Essen. Verdi und Arbeitgeber wollen sich in der auf zwei Tage angesetzten dritten Verhandlungsrunde einigen. Andernfalls drohen unbefristete Streiks.
Im Zusammenspiel mit den Lokführerstreiks haben die mehrtägigen Warnstreiks im Nahverkehr die Nerven der Pendlerinnen und Pendler arg strapaziert in den vergangenen Wochen. Ob damit nun Schluss ist oder ob es noch viel schlimmer kommt, entscheidet sich in der dritten Tarifrunde, die für Montag und Dienstag angesetzt ist. Zunächst hat es erwartungsgemäß keine schnelle Einigung gegeben. Die Verhandlungen dauerten an, sagte Verdi NRW-Nahverkehrsexperte Peter Büddicker am frühen Montagabend der Deutschen Presse-Agentur. Beide Tarifparteien suchten Lösungen. Von der Seite des Arbeitgeberverbandes KAV NRW gab es zunächst keine Auskunft.
Die dritte Verhandlungsrunde zum sogenannten Manteltarifvertrag hatte am Montag in Dortmund begonnen. Dafür sind von vornherein zwei Tage angesetzt worden. Wie Verdi NRW erklärt hatte, lagen die Positionen im Vorfeld des Treffens weit auseinander. In den vergangenen Wochen hatte die Gewerkschaft mit mehreren Warnstreikaufrufen den öffentlichen Nahverkehr im bevölkerungsreichsten Bundesland über jeweils einen oder zwei Tage weitgehend lahmgelegt. Damit wollte sie den Druck auf die Arbeitgeber erhöhen.
Es geht um die Arbeitsbedingungen für 30.000 Beschäftigte im NRW-Nahverkehr
Im Gespräch mit unserer Redaktion erläutern beide Seiten, wie sie in diese schwierigen Gespräche gehen, was sie erwarten und was droht, wenn sie scheitern.
Für die Verkehrsbetriebe verhandelt der Kommunale Arbeitgeberverband (KAV) NRW mit der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi über den Manteltarif der knapp 30.000 Beschäftigten im Nahverkehr. Er hielt die Verdi-Warnstreiks nach den ersten beiden Runden für „maßlos überzogen“, wie KAV-Geschäftsführer Torsten Herbert erneut betont. Man habe sich von Anfang an auf drei Tarifrunden geeinigt und die dritte auf zwei Tage angesetzt. Mit den Warnstreiks habe Verdi allein die Fahrgäste getroffen, denn: „Damit macht Verdi null Druck auf die Arbeitgeber, im Gegenteil: Die Verkehrsbetriebe verdienen an jedem Streiktag viel Geld“, so Herbert.
ÖPNV-Arbeitgeber wollen „den Tariffrieden wiederherstellen“
Der Nahverkehr ist für Kommunen ein Verlustgeschäft - steht er, sparen die Städte. Damit der Nahverkehr, den ja alle Beteiligten ausbauen wollten, nicht noch mehr an Image verliere und „diese unschöne Situation beendet“ werden könne, gehe man aber optimistisch in diese dritte Runde. „Das wird bei den extrem hohen Forderungen der Gewerkschaft nicht einfach. Aber wir gehen mit dem klaren Ziel in die Verhandlungen, ein Lösungspaket zu schnüren und den Tariffrieden wieder herzustellen“, versichert der Geschäftsführer des Arbeitgeberverbands.
Verdi betont ebenfalls, eine Einigung anzustreben, gleichzeitig aber auch die hohen Hürden dafür. „Wir wollen einen Abschluss erreichen“, sagt Nahverkehrskoordinator Peter Büddicker im Gespräch mit unserer Redaktion. Die Positionen von Verdi und den Arbeitgebern lägen aber noch „sehr weit auseinander“. Die Arbeitgeber hätten noch kein konkretes Angebot vorgelegt, auch deshalb habe man in den vergangenen Wochen zu den Warnstreiks ausgerufen.
Sollte es aber trotz guten Willens am Ende keine Einigung geben, habe Verdi die Möglichkeit, den Tarifkonflikt weiter zu eskalieren. „Dann werden wir eine Urabstimmung beantragen und eine ganz andere Form der Auseinandersetzung bekommen“, warnt Büddicker. Konkret würde das bedeuten, dass sich die Beschäftigten im Nahverkehr in der Urabstimmung für die Möglichkeit unbefristeter Streiks entscheiden können, wenn mehr als 75 Prozent dem zustimmen. Das könnte den Nahverkehr wochenlang stilllegen.
In der aktuellen Tarifrunde geht es nicht um die Löhne, sondern vor allem um die Arbeitszeiten und -bedingungen des Bus- und Bahnpersonals. Hier gehen die Vorstellungen allerdings in völlig entgegengesetzte Richtungen. Wegen der hohen Arbeitsbelastung im Schichtdienst und unzähliger Überstunden fordert Verdi Entlastungstage für die Beschäftigten, Schicht- und Wechselschichtzulagen sowie die Erfassung von Überstunden ab der ersten Minute. Damit das Fahrpersonal nicht auch noch nach der Arbeit weite Wege zurücklegen muss, soll zudem Arbeitsbeginn und -ende am identischen Ort erfolgen.
Verkehrsbetriebe stecken beim Thema Personalsuche und Arbeitszeiten im Dilemma
„Dafür bräuchten wir Tausende neue Arbeitskräfte, wo sollen wir die hernehmen?“, fragt KAV-Mann Herbert. Spricht man mit Verkehrsbetrieben im Ruhrgebiet, sieht man sie in einem Dilemma: Weil es ihnen jetzt schon schwerfällt, genug Personal zu finden, sind die Dienstpläne eng getaktet - mit vielen Extraschichten und folglich Überstunden. Einerseits macht das den Beruf nicht eben attraktiver und somit die Personalsuche noch schwieriger. Andererseits würden geringere Arbeitszeiten oder mehr freie Tage perspektivisch vielleicht mehr Interessenten anlocken, aber kurzfristig die Personalknappheit weiter verschlimmern. Deshalb will der KAV stattdessen über Anreize reden, länger zu arbeiten.
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Diese Debatten führen derzeit die Tarifpartner in vielen Branchen, das bringt der allgemeine Fach- und Arbeitskräftemangel mit sich. Tarifrunden im Nahverkehr sind aber noch aus einem anderen Grund stets besonders schwierig: Verdi verhandelt hier mit Arbeitgebern, die faktisch kein Geld zu verteilen haben, sondern stetig welches verlieren. Die chronische Unterfinanzierung des Nahverkehrs in Deutschland ist ein Strukturproblem, das die Kommunen allein nicht lösen können.
Wo Verdi und Kommunen sich einig sind: Bund und Land sollen mehr zahlen
Tatsächlich sind Arbeitgeber wie Gewerkschaft in diesem Punkt ziemlich einig, woran es wirklich hakt. Die Kommunen fordern schon lange mehr Geld von Bund und Land für den ÖPNV. Es gelte „zu berücksichtigen, dass eine ausreichende, langfristig verlässliche Finanzausstattung der ÖPNV-Unternehmen durch Bund und Länder aktuell nicht gewährleistet ist“, sagte nach der zweiten Runde auch der KAV-Verhandlungsführer Peter Densborn.
Auch Verdi weiß, dass nicht die Kommunen die gewünschte Verkehrswende finanzieren können. Deshalb hat sich die Gewerkschaft mit anderen Organisationen wie Fridays for Future, dem Fahrradclub ADFC und dem Naturschutzbund Nabu zusammengetan, um von Bund und Ländern deutlich mehr Investitionen in den Ausbau des Nahverkehrs zu fordern. Doch am Verhandlungstisch sitzen den Gewerkschaftern weder Verkehrs- noch Finanzminister aus Düsseldorf und Berlin gegenüber. Sie muss mit denen reden und im Zweifel ihre Betriebe bestreiken, deren Verluste ihre Städte an anderer Stelle einsparen müssen.