Essen. 184 Millionen Paar verkaufte Schuhe und 8,7 Milliarden Euro Umsatz: Deutschlands größter Schuhhändler über die Zukunft seines Geschäfts.
Deichmann ist schon jetzt Europas größter Schuhhändler – und das Unternehmen wächst weiter. Während viele Wettbewerber taumeln, läuft das Geschäft beim Essener Familienunternehmen rund. Im Interview spricht Schuhunternehmer Heinrich Deichmann darüber, warum seine Läden Zulauf haben, wie er die Zukunft von Deutschlands Innenstädten sieht und warum er besorgt auf die Populisten im Land blickt.
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Herr Deichmann, Sie haben im Jahr 1999 die Unternehmensführung als Vorsitzender der Geschäftsführung übernommen. Das ist jetzt 25 Jahre her. Wer hat sich in dieser Zeit mehr verändert? Sie oder das Unternehmen?
Wir haben uns beide stark verändert. Was das Unternehmen angeht: Wir haben expandiert und sind gerade mit dem Deichmann-Konzept stark gewachsen. Wir sind internationaler, digitaler und auch modischer geworden. Unsere Modelle und Kollektionen lassen wir ohne Zwischenhändler nach unseren Design- und Qualitätsvorgaben direkt von langjährigen Lieferanten herstellen. Auch unser großes Marken-Portfolio spielt mittlerweile eine sehr wichtige Rolle. Uns gehört beispielsweise die Marke Elefanten, und wir haben die europäische Lizenz für Schuhe von Fila, Esprit und Bench. Außerdem sind wir ein riesiger Kunde von Branchengrößen wie Adidas, Nike, Puma und Skechers. Es ist viel passiert, keine Frage.
Und Sie persönlich?
Ich denke, ich bin etwas gelassener geworden und ich habe gelernt, besser zu delegieren, also die Firma mit guten Leuten gemeinsam zu steuern. Rückblickend muss ich auch sagen: Die Pandemie-Zeit hat mich als Unternehmer geprägt. Wer Corona durchgemacht hat, den kann nichts mehr so schnell aus den Angeln heben.
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Für viele Menschen sind es herausfordernde Zeiten. Eine Pandemie liegt hinter uns. Jetzt erleben wir, dass wieder Krieg herrscht in Europa. Ein Energiepreis-Schock, die Inflation – es gibt viele Probleme. Spüren Sie daher eine Kaufzurückhaltung? Oder ist es eher ein Zulauf, weil Sie das Niedrigpreis-Segment bedienen?
Letzteres. Insgesamt hat die Inflation in Deutschland dazu geführt, dass viele Menschen weniger Geld ausgegeben haben. Trotz höherer Tarifabschlüsse, die es in diesem Jahr gab, hat sich der Trend noch nicht gedreht. Die Menschen sparen weiterhin. Wir profitieren davon, dass wir schon immer auf unser gutes Preis-Leistungs-Verhältnis gesetzt haben. Daher verzeichnen wir eine Art Sonderkonjunktur. Im vergangenen Jahr gab es bei uns eine hervorragende Umsatzentwicklung – und wir haben sie bislang 2024 wieder. Mit den ersten Monaten des Jahres sind wir sehr zufrieden.
Gerade in der Schuh- und Modebranche gab es in jüngerer Vergangenheit viele Insolvenzen. Görtz, Reno, Salamander und Klauser bei den Schuhhändlern. Hinzu kommen im Textilhandelsbereich Marken wie Galeria, Gerry Weber, Esprit und P&C. Was ist da los?
Die Branche hat sehr gelitten, das gilt für Textilien und für Schuhe. Zunächst hat die starke Konkurrenz durch reine Online-Anbieter viele Fachgeschäfte getroffen, dann kam Corona. Das war eine enorme Herausforderung für den Einzelhandel. Und nun wirkt sich die Inflation aus. Für einige Unternehmen war das zu viel.
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Ein entscheidender Vorteil Ihres Unternehmens ist: Sie sind nicht auf Banken angewiesen, leiden also nicht unter höheren Zinsen. Richtig?
Das stimmt. Wir sind nicht von Banken abhängig. Das verschafft uns Freiräume.
Das heißt: Sie wollen zum Beispiel in Ihre Läden investieren?
Ja. Wir haben vor zwei Jahren ein neues Ladenbau-Konzept auf den Weg gebracht, das wir jetzt ausrollen in Deutschland, aber auch international. Damit bekommen wir nochmal einen viel moderneren Auftritt. Im laufenden Jahr werden wir in Deutschland rund 100 Läden umbauen, 350 weitere Filialen kommen im Ausland hinzu.
Wie steht es um Deutschlands Innenstädte?
Die Innenstädte sind unter Druck. Aber die Lage ist nicht überall gleich. Es gibt Städte, die entwickeln sich prächtig. Das hängt teilweise auch mit der Historie der Orte zusammen. Es muss in den Innenstädten ein Zusammenspiel von Einzelhandel, Gastronomie und Kultur geben. Mancherorts hilft es auch, wenn wieder mehr Wohnbebauung in den Zentren vorhanden ist. Die Innenstädte müssen belebt werden.
Gibt es noch Orte in Deutschland ohne ein Deichmann-Geschäft?
Über 90 Prozent der Bundesbürger erreichen das nächste Deichmann-Geschäft in nur 20 Minuten Fahrzeit – in Innenstädten, in Einkaufs- und Fachmarktzentren. Es gibt also praktisch keine „weißen Flecken“ mehr.
Wo sind dann noch Wachstumspotenziale für Sie in Deutschland?
Wir brauchen und wir haben Wachstum. Aber dabei steht nicht eine Ausweitung unserer Ladenfläche im Vordergrund. Wir sind überall von Kostensteigerungen betroffen. Insofern ist es wichtig, diese auszugleichen. Gerade im vergangenen Jahr ist uns das auch wieder gut gelungen. Es läuft gut.
Heißt das auch: mehr Jobs?
Wir haben innerhalb eines Jahres rund 1000 neue Mitarbeiter in Deutschland eingestellt. Zwischenzeitlich hatten wir Mühe, unsere Stellen zum Beispiel im Verkauf neu zu besetzen. Auch wir spüren den Fachkräftemangel, den es in ganz Deutschland gibt. Uns ist es aber gelungen, die Stellen wieder zu besetzen. Dafür tun wir auch einiges.
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Sie betonen das christliche Menschenbild, was heißt das für Muslime, die bei Ihnen arbeiten?
Bei uns sind Menschen aller Glaubensrichtungen gleichermaßen willkommen. Selbstverständlich! Wir sind eine internationale Unternehmensgruppe. Und Vielfalt empfinden wir als Bereicherung. Nicht zuletzt, weil wir Schuhe für alle anbieten, ist Vielfalt Teil unserer DNA. Wir haben Mitarbeiter aller Ethnien, Religionen und Konfessionen. Wichtig ist uns, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unsere universellen Werte teilen.
Sind Sie besorgt darüber, wie laut die Populisten im Land sind?
Mir bereitet das zum Teil Sorgen. Es gibt leider eine politische Entwicklung, die zunehmend dazu beiträgt, dass sich Rassismus und auch Antisemitismus stärker verbreiten. Das ist etwas, was ich vollkommen ablehne – auch aufgrund meiner christlichen Überzeugung. Die Würde des Menschen ist unantastbar. Die Werte des Grundgesetzes sind unverrückbar. Es ist meines Erachtens sehr gefährlich, wenn einige Politiker den Eindruck erwecken wollen, es gebe Menschen zweiter Klasse.
Braucht es eine klare Positionierung auch von Unternehmern?
Ja, ich denke schon. Es wird immer klarer: Unsere Demokratie, ein Leben in Freiheit und mit Rechtsstaatlichkeit, verbunden mit Wohlstand – all das ist nicht garantiert. Das lehrt uns auch die Geschichte. Daher müssen wir uns für unsere Werte einsetzen. Es gibt augenscheinlich Menschen im Land, die unsere freiheitliche Demokratie infrage stellen wollen. Auf Sorgen in der Bevölkerung muss man eingehen. Da hat die Politik ihre Hausaufgaben zu machen. Aber es wäre fatal, Populisten auf den Leim zu gehen. Denn sie gaukeln ihre vermeintlichen Lösungen mit ihren einfachen Parolen nur vor.
Was können Sie als Unternehmer tun?
Wir wollen das, was ich gesagt habe, vorleben. Auf unsere Belegschaft bezogen bedeutet das: Uns ist jeder willkommen – unabhängig von der Herkunft oder dem Glauben eines Menschen. Ich habe mich hierzu auch bei unserer internen digitalen Jahrestagung klar vor unseren Beschäftigten positioniert, weil mir das wichtig war. Alle Mitarbeiter sollen wissen, wofür ich stehe.
Im November haben Sie ein Richtfest auf dem Firmen-Campus für ein neues Verwaltungsgebäude in Essen gefeiert und die Kontinuität im Unternehmen betont. Heißt Kontinuität auch: Sie binden Ihren Sohn Samuel Deichmann immer mehr ein?
Ja, er ist jetzt seit über drei Jahren im Unternehmen, arbeitet derzeit schwerpunktmäßig in der Kölner Zentrale unserer Tochter Snipes. Ich habe selbst erlebt, wie wichtig es ist, sich Schritt für Schritt im Unternehmen weiterentwickeln zu können. Mein Vorteil ist, dass ich seit 1989 dabei bin und das große Wachstum, das wir als Firma verzeichnet haben, unmittelbar miterlebt habe. Samuel wird seinen Weg gehen, da bin ich mir sicher.