Essen. Der Warnstreik im ÖPNV hält an. Millionen Fahrgäste müssen sich erneut eine Alternative zum Weg zur Arbeit oder Schule suchen.
Die Nerven der Pendler wurden in den ersten Wochen dieses Jahres bereits extrem strapaziert, nun kommt bis Mitte dieser Woche wieder einiges zusammen, was ihren Weg zur Arbeit zeitlich verlängern dürfte. Die Gewerkschaft Verdi legt einmal mehr den Nahverkehr lahm, hat für Dienstag und Mittwoch jeweils ganztägig die Beschäftigten zu einem Warnstreik in rund 30 kommunalen Verkehrsbetrieben aufgerufen. Das wird auch heute wieder zu längeren Staus in den Städten und auf den Autobahnen führen. Und zu allem Überfluss machte eine Bombensuche unter der A52 am Dienstag auch noch das Nadelöhr am A40/52-Dreieck Essen Ost eine Spur enger.
Bereits zum Streik-Auftakt am Dienstag waren infolge von Arbeitsniederlegungen die Straßenbahnen und U-Bahnen in den Depots geblieben. Nur ein kleiner Teil der Linienbusse fährt erfahrungsgemäß in den Streikregionen, die ohnehin von privaten Subunternehmen betrieben werden.
Warnstreik im ÖPNV: Beteiligung ist weiter hoch
Der Warnstreik sei am Mittwoch planmäßig fortgesetzt worden, sagte Frank-Michael Munkler vom Verdi-Bezirk Köln-Bonn-Leverkusen der Deutschen Presse-Agentur am Morgen. Die Streikbeteiligung ist nach den Angaben des Gewerkschaftsvertreters weiter hoch. Seit Streikbeginn fand keine Arbeitsaufnahme statt, sagte Munkler. Verdi-Vertrauensmann Lars Grüning bei den Dortmunder Stadtwerken DSW21 äußerte sich ähnlich. „Die Beteiligung ist sehr hoch“, sagte er. „Viele sind willig zu kämpfen für das, was sie haben wollen.“
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Der zweitägige Warnstreik endet am Mittwochabend oder in der Nacht zum Donnerstag mit dem jeweiligen Schichtende.
ADAC NRW rechnet mit noch längeren Staus
Auf der A52 war bereits seit Montagmorgen der rechte Fahrstreifen zwischen dem Autobahndreieck Essen-Ost und der Abfahrt Essen-Süd in Fahrtrichtung Düsseldorf gesperrt. Die Autobahngesellschaft suchte nach Blindgängern aus dem Zweiten Weltkrieg. Weil der linke Fahrstreifen in diesem Bereich über die Gegenfahrbahn der A52 geleitet wurde, konnten die Ausfahrten Bergerhausen, Rüttenscheid und Haarzopf von der A40 kommend nicht genutzt werden. Das führte schon am Montag innerstädtisch zu erheblichem Ausweichverkehr.
Der ADAC weiß aus seinen Statistiken, dass unter der Woche die Staus am Dienstag, Mittwoch und Donnerstag stets am längsten sind. „Wenn an diesen Tagen im Nahverkehr gestreikt wird, erhöht das natürlich das Staurisiko noch mehr“, sagt Müther. Wer könne, solle im Homeoffice bleiben, erst nach dem Berufsverkehr fahren oder sich mit anderen zu Fahrgemeinschaft zusammenschließen, so sein Rat.
Denn tausende ÖPNV-Pendler müssen erneut zusehen, wie sie zur Arbeit kommen. Und weil viele weder zu Hause bleiben noch später zur Arbeit kommen können, dürfte es sehr eng werden. Der ADAC hat beim letzten Nahverkehrsstreik in NRW vergangene Woche eine deutlich gestiegene Belastung der Straßen vor allem in den Städten beobachtet, aber auch auf den auch sonst viel befahrenen Autobahnen wie der A40 zwischen Duisburg und Dortmund sowie der A3 zwischen Duisburg und Oberhausen. Damit rechnet Müther in dieser Woche erneut.
Diese Verkehrsbetriebe werden erneut bestreikt
Diese Nahverkehrsbetriebe im und am Ruhrgebiet sind erneut betroffen. Trotz Sonderfahrplänen bleiben die meisten ihrer Busse und Bahnen aber voraussichtlich erneut 48 Stunden lang in den Depots:
- Duisburger Verkehrsgesellschaft
- Rheinbahn (Düsseldorf)
- Verkehrsgesellschaft Ennepe-Ruhr
- Hagener Straßenbahn
- Niederrheinische Verkehrsbetriebe NIAG (Moers)
- SWK Mobil GmbH (Krefeld)
- Dortmunder Stadtwerke
- Vestische Straßenbahnen (Herten)
- Bochum-Gelsenkirchener Straßenbahnen (Bogestra)
- Ruhrbahn GmbH (Essen/Mülheim)
- Stoag Stadtwerke Oberhausen
- Straßenbahn Herne - Castrop-Rauxel
- MVG Märkische Verkehrsgesellschaft (Märkischer Kreis)
In Dortmund plant Verdi zudem am heutigen Mittwoch (6. März) eine zentrale Streikveranstaltung - ab 11 Uhr auf dem Friedensplatz. Die Gewerkschaft erwartet zu der Kundgebung in Dortmund etwa 3500 Teilnehmer.
