Dortmund/Essen. Bei Thyssenkrupp ruhen auf der Wasserstoff-Tochter Nucera große Hoffnungen. Eine Dividende zahlt Nucera dennoch nicht. Das hat Gründe.
Für Volkmar Dinstuhl ist es eine Premiere. Der Manager, der zu Jahresbeginn in den Vorