Essen. Ingo Speich konstatiert einen „Vertrauensverlust“ bei Thyssenkrupp und fordert vom Vorstand einen „Meilenstein-Plan“.
Der Essener Traditionskonzern Thyssenkrupp leidet nach Einschätzung der Sparkassen-Fondsgesellschaft Deka unter mangelnder Veränderungsbereitschaft. In den vergangenen zwei Jahren sei „zu wenig passiert“, kritisiert Deka-Experte Ingo Speich im Podcast „Die Wirtschaftsreporter“. „Thyssenkrupp ist weiterhin ein Ankündigungsweltmeister“, konstatiert Speich. Dass es nach wie vor viel Skepsis bei den Kapitalanlegern gebe, lasse sich auch an der Bewertung des Stahl- und Industriegüterkonzerns an der Börse ablesen. „Die Aktie, wie sie sich in den letzten zwei Jahren entwickelt hat, zeugt von einem Vertrauensverlust in das Unternehmen, was primär am Vorstand auszumachen ist. Dahingehend muss sich das Unternehmen neu aufstellen“, sagt Speich.
Zuletzt lag der Aktienkurs von Thyssenkrupp lediglich bei etwas mehr als sechs Euro. Auch der jüngste Wechsel an der Konzernspitze hat dem Konzern bislang noch keinen nachhaltigen Aufschwung an der Börse beschert. Seit Anfang Juni führt der langjährige Siemens-Manager Miguel López den Konzern mit seinen rund 100.000 Beschäftigten. Er hat Martina Merz abgelöst, die im Oktober 2019 den Vorstandsvorsitz übernommen hatte.
In die Amtszeit von Martina Merz fällt der Verkauf der Aufzug-Sparte mit etwa 50.000 Jobs im Jahr 2020. Die Managerin war es auch, die eine Abspaltung der Thyssenkrupp-Stahlsparte zum Ziel erklärt hatte. Umgesetzt wurde das Vorhaben bislang aber nicht. Der Merz-Nachfolger López lotet derzeit die Chancen für einen Teilverkauf des Stahls aus. Er befürwortet das Modell eines Gemeinschaftskonzerns mit dem tschechischen Milliardär Daniel Kretinsky, der bereits im deutschen Braunkohlegeschäft aktiv ist.
Die Anleger seien vom Thyssenkrupp-Management „in den letzten zwei, drei Jahren sehr stark verwirrt“ worden, kritisiert Deka-Experte Ingo Speich. Vor nicht allzu langer Zeit sei der Stahl vom Thyssenkrupp-Vorstand noch als „Teil des Kerngeschäfts“ deklariert, kurz darauf dann aber „auf einmal zum Verkauf freigegeben“ worden.
Thyssenkrupp fehle „eine Story“, wie sich das Unternehmen am Kapitalmarkt präsentieren wolle, urteilt Speich. „Wir fordern klare Aussagen zur Strategie, zur Ausrichtung des Unternehmens“, sagt der Deka-Experte. Es müsse erkennbar sein, dass der Vorstand auch umsetze, was er ankündige. Thyssenkrupp benötige dafür einen „Meilenstein-Plan“. In diesem Plan sollten dann die Schritte festgelegt werden, die der Vorstand in den nächsten zwölf bis 24 Monaten gehen wolle.
Es sei nicht genug erkennbar, wohin das Management den Thyssenkrupp-Konzern führen wolle, kritisiert der Deka-Manager. Grundsätzlich stelle sich die Frage: „Wie möchte sich das Unternehmen ausrichten?“ Eine Option sei, „in Richtung grünen Stahl“ zu gehen und um diesen Kern herum Geschäfte anzusiedeln, die inhaltlich dazu passen. Klar sei jedenfalls: „Ein Gemischtwarenladen sollte Thyssenkrupp nicht bleiben.“
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Dass der Thyssenkrupp-Vorstand umgebaut und erweitert werde – auch gegen den Willen der Arbeitnehmervertreter – findet Speich sinnvoll. Der Deka-Experte spricht von einem Signal der Entschlossenheit. „Der Aufsichtsrat hat signalisiert: Er ist handlungsfähig, auch in sehr schwierigen Situationen.“
Nach mehreren Digital-Veranstaltungen plant Thyssenkrupp für den 2. Februar in Bochum wieder eine Hauptversammlung in Präsenz, bei der auch Ingo Speich als Redner auftreten will.