundesamts waren Anfang 2024 in Deutschland rund 49 Millionen Pkw in Betrieb. Eine Lösung könnte laut Wissing darin bestehen, in den fraglichen Vorschriften noch vor der EuGH-Entscheidung eine Klarstellung vorzunehmen.

Auch der ADAC forderte die EU auf, die Sache klarzustellen. „Nach Berichten, wonach eine Stilllegung von Dieselfahrzeugen der Abgasnormen Euro 5 und Euro 6 drohe, hält der ADAC eine Klarstellung seitens der Europäischen Kommission für absolut dringlich, um Verbraucher nicht weiter zu verunsichern“, hieß es von dem Autoclub. Auch die Präsidentin des Verbands der Deutschen Automobilindustrie (VDA), Hildegard Müller, forderte von der Bundesregierung und der EU-Kommission eine rasche Klarstellung über die Zulassung von älteren Dieselfahrzeugen.

Union sieht bei Wissing „Versagen mit Ansage“

Die Unionsfraktion im Deutschen Bundestag forderte in einer ersten Reaktion Bestandsschutz für möglicherweise von neuen, härteren Abgasvorgaben betroffene Fahrzeuge. Immer härtere Messauflagen würden keinen Sinn ergeben, sagte der wirtschaftspolitische Sprecher, Thomas Bareiß. „Man hat den Eindruck, da wurde mancher Beamte in Brüssel und Berlin weniger von Pragmatismus und Sinnhaftigkeit getrieben, sondern vielmehr vom ideologischen Kampf gegen das Auto. Besonders grotesk ist in der Tat die Idee, die neuen Messkriterien auf ältere Fahrzeuge auszudehnen“, erklärte er weiter.

Gleichzeitig übte Bareiß Kritik an Verkehrsminister Wissing. „Wenn jetzt Herr Wissing markige Briefe nach Brüssel schreibt, frage ich mich, wo er denn in den EU-Ministerräten war, in denen diese Themen besprochen wurden“, sagte der CDU-Abgeordnete. Oft sei sich die Ampel selbst nicht einig und somit in Brüssel nicht handlungsfähig gewesen. „Ein Versagen mit Ansage – und mittendrin Wissing“, befand Bareiß.