Essen. Insolvenzen von Signa-Unternehmen aus dem Benko-Firmenimperium belasten die Essener RAG-Stiftung mit millionenschweren Verlusten.
Die Essener RAG-Stiftung rechnet aufgrund der Insolvenz zweier Unternehmen aus dem Signa-Firmenimperium des österreichischen Geschäftsmanns René Benko mit millionenschweren Belastungen für die eigene Bilanz. „Wir haben in unserem Jahresabschluss für das Jahr 2023 das komplette Signa-Engagement abgeschrieben“, sagte Bernd Tönjes, der Vorstandschef der RAG-Stiftung in einem FAZ-Interview. Es gehe um eine Größenordnung „zwischen ein und zwei Prozent“ des Gesamtvermögens der Stiftung. Das wäre eine Summe zwischen 180 und 350 Millionen Euro, wird das Anlagevermögen von 17,6 Milliarden Euro der Stiftung zugrunde gelegt. Tönjes sagte, das sei ein „noch überschaubarer Anteil“ und fügte hinzu: „Aber das ist natürlich ärgerlich. Solche Schritte unternimmt man nicht gern.“
Stand heute habe die RAG-Stiftung „kein Risiko mehr in Signa“, betonte Tönjes. „Im Gegenteil, es besteht allenfalls eine potenzielle Chance. Wenn Notverkäufe vermieden werden können, es eine Wertaufholung gibt und die Gläubiger und Anteilseigner in dem Insolvenzverfahren entsprechend zum Zuge kommen.“ Doch es sei ungewiss, in welchem Umfang oder wann das passiere. „Als vorsichtige Kaufleute gehen wir vom Worst Case aus. Den haben wir bilanziell komplett berücksichtigt.“
RAG-Stiftungschef Tönjes verteidigt die Entscheidung, nicht eher bei Signa ausgestiegen zu sein. „Dass man bei ersten Gewitterwolken am Horizont sein Geld nimmt und verschwindet, wäre unüblich und auch vertraglich gar nicht möglich. Die Insolvenz war nicht vorhersehbar“, sagte er. „Die Situation ist jetzt so eingetreten. Wir haben dafür die maximal denkbare Vorsorge getroffen.“
RAG-Stiftung: Einstieg bei Signa „nach intensiver Prüfung“
Im Jahr 2017 habe der damalige Stiftungsvorstand entschieden, bei Signa Prime einzusteigen, „nach intensiver Prüfung natürlich“, so Tönjes, der im Mai 2018 zum Vorsitzenden des Vorstandes der RAG-Stiftung bestellt worden ist. „Wenn man zu diesem Zeitpunkt in hochkarätige europäische Immobilien investieren wollte, führte an Signa kein Weg vorbei. Die hatten ein herausragendes Portfolio. Und die Entwicklung war auch zunächst sehr positiv, es sind rund 60 Millionen Euro an Dividenden zurückgeflossen. Über einen Teilverkauf kamen später noch mal 20 Millionen Euro zusammen.“
Mit der Signa-Immobiliengesellschaft „Prime“ und später auch mit „Development“ sei ein „sehr gutes Geschäft“ verbunden gewesen. „Ab 2022 hat sich das stark eingetrübt. In kurzer Zeit gingen die Zinsen hoch von null auf vier Prozent. Die Geldbeschaffung wurde schwieriger“, so Tönjes. „Die Baukosten sind explodiert, und die Bewertungen der Immobilien sind entsprechend niedriger ausgefallen. Und am Ende ist es ein Liquiditätsproblem. Da ist nicht nur Signa betroffen, auch andere Immobilienentwickler und große Wohnungsbaufirmen spüren das.“
Die Belastung der Bilanz durch die Signa-Insolvenzen seien für die RAG-Stiftung verkraftbar, betont Tönjes. Es gebe „keinerlei Anlass, sich um die Aufgabenerfüllung der Stiftung Sorgen zu machen“.
Diskussion über strengere Kontrolle des Stiftungsvorstands
Angesichts des Signa-Engagements hatte der Chef der Gewerkschaft IGBCE, Michael Vassiliadis, der auch Kuratoriumsmitglied der Stiftung ist, eine strengere Kontrolle des Stiftungsvorstands ins Gespräch gebracht. Im Zusammenhang mit den Signa-Investments gab Vassiliadis zu bedenken, dass die RAG-Stiftung zwar über ein Kuratorium verfüge, nicht aber über einen Aufsichtsrat. Das Kuratorium habe jedenfalls „keine Aufsichtsratsfunktion“.
„Politisch ist natürlich jetzt, dass man Bestandteil dieses speziellen Benko-Vorgangs ist“, sagte Vassiliadis unlängst vor Journalisten. Benko sei „in seinem Geschäftsmodell abenteuerlich“, so der Gewerkschaftschef. Bei der RAG-Stiftung laufe nun eine „Folgenbeurteilung“, so Vassiliadis. Es solle die Frage geklärt werden: „Wie gehen wir jetzt damit um?“ Ein Thema sei die „Risikovorsorge“ bei Investitionen der Stiftung. „Das diskutieren wir gerade noch.“
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Die von Bernd Tönjes geführte RAG-Stiftung, die auf dem Essener Welterbe-Gelände Zollverein residiert, hat die Aufgabe, die Folgekosten nach dem Ende des deutschen Steinkohlenbergbaus zu decken. Dafür legt die Stiftung Geld in zahlreichen Unternehmen an. Zu den Beteiligungen gehören neben dem Essener Chemiekonzern Evonik auch das Gelsenkirchener Wohnungsunternehmen Vivawest sowie die frühere Thyssenkrupp-Aufzugsparte TK Elevator.
Das Kontrollgremium der RAG-Stiftung ist politisch besetzt: Mitglieder sind neben Vassiliadis unter anderem NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU), Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Kuratoriumschef ist der frühere CDU-Vorsitzende Armin Laschet.