Essen. Tarifkonflikt: Einzelhandelsverband bereitet Weg für „Lösung auch ganz ohne Tarifabschluss“. Verdi kontert mit Warnstreiks bei Rewe.

Nach elf Monaten Tarifverhandlungen im Einzel-, Außen- und Großhandel reißt den Arbeitgebern allmählich der Geduldsfaden: Weil keine Einigung in Sicht sei, sollen die Händler mit Tarifbindung die Entgelte freiwillig um bis zu zehn Prozent anbieten können. Der Essener Discounter Aldi Nord kündigte als erstes Unternehmen an, davon Gebrauch zu machen. Die Gewerkschaft Verdi setzt dagegen weiterhin auf Warnstreiks bei Rewe.

Diese Formulierung dürfte auf der Arbeitnehmerseite für Stirnrunzeln sorgen: Der Handelsverband Deutschland (HDE) kündigt selbst an, „den Weg für eine Lösung auch ganz ohne Tarifabschluss“ frei zu machen. Der Tarifpolitische Ausschuss des HDE hat nach eigenen Angaben beschlossen, Lohn- und Gehaltsanhebungen von bis zu zehn Prozent zu ermöglichen, die auf ein mögliches neues Tarifergebnis angerechnet werden können. Bereits im Oktober hatten zahlreiche Händler wie Rewe, dm und Lidl von dieser Öffnungsklausel Gebrauch gemacht und freiwillig 5,3 Prozent mehr gezahlt.

HDE: „Eigensinnige Strategie der Gewerkschaft Verdi“

„Wir sind nach nunmehr elf Monaten Tarifkonflikt mit mehr als 60 Verhandlungsrunden bundesweit zu der Auffassung gelangt, dass Verdi leider keinerlei Interesse an einem zeitnahen Abschluss im Einzelhandel hat. Für uns ist das eine bittere Erkenntnis, zumal wir unser Angebot mehrmals nachgebessert hatten“, sagte HDE-Tarifgeschäftsführer Steven Haarke am Mittwoch, 6. März. Die Mitarbeiter sollten nicht immer weiter „unter der eigensinnigen Strategie ihrer Gewerkschaft leiden“ müssen. Mit dem letzten Angebot der Arbeitgeber wären Reallohngewinne gesichert gewesen, die Inflation gehe aktuell wieder zurück. Haarke rief Verdi auf, „endlich ihre Blockadehaltung aufzugeben“. Der HDE vertritt rund 280.000 Einzelhandelsunternehmen mit drei Millionen Beschäftigten.

Aldi Nord ließ sich nicht lange bitten und kündigte am Mittwoch Nachmittag an, für seine mehr als 39.000 tarifgebundenen Mitarbeitenden die Gehälter weiter aufzustocken. „Die monatlichen tariflichen Bruttovergütungen steigen in den kommenden Monaten, abhängig vom jeweiligen Tarifgebiet. Mit der bereits im Oktober 2023 geleisteten Anpassung von 5,3 Prozent für das Tarifjahr 2023 ergibt sich somit insgesamt eine Steigerung von zehn Prozent“, teilte der Discounter in Essen mit. Die freiwillige Vorauszahlung werde nach Abschluss der Tarifrunde im Einzelhandel „in vollem Umfang mit den verhandelten Tariferhöhungen für die jeweiligen Tarifgebiete verrechnet“, so Aldi Nord.

Auf der Gewerkschaftsseite stehen die Zeichen dagegen weiterhin auf Konfrontation. Verdi hat sich in der laufenden Woche auf Warnstreiks beim zweitgrößten deutschen Handelskonzern Rewe eingeschossen. Bundesvorstandsmitglied Silke Zimmer wirft Rewe vor, durch Verweigerung in den Verhandlungen ein „Tarifdiktat“ anzustreben. „Die Beschäftigten können sich aber keine weiteren Reallohnverluste leisten“, sagt Zimmer.

Verdi: Frauen sind jetzt und im Alter armutsgefährdet

Am kommenden Freitag, dem Weltfrauentag, will Verdi noch einmal richtig Gas geben. „Gerade im Einzelhandel arbeiten überwiegend Frauen. Sie sind sowohl jetzt als auch im Alter armutsgefährdet, da in der Branche überdurchschnittlich viele Frauen in Teilzeitarbeitsverhältnissen oder Minijobs arbeiten“, erklärt die Verdi-Spitzenvertreterin. „Deshalb streikt am Weltfrauentag die geballte Frauenpower im Handel.“ In Köln, dem Sitz von Rewe, ist eine zentrale Protestveranstaltung geplant.

„Rewe trägt Verantwortung für den Verlauf der Tarifverhandlungen. Wir fordern die Rewe Group deshalb auf, ihre Blockadehaltung insgesamt zu beenden und gemeinsam mit den anderen Arbeitgebern in allen Tarifgebieten wieder an den Verhandlungstisch zurückzukehren“, so Zimmer.

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