Berlin. Als angespannt gilt das Verhältnis zwischen Politik und Industrie. Der Kanzler versucht, die Wogen zu glätten. Mit mäßigem Erfolg.

Als Olaf Scholz (SPD) am Nachmittag die Bühne im altehrwürdigen Gasometer im Südwesten der Hauptstadt betritt, setzt er sein typisches Scholz-Lächeln auf. Viel geklatscht habe er, sagt der Bundeskanzler dann – und bezieht das auf die Rede, die Industriepräsident Siegfried Russwurm kurz zuvor gehalten hatte. Da habe er durchaus Übereinstimmungen festgestellt.

Wer Russwurms Rede am Tag der Industrie verfolgt hat, könnte andere Schlüsse ziehen als der Kanzler. Es klingt nach gut zweieinhalb Jahren Ampel-Koalition nicht mehr wie ein Hausaufgabenheft, sondern eher wie ein Zwischenzeugnis. Unterm Strich steht bestenfalls eine vier minus – auch, wenn Russwurm das so direkt nicht sagt. In seinen Ausführungen legt der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) schonungslos das offen, was aus Sicht vieler Unternehmen falsch läuft im Land.

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Im Grunde ist es ein Ritt durch die Unzulänglichkeiten des Standorts: teure Energiekosten, wenig Investitionsanreize, zu hohe Unternehmenssteuern und eine überbordende Bürokratie. So falle man im weltweiten ökonomischen Kräftemessen zurück, befürchtet der Industrielle. Immerhin: Dass im Bundeskanzleramt das Problembewusstsein für die Lage fehle, lässt Russwurm als guter Gastgeber diesmal weg.

Industriepräsident listet auf, was in Deutschland nicht gut läuft

Das Verhältnis zwischen Wirtschaft und Politik in Deutschland – es war schonmal besser. Nicht nur das zuletzt äußerst geringe Wirtschaftswachstum belastet. Viele Firmenlenker bemängeln eine fehlende Verlässlichkeit politischer Entscheidungen. Das heißt: Während im globalen Wettbewerb Länder wie USA und China wachsen, muss Deutschland darum kämpfen, den Anschluss wiederherzustellen. Wie das gelingen könnte – vor allem darüber wird auf dem diesjährigen Tag der Industrie, der noch bis einschließlich Dienstag stattfindet, diskutiert werden.

Stephan Buchholz führt die Buchholz & Cie Gießerei GmbH. Sein Urgroßvater hatte das Unternehmen 1907 gegründet. Heute führt Buchholz die Firma in vierter Generation.
Stephan Buchholz führt die Buchholz & Cie Gießerei GmbH. Sein Urgroßvater hatte das Unternehmen 1907 gegründet. Heute führt Buchholz die Firma in vierter Generation. © Dominik Bath | Dominik Bath

Aus dem beschaulichen Zweibrücken (Rheinland-Pfalz) ist auch Stephan Buchholz (52) angereist. Die große Verbände-Welt ist eigentlich nicht Buchholz‘ Ding. Der Geschäftsführer des kleinen Mittelständlers Buchholz & Cie Gießerei GmbH mit sechs Millionen Euro Umsatz und 40 Beschäftigten will aber aus erster Hand erfahren, welchen Plan der Kanzler für die Industrie im Land hat. Für Buchholz ist das wichtig. Er will Werte schaffen – und sie erhalten. „Ich denke in Generationen, nicht in Quartalen“, sagt er.

Für die kleine Gießerei sind es keine leichten Zeiten. „Wir fahren mit angezogener Handbremse“, erzählt der Familienunternehmer. Buchholz sagt, er würde gerne investieren, aber er müsse sich darauf verlassen können, dass das, was heute gelte, auch noch morgen gilt. Pläne für Investitionen hat er längst in der Schublade. Vor allem Dekarbonisierung hat er im Sinn. Eisengießprodukte wie Zylinderköpfe oder Getriebegehäuse würden derzeit noch mit Ofentechnik auf Heizölbasis produziert. Man könne umstellen, auf eine strombasierte Lösung. „Rechnet sich aber nicht“, sagt Buchholz. Also bleiben die Pläne erstmal da, wo sie sind.

Unternehmer macht Foto von Scholz – der Kanzler wartet auf Applaus

Buchholz aber ist am Tag der Industrie neugierig. Er will hören, was Kanzler Scholz und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) zu sagen haben. „Mir geht es darum, zu erfahren, ob die Regierung ein Konzept hat für die Industrie im Land“, sagt der Mittelständler. Dann Auftritt Scholz. Buchholz sitzt in einer der hinteren Reihen. Als der Kanzler an das Pult geht, macht der Unternehmer erstmal ein Foto mit seinem Smartphone.

Volkswirte geben Standort Deutschland eine Drei minus

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    Scholz redet über vieles an diesem Nachmittag. Zunächst verspricht er einen besseren Zugang zu Kapital, redet über weitere bürokratische Entlastungen und sagt auch, dass man das europäische Lieferkettengesetz für Deutschland unternehmensfreundlich gestalten werde. Scholz hält die linke Hand an sein Ohr, so als ob er Applaus erwarten würde. Stattdessen Gemurmel. Dann redet er einfach weiter.

    Nächstes Thema: Energiepreise. Jede Leitung, die man zusätzlich baue, führe zu Kostensenkungen auch bei Firmen, sagt Scholz mit Blick auf die zuletzt erneut hohen Netzentgelte. Dann: Infrastruktur. Weitere milliardenschwere Investitionen und mehr Tempo verspricht Scholz und auch, die Abschreibungsbedingungen für Unternehmen weiter zu verbessern.

    Acht Monate für Genehmigung: In Malaysia steht da bereits eine Halle

    Stephan Buchholz sagt später, dass der Kanzler seinen Worten auch Taten folgen lassen müsse. „Dann war das eine Wende-Rede.“ Und auch die Rede von Habeck, die der Wirtschaftsminister sichtlich unter dem Eindruck seiner China-Reise und dem Zollstreit zwischen der Volksrepublik und der EU hält, kommt gut an. Habeck warnt vor Protektionismus, sieht darin eine Abwärtsspirale. „Am Ende verlieren alle“, so der Vizekanzler. Dann schlägt er sieben konkrete Punkte vor. Schneller und unbürokratischer müsse es in Europa zugehen.

    Simone Mosca wünscht sich wieder mehr Vertrauen in die unternehmerischen Fähigkeiten.
    Simone Mosca wünscht sich wieder mehr Vertrauen in die unternehmerischen Fähigkeiten. © Dominik Bath | Dominik Bath

    Die Unternehmerin Simone Mosca glaubt daran noch nicht. „Wir freuen uns, dass sich wohl was ändern wird“, sagt sie nach den Auftritten von Scholz und Habeck. Über die Unzulänglichkeiten des Standorts Deutschland kann Mosca, Chefin von über 1400 Angestellten, ihre eigene Geschichte erzählen. In Malaysia habe der Sondermaschinenbauer aus dem baden-württembergischen Waldbrunn innerhalb von acht Monaten eine neue Halle errichtet. Am Firmenhauptsitz habe man hingegen nur die Nutzung einer Halle umwidmen wollen. Das habe genauso lange gedauert und sei immer noch nicht abgeschlossen.

    Mosca sagt, sie wünsche sich wieder mehr Vertrauen in unternehmerische Fähigkeiten. „Was uns stark macht, ist das Tüfteln“, so die Firmenchefin. Ihr Schwiegervater gründete einst in einer Waschküche. Nach Corona war der Verpackungsspezialist stark gewachsen, hält nun aber erstmal das Geld zusammen. „Wachstum erwarten wir nicht“, sagt die Unternehmerin. Stattdessen mache man sich gerade „wetterfest“ – auch die aufmunternden Reden von Scholz und Habeck ändern daran zunächst wohl nichts.