Berlin. Der Personalchef des Konzerns redet Klartext über künstliche Intelligenz, einen späteren Renteneintritt und Ratschläge zur Europawahl.
Künstliche Intelligenz wird in vielen Konzernen Jobs und Arbeitsabläufe verändern. Auch bei der international agierenden DHL-Group mit der Deutschen Post. Der Personalvorstand Thomas Ogilvie verrät im Gespräch, welche Auswirkungen die technische Revolution auf die rund 594.000 Jobs haben wird, welche Chancen Flüchtlinge in dem Konzern haben und er erklärt, warum die Mitarbeiter an der Europawahl teilnehmen sollten.
Europa wählt ein neues Parlament. Wie wichtig ist der Wahlausgang für ein internationales Unternehmen wie die DHL Group?
Thomas Ogilvie: Europa ist für uns ein ganz wesentlicher Faktor. Mit unseren mehr als 300.000 Beschäftigten in den EU-Ländern ist es unsere wichtigste Region weltweit. Extrem wichtig sind für uns die Gesetzgebung und Regulierung, etwa zum Binnen- oder Arbeitsmarkt. Es ist ein großes Geschenk, in einem demokratischen Umfeld zu leben. Deshalb ermuntern wir unsere Beschäftigten, zur Wahl zu gehen und damit ein Stück weit die Weichen zu stellen, wie Europa morgen aussehen wird.
Der schwäbische Unternehmer Reinhold Würth hatte seine Mitarbeiter kürzlich vor der Wahl der AfD gewarnt. Geben Sie Wahlempfehlungen?
Nein. Das Wichtigste ist, von seinem Stimmrecht Gebrauch zu machen. Sicher sollte jeder nachdenken, welche Parteien gut für die Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft in Europa sind. Aber die Entscheidung liegt bei jedem Einzelnen.
Würden Sie sich einen europäischen Regierungswechsel wünschen?
Wichtig ist, dass demokratische Kräfte gestärkt werden und nicht solche, die in Europa Ängste schüren oder den gesellschaftlichen Zusammenhalt bedrohen. Auch wir im Unternehmen sind nur zusammen stark, länder- und kulturübergreifend – und das ist auch für die Gesellschaft in Europa richtig. Deshalb freuen wir uns, wenn es weiterhin starke demokratische Mehrheiten gibt. Menschen durch Handel zu verbinden, trägt dazu bei, mehr Wohlstand für alle zu ermöglichen und Krisenursachen zu reduzieren.
Was wünschen Sie sich konkret von dem neuen EU-Parlament?
Europa ist immer dann stark, wenn es die richtige Balance findet zwischen Freiheit und freiheitlicher Entwicklung auf der einen Seite, aber auch sinnvollen, belastbaren und vor allem umsetzbaren Regulierungen. Europa sollte diese Balance halten und sich nicht zu sehr im Klein-Klein verlieren. Dies ist wichtig, um die Wettbewerbsfähigkeit sicherzustellen. Gelingt das, ist dies nicht nur gut für unsere Unternehmen, sondern auch für die Menschen.
Inwieweit spielt die politische Überzeugung bei der Einstellung von Mitarbeitern bei DHL eine Rolle? Haben rechtsextreme oder rassistische denkende Menschen eine Chance auf einen Job?
Ich kann Menschen nicht in den Kopf gucken. Wir machen selbstverständlich keine Gesinnungstests. Wir sind ein diskriminierungsfreier Arbeitgeber und blicken auf die fachliche Eignung. Menschen, die unsere Werte wie Internationalität, Inklusion, Gemeinsamkeit nicht teilen, sollten sich lieber einen anderen Arbeitgeber suchen. Wenn es Fälle von Verstößen gegen Recht und Ordnung gibt, gehen wir dem natürlich nach.
Künstliche Intelligenz ist derzeit die große Herausforderung in der Arbeitswelt. Ist es für die DHL Group eher Fluch oder Segen?
Erstmal ist es ein Fakt. Künstliche Intelligenz gehört zur Evolution von Technologie, der wir uns stellen. In Projekten loten wir seit einiger Zeit aus, wie KI zur Verbesserung unserer Qualität, zur operativen Leistungsfähigkeit, zur Verbesserung des Kundenerlebnis und unserer Arbeitsbedingungen einsetzen können.
Wo setzen Sie KI bereits ein?
Tatsächlich in allen Bereichen vom Kundenservice bis Operations, von Finance bis Human Resources.
Wird es durch KI große Jobverluste geben?
Technologie verändert seit Jahrzehnten die Jobs. Das haben die Elektrizität, die Industrieautomation oder der Computer getan. Das heißt aber nicht, dass Arbeit massenhaft wegfällt, sondern dass sich Jobs verändern.
Welche Bereiche sind besonders betroffen?
Wir haben mehr als 1000 unterschiedliche Berufe vom Investor Relations Spezialisten bis hin zur Zustellkraft. Die Verschiebungen werden je nach Tätigkeit unterschiedlich sein. So wird KI in der Zustellung von Paketen oder Briefen eher optimierende Funktionen haben, doch der Job als Brief- oder Paketzusteller wird bleiben. Für jeden Job muss geprüft werden, wo und wie KI unterstützen kann. Da gibt es keine Pauschalantworten.
Wie wird sich die Beschäftigtenzahl bei der DHL Group entwickeln?
Die Beschäftigtenzahl hängt stärker von der Weltwirtschaft und unseren Marktanteilen in den globalen Logistikbereichen ab, als von der Technologieentwicklung. Aktuell beschäftigen wir rund 594.000 Mitarbeitende. Da wir wachstumsorientiert handeln, gehe ich davon aus, dass auch unsere Beschäftigtenzahl global steigen wird.
Viele Konzerne klagen über Fachkräftemangel. Ist das auch bei DHL ein Problem?
Wir haben vor allem einen lokalen Arbeitskräftemangel. Das gilt nicht nur für Deutschland. Es gibt Hotspots, an denen verfügbare Arbeitskräfte knapp sind. Dem versuchen wir durch gute Arbeitsbedingungen, Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten oder gute Tarife wie in Deutschland zu begegnen. So kommen heute schon die meisten Führungskräfte bei DHL aus dem eigenen Haus, rund 80 Prozent dieser Stellen besetzen wir intern. Diesen Weg wollen wir weitergehen.
Welche Chancen bekommen bei Ihnen Flüchtlinge?
Wir sind in Deutschland einer der größten Arbeitgeber für geflüchtete Menschen. Wir haben in den vergangenen sieben Jahren rund 22.000 geflüchtete Menschen beschäftigt, aktuell sind es rund 6000 aus Hauptfluchtländern wie Syrien, Afghanistan, Eritrea, Sudan oder der Ukraine. Wir sind der Überzeugung, dass Vielfalt eine Stärke ist. Kolleginnen und Kollegen mit Migrationshintergrund leisten einen wertvollen, essenziellen Beitrag zum Erfolg unseres Unternehmens. Wichtig ist, dass Job und Person zusammenpassen. Für geflüchtete Frauen mit Kindern ist beispielsweise ein Job in der Paketzustellung nicht der Richtige.
Was müsste sich verbessern, damit Flüchtlinge schneller und leichter in Arbeit gebracht werden könnten?
Die Herausforderungen liegen in der Zusammenarbeit von Städten, Ländern und Bund. Das Problem ist in der Politik erkannt, die Lösung braucht aber, wie andere Themen im föderalen Staat, auch manchmal ein bisschen mehr Zeit.
Was halten Sie von einem späteren Renteneintrittsalter und einem Stopp der Frühverrentung, wie dies mit Blick auf die Demografie immer wieder gefordert wird?
Hier sollte es keine pauschale Lösung geben. Vieles hängt von der persönlichen Lebensplanung, Gesundheit und familiären Einbettung jedes Einzelnen ab. Deshalb sind wir weder für eine generelle Verkürzung noch Verlängerung von Arbeitszeit. Wir müssen auch betriebliche Rahmenbedingungen schaffen, die es ermöglichen, selbstbestimmt bis zur Rente zu arbeiten oder freiwillig auch darüber hinaus. Bei der DHL Group gibt es dazu einen Generationenvertrag.
Bei DHL stehen 2025 neue Tarifverhandlungen an. Erwarten Sie ähnliche Kontroversen und Streiks wie zuletzt bei der Bahn?
Tarifvereinbarungen sind immer eine intensive Zeit. Auch wenn es schwierige Gespräche sind, ist es uns immer gelungen, zu guten, tragfähigen Ergebnissen zu kommen. Und darauf setze ich auch für die nächste Runde.
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