„Wir stehen bereit, um gemeinsam mit den Arbeitgebern Lösungen zu finden“, betont Verdi-Verkehrsexperte Peter Büddicker. Aber „Bisher haben sich die Arbeitgeber in beiden Verhandlungsrunden an Problemen abgearbeitet und durch ihren Vorschlag, Arbeitszeiten aufgrund des Personalmangels noch zu verlängern, die Stimmungslage noch verschärft.“ Verdi fordert das Gegenteil: Mit Entlastungstagen sollen die vielen Überstunden in den Schichtdiensten abgemildert werden. „Der dramatische Arbeitskräftemangel im ÖPNV führt zu einer enormen Belastung der Beschäftigten und hohen Krankenständen“, so Büddicker.
Die Gewerkschaft erklärte vorab, sie bedaure, „dass mit den Streikmaßnahmen auch die Fahrgäste getroffen werden“. Auch damit sie besser umplanen können, habe man die neuerlichen Streiks so früh angekündigt. Ob und wie sehr Verdi mit den vielen mehrtägigen Streiks die Arbeitgeber trifft, steht auf einem ganz anderen Blatt: Den Bilanzen der Verkehrsbetriebe zufolge erleiden sie zumindest wirtschaftlich keinen Schaden, sondern sparen im Gegenteil eine Menge Geld.
Dem chronisch defizitären ÖPNV fehlt das Geld - vor allem im Ruhrgebiet
Denn der von den Kommunen über ihre Stadtwerke und Verkehrsbetriebe organisierte ÖPNV ist ein chronisch defizitäres Geschäft für die Städte. In Dortmund etwa fielen zuletzt jährlich rund 100 Millionen Euro Defizit aus dem Nahverkehr an, die in Bochum und Gelsenkirchen fahrende Bogestra schrieb 2022 ein Minus von 89 Millionen Euro, in den anderen Städten belasten die Verkehrsbetriebe die städtischen Haushalte ebenfalls mit in der Regel zweistelligen Millionen-Verlusten. Da das Personal, der Diesel und der Strom für die Bahnen und elektrischen Busse die größten Kostenblöcke sind, bedeutet jeder Streiktag eine spürbare finanzielle Entlastung - je nach Größe des Unternehmens im fünf- bis sechsstelligen Bereich.
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Die strukturelle Unterfinanzierung des öffentlichen Nahverkehrs als Gemeinwohlaufgabe der Kommunen macht die Tarifverhandlungen im ÖPNV noch komplizierter als in anderen Branchen. Denn Verdi verhandelt mit Unternehmen, die von sich aus nichts zu verteilen haben. Mehrkosten belasten eins zu eins ihre Stadtwerke und im nächsten Schritt den städtischen Haushalt. Das schlägt in den besonders hoch verschuldeten Ruhrgebietskommunen noch mehr ins Kontor als anderswo.
Busfahrer sammeln wegen des Personalmangels unzählige Überstunden
Gleichzeitig wissen die Verkehrsbetriebe, dass sie eigentlich viel mehr Geld ausgeben müssten: Für Schienen, Busse, Bahnen und auch das Personal. Denn Löhne und Arbeitszeiten sind offensichtlich nicht attraktiv genug, um noch genügend Fahrerinnen und Fahrer zu finden. Der Personalmangel vieler Verkehrsbetriebe führt immer häufiger zu Ausfällen von Bus- und Bahnlinien. Und das Stammpersonal muss deshalb häufiger fahren, mehr Wochenendschichten leisten und sammelt in den vielen innerstädtischen Staus Überstunde um Überstunde. Dass diese ab der ersten Minute erfasst werden, ist deshalb eine der vielen Forderungen von Verdi in diesem Tarifkonflikt.
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Doch weil sie nicht sehen, wie sie das finanzieren sollen, fordern die kommunalen Unternehmen immer wieder mehr Geld von Bund und Land für den ÖPNV. Andernfalls drohe dem Nahverkehr der Kollaps. Allein für das Deutschlandticket sieht der Verband der Verkehrsunternehmen (VdV) bundesweit eine „mögliche Finanzierungslücke von bis zu einer Milliarde Euro“ in diesem Jahr. Es gebe bisher keine verbindliche Zusage, dass Einnahmeverluste, auch wenn sie über die zwischen Bund und Ländern vereinbarten Mittel hinausgehen, vollständig ausgeglichen werden. Viele Verkehrsbetriebe, vor allem in finanzschwächeren Kommunen wie denen im Ruhrgebiet, gerieten schon mit dem von der EU geforderten Umstieg von Diesel- auf Elektroantriebe finanziell an ihre Grenzen, sagte ein VDV-Sprecher unserer Redaktion.
Arbeitgeber kritisieren die vielen Warnstreiks als unverhältnismäßig
Der Kommunale Arbeitgeberverband (KAV) in NRW muss aber ohne Flankenschutz aus Berlin und Düsseldorf mit Verdi eine Lösung finden. Er gab sich zuletzt optimistisch, in der dritten Verhandlungsrunde eine Einigung erzielen zu können. Dass Verdi bereits nach der ersten Verhandlungsrunde und nun mehrfach nach der zweiten Runde massiv hat streiken lassen, stieß beim Tarifpartner auf Unverständnis. Das sei „völlig unangemessen“ und schade der Attraktivität des Nahverkehrs, erklärte der KAV. In der Nahplanung hält er vor allem die geforderten zusätzlichen freie Tage für nicht umsetzbar. Das lasse der bereits akute Fahrermangel nicht zu. Die Tarifverhandlungen sollen am 11. und 12. März fortgesetzt werden. (mit dpa)