Berlin. Arbeitnehmer, die das Renteneintrittsalter erreicht haben, sollen mit Einmalzahlung am Arbeitsmarkt gehalten werden. Experten rechnen vor.

  • 20.000 Euro Prämie, wer etwas später in Rente gehen will – das könnte bald Realität werden
  • Die Bundesregierung plant eine sogenannte Rentenaufschubprämie
  • Doch was steckt dahinter und für wen könnte es sich lohnen?

Noch nicht in Rente gehen, stattdessen weiterarbeiten und dann von einer Einmalzahlung profitieren? Das ist ein neuer Plan der Bundesregierung. Wichtige Fragen und Antworten zur sogenannten Rentenaufschubprämie:

Was hat die Ampel sich ausgedacht?

Die Rentenaufschubprämie soll eine neue Wahlmöglichkeit für Menschen sein, die nach Erreichen der Regelaltersgrenze weiterarbeiten möchten. Eine entsprechende Passage dazu findet sich in der Wachstumsinitiative von SPD, Grünen und FDP. Wer länger arbeitet und den Rentenbeginn aufschiebt, kann mit der Rentenaufschubprämie die entgangenen Rentenzahlungen und den seitens der Rentenversicherung eingesparten Beitrag zu Krankenversicherung abgabenfrei ausbezahlt bekommen.

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Um Anreize weiterzuarbeiten zu erhöhen, sollen zudem Arbeitslosen- und Rentenversicherungsbeiträge an Arbeitnehmer, die im Rentenalter weiter berufstätig sind, ausgezahlt werden. „Beim gleichen Arbeitgeberbrutto hätte ein älterer Beschäftigter also mehr netto in der Tasche“, so Rentenexperte Johannes Geyer vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin.

Die Möglichkeit der Einmalzahlung ist als Ergänzung zu der bislang schon bestehenden Flexirente geplant. Bei dieser Option erhalten Menschen, die ihren Rentenbeginn aufschieben, für jeden nach der Altersgrenze gearbeiteten Monat eine um 0,5 Prozent erhöhte Rentenleistung – pro Jahr also sechs Prozent mehr Rente.

Wie bewerten Experten die Pläne?

Was den Erfolg angeht, skeptisch. DIW-Forscher Geyer vermisst eine wirkliche Innovation. Bereits jetzt sei es ja möglich, Rente zu beziehen und gleichzeitig weiterzuarbeiten, was finanziell ähnlich reizvoll sei. Möglicherweise könne aber durch den Charakter der Einmalzahlung und der Abgabenfreiheit eine Verhaltensänderung erzeugt werden, so der Experte.

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    Auch der Wirtschaftsweise Martin Werding rechnet nicht mit „massiven Effekten“. Generell lasse sich eben der weitverbreitete Wunsch nach einem frühen Renteneintritt nicht leicht beeinflussen. „Die bisher schon geltenden Zuschläge von sechs Prozent für jedes zusätzliche Erwerbsjahr nach der Regelaltersgrenze werden in der Praxis kaum genutzt. Der Gedanke, sie in einer einmalig ausgezahlten Rentenaufschubprämie zu bündeln, ist daher interessant. Das macht die erhöhten Rentenansprüche viel sichtbarer“, sagte Werding unserer Redaktion.

    Würde sich das lohnen?

    Durchaus. „Wenn sie den zusätzlichen Rentenansprüchen durch die bisherigen Zuschläge entsprechen soll, könnten sich für Standardrentner rund 20.000 Euro ergeben, wenn sie ein Jahr länger arbeiten“, so Werding weiter.

    Der Rentenexperte Jan Scharpenberg vom Geld-Ratgeber Finanztip erklärt: „Die abgabenfreie Einmalauszahlung bietet für Verbraucher mit wenig Altersvorsorge die Möglichkeit, mit zwei bis drei Jahren Weiterarbeit noch einen mindestens kleinen Kapitalstock für den Ruhestand aufzubauen. Schon bei vergleichsweise geringen Renten kommen schnell mehrere Zehntausend Euro zusammen.“ Auch wer möglicherweise noch die letzte Rate für das Haus abbezahlen muss, würde die Rentenaufschubprämie gut nutzen können, so Scharpenberg.

    Wie teuer wird das für die Rentenkasse?

    „Die Prämie entspricht der Höhe der aufgeschobenen Rentenzahlungen inklusive des Krankenversicherungsanteils der Rentenversicherung. Nach derzeitigem Kenntnisstand wäre mit keinen Mehrkosten zu rechnen“, teilte eine Sprecherin der Deutschen Rentenversicherung (DRV) auf Anfrage unserer Redaktion mit.

    Wie viele Menschen könnten ein solches Angebot nutzen?

    Prinzipiell kann die Rentenaufschubprämie von sämtlichen Personen in Anspruch genommen werden, die nicht vor, sondern ab der Regelaltersgrenze in Rente gehen, teilte das Bundeswirtschaftsministerium mit. 2022 waren das laut Rentenversicherung 365.701 Menschen. Voraussetzung ist aber, dass diese noch zum Beginn des Rentenaufschubs erwerbstätig sind, so das Ministerium. Details zur Frage, wann Versicherte sich auch für die Einmalzahlung entscheiden können, nannte man nicht. „Die Prämie sollte zeitnah als Wahlmöglichkeit eingeführt werden“, so ein Ministeriumssprecher.

    Was sagen Arbeitgeber?

    Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) hält die Grundidee für „richtig“. „Wenn dieser Zuschlag künftig kapitalisiert als sogenannte Rentenaufschubprämie ausgezahlt werden kann, könnte das ein Anreiz sein, länger zu arbeiten und später in Rente zu gehen. Denn dann wird dieser finanzielle Vorteil sofort spürbar“, heißt es von der Organisation. Auf die konkrete Ausgestaltung komme es allerdings an. Wichtig sei, dass die Höhe der geplanten Prämie ausgabenneutral kalkuliert werde und damit nicht die Beitragszahler zusätzlich belaste.

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    Auch die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) begrüßt die Idee einer Einmalzahlung. „Zusätzliche finanzielle Anreize für die Beschäftigten sind ein wichtiger Schritt. Bei der Ausgestaltung etwa einer neuen Prämie kommt es darauf an, dass damit keine bürokratischen oder finanziellen Belastungen für die Betriebe verbunden sind“, sagte der stellvertretende DIHK-Hauptgeschäftsführer Achim Dercks unserer Redaktion. Richtig sei auch, so Dercks, dass es für Unternehmen generell einfacher möglich sein soll, ältere Arbeitnehmer befristet weiterzubeschäftigen. Dafür hat die Ampel auch beschlossen, das sogenannte Vorbeschäftigungsverbot abzuschaffen, das bislang für hohe Hürden bei der befristeten Wiedereinstellung von früheren, aber nunmehr in Rente befindlichen Arbeitnehmern sorgte.

    Grundsätzlich, so die DIHK, sei es zudem wichtig, alle Anreize zu einem vorzeitigen Ausstieg aus dem Erwerbsleben abzuschaffen. „Vor diesem Hintergrund ist die abschlagsfreie Rente nach 45 Beitragsjahren ein klarer Fehlanreiz“, sagte Dercks weiter.

    Und sozialpolitische Interessenverbände?

    Der Sozialverband Deutschland (SoVD) sieht eine „schöne zusätzliche Regelung“ und einen „interessanten Anreiz, den Renteneintritt eventuell doch etwas nach hinten zu schieben“. „Der Reiz kann hierbei darin liegen, dass zum Beispiel nach einem Jahr mehr Arbeit das Geld für ein neues Dach oder eine längere Reise da ist. Voraussetzung ist jedoch, dass die Menschen gesund und fit genug zum Arbeiten sind“, sagte die SoVD-Vorstandschefin Michaela Engelmeier unserer Redaktion.

    Wie groß ist die Lücke, die Babyboomer in nächster Zeit am Arbeitsmarkt reißen?

    Bei der Frage, wie viele Arbeitskräfte dem deutschen Arbeitsmarkt künftig zur Verfügung stehen werden, spielt die Generation der sogenannten Babyboomer, also die geburtenstarken Jahrgänge, geboren zwischen 1957 und 1969, eine herausragende Rolle. Laut Mikrozensus 2021 werden 12,9 Millionen Erwerbspersonen bis 2036 das Renteneintrittsalter überschritten haben. Bezogen auf das Berichtsjahr 2021 entspricht das laut Statistischem Bundesamt knapp 30 Prozent der dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehenden Erwerbspersonen. Ein Teil davon wird kompensiert über ausländische Fachkräfte und jüngere Jahrgänge. DIW-Forscher Geyer rechnet in den kommenden Jahren dennoch mit einer Nettolücke an Arbeitskräften in Höhe von „geschätzt vier bis fünf Millionen“. Diese gelte es zu füllen, so Geyer.