Berlin. Wohnraum preiswert anzubieten, ist für Firmen verstärkt ein Argument beim Werben um Fachkräfte. Doch für Mieter gibt es Fallstricke.

Sieben Stockwerke, 6600 Quadratmeter Wohnfläche, bodentiefe Fenster, Loggien für die nach Süden ausgerichteten Wohnungen und Wintergärten für die Unterkünfte in Richtung Norden – und dann noch zwischen Stachus und Königsplatz, in einem der begehrtesten Gegenden Münchens, gelegen.

Die Stadtwerke München (SWM) hatten den Neubau mit 85 Wohnungen erst im April eingeweiht. Früher befand sich auf dem Grundstück ein Heizkraftwerk, jetzt soll hier gewohnt werden. Einziehen dürfen ausschließlich Mitarbeiter der SWM. Die Beschäftigten und ihre Familien kommen dabei für Münchner Verhältnisse außerordentlich günstig weg. Die Miete liege für 70 Prozent dieser Wohnungen bei 15 Euro pro Quadratmeter, teilte das Unternehmen auf Anfrage mit.

Immobilien: Hohe Kosten für Neubau – Warum es im Ausland günstiger ist

Ein besonderes von Kommune und Land unterstütztes Fördermodell ermögliche für bestimmte Einkommensgruppen sogar eine reduzierte Miete von 10 oder 11,50 Euro je Quadratmeter, heißt es weiter. Das Portal Immoscout24 weist für München einen durchschnittlichen Mietpreis von 18,85 Euro pro Quadratmeter aus. Deutlich teurer ist für gewöhnlich die Gegend rund um den Stachus.

Mitarbeiterwohnungen: Zum Teil gefördert und auch deshalb besonders günstig

Zur Miete beim Chef wohnen – das ist in Deutschland wieder Trend. Experten bescheinigen den Mitarbeiter- oder Werkswohnungen ein Comeback. Vor allem in Ballungsgebieten und Großstädten mit hohen Mieten und ohnehin angespanntem Wohnungsmärkten setzen vermehrt kommunale Unternehmen, aber auch kleinere Betriebe wie Bäckereien und Hotels auf eigene Unterkünfte für ihr Personal.

SWM Werkswohnungen
Chic, aber nicht so teuer wie sonst in München: Mitarbeiterwohnungen der Stadtwerke in der bayerischen Landeshauptstadt. Deutschlandweit gibt es Unternehmen, die wieder vermehrt günstigen Wohnraum anbieten – vor allem, um Fachkräfte anzuziehen. © picture alliance / SZ Photo | Stephan Rumpf

Die neusten Zahlen zu Werkswohnungen liefert eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW Köln). Demnach vermieteten hierzulande im vergangenen Jahr gut fünf Prozent der Unternehmen Unterkünfte an Mitarbeiter. Die Zahl der Mitarbeiterwohnungen bezifferte die Erhebung auf 675.000 Wohnungen sowie 46.000 Wohnheimplätze für junge Beschäftigte. Der IW-Immobilienexperte Michael Voigtländer stellt wegen der schwierigen Fachkräftesuche ein zunehmendes Engagement der Arbeitgeber fest.

Die Münchner Stadtwerke bauen deswegen schon seit einiger Zeit Mitarbeiterwohnungen. 1400 sind derzeit im Bestand. Bis 2030 soll das Portfolio auf mehr als 3000 Einheiten anwachsen. Genutzt werden dafür Grundstücke, die ohnehin in Firmenbesitz sind und in Wohnfläche transformiert werden, so die SWM. Nicht überall in Deutschland werde das so unkompliziert gehandhabt, so der Experte Voigtländer. „Für den Wohnungsbau sind diese Betriebsgrundstücke ein Riesenschatz, weil so neues Bauland gewonnen werden kann. Kommunen müssen da flexibler werden.“

Wo die Mieten in Deutschland am stärksten steigen

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    Mitarbeiter- oder Werkswohnungen galten zwischenzeitlich als angestaubt, haben in Deutschland aber Tradition. Neue Maßstäbe setzten Anfang des 20. Jahrhunderts die Werkswohnungen, die Siemens in Berlin bauen ließ. In der Siedlung „Nonnendamm“ wurden zwischen 1909 und 1914 Wohnblöcke mit insgesamt 203 Wohnungen errichtet. Vorzugsweise Siemens-Beamte bezogen die neuen Unterkünfte, die für damalige Verhältnisse vergleichsweise luxuriös erschienen: Alle Wohnungen verfügten über eine Innentoilette, zwei Drittel sogar über ein eigenes Bad.

    In der Nachkriegszeit knüpfte man daran an, auch wegen der vielen Gastarbeiter, die nach Westdeutschland gelangten. Ende der 1970er-Jahre gab es in der Bundesrepublik gut 450.000 Werkswohnungen. Als gut zwei Jahrzehnte später viele Konzerne ihre Bestände verkauften, foltge die Kehrtwende. In einigen Fällen würde man die Zeit gerne wieder zurückdrehen.

    BASF-Arbeitersiedlung in Ludwigshafen-Hemshof
    Ein Wohnhaus in der BASF-Arbeitersiedlung in Ludwigshafen-Hemshof um 1896: Nicht nur bei dem Chemieriesen haben Werkswohnungen eine lange Tradition. © picture alliance/dpa | -

    Der Präsident des Deutschen Mieterbundes (DMB), Lukas Siebenkotten, nennt den Verkauf vieler Werkswohnungen inzwischen einen „fatalen Fehler“. Und auch Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger betonte angesichts der erneut verfehlten Neubauziele, das Versagen der Wohnungsbaupolitik werde immer mehr zu einer Wachstumsbremse. „Mitarbeitergewinnung läuft längst nicht mehr nur über das Gehalt“, sagte Dulger. „Immer mehr Arbeitgeber unterstützen daher ihre Beschäftigten bei der Wohnungssuche, um sie zu halten oder neues Personal anzuziehen.“

    Mieterbund sieht in Werkswohnungen nicht nur Vorteile für Mieter

    Wer beim Chef einziehen darf, muss zuvor allerdings häufig ein komplexes Verfahren durchlaufen. Die Stadtwerke München haben dafür mit dem Betriebsrat ein Punktesystem entwickelt. Nach Kriterien wie Dienstzugehörigkeit, Höhe des Einkommens oder mitziehende Kinder erfolgt die Auswahl unter den Bewerbern, so die SWM. Das Wohnungsangebot richte sich vor allem an Beschäftigte in den unteren Entgeltgruppen.

    Leitende Angestellte dürfen sich gar nicht erst bewerben. Das gilt auch für ehemalige Mitarbeiter im Ruhestand. Der Autobauer VW in Wolfsburg und der Chemiekonzern BASF in Ludwigshafen lassen in ihren Werkswohnungen hingegen auch firmenfremde Mieter zu. Volkswagen Immobilien (VWI) mit knapp 9500 Bestandswohnungen vermietet seit Anfang der 1990er-Jahre, als die Leerstände noch hoch waren, an alle.

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    Auch BASF mit 6000 Einheiten vermietet an die „breite Bevölkerung“. Grundsätzlich würden Firmen aber wollen, dass ihre eigenen Mitarbeiter profitieren, sagt Experte Voigtländer. Mitunter, so wie beim Klinikum Stuttgart, das 1000 Fachkräften Wohnraum anbieten kann, ist eine Personalunterkunft auch an die Dauer des Arbeitsverhältnisses gebunden.

    Geywitz setzt bei Werkswohnungen auf Wohngemeinnützigkeit

    Für Mieter können die Werkswohnungen daher auch Nachteile haben. Laut dem Mieterbund sei zwar eine gesonderte Kündigung des Mietvertrags durch den Vermieter nötig. Jedoch gelten verkürzte Fristen. Benötige der bisherige Arbeitgeber die Unterkunft, könne er Wohnraum, der kürzer als zehn Jahre vermietet war, am dritten Werktag eines Kalendermonats zum Ablauf des übernächsten Monats kündigen, so der DMB. Noch kürzer ist die Frist zum Beispiel bei Hausmeisterwohnungen. „Hier kann bis zum dritten Werktag eines Kalendermonats bereits zum Monatsende dieses Monats gekündigt werden.“

    Mitarbeiterwohnungen auf dem Vormarsch
    Fahrzeuge von Volkswagen stehen vor der Waldsiedlung „Steimker Berg“, die in den 1950er-Jahren für Mitarbeiter von Volkswagen erbaut wurde. © picture alliance/dpa/VW | -

    Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) versucht nun, auch mit der wieder eingeführten Wohngemeinnützigkeit, den Wohnungsbau durch Unternehmen anzukurbeln. Dass allein steuerliche Vorteile dafür ausreichen, wird von Experten aber bezweifelt. Man habe in Deutschland zu wenige Wohnungen, weil die Baukosten zu hoch seien. Daran ändere auch das neue Gesetz nichts, sagte der CDU-Bundestagsabgeordnete Jan-Marco Luczak.

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    Die Union habe in der letzten Wahlperiode umgesetzt, dass der geldwerte Vorteil für den Nutzer einer unter der ortsüblichen Vergleichsmiete vermieteten Werkswohnung nicht versteuert werden müsse. Daran sollte man anknüpfen, so Luczak. Auch sollten endlich Lärmkonflikte zwischen Wohnen und gewerblichen Nutzungen aufgelöst werden. Deutschlandweit kämpfen Häuslebauer derzeit mit hohen Zinsen, gestiegenen Baukosten, Auflagen und Bürokratie. Laut Voigtländer belaste das eben auch Firmen, die für ihre Belegschaft Wohnraum errichten wollen.

    Werkswohnungen seien darüber hinaus häufig ein Zuschussgeschäft, wobei viele Firmen ohnehin nicht ausschließlich auf die Mietrendite blicken würden. Entscheidend sei letztlich, dass es über das Argument Wohnraum besser gelinge, Fachkräfte zu halten und zu finden. In Sachen Mitarbeiterwohnen könnte die Rechnung für die Wirtschaft deswegen letztlich vielleicht doch aufgehen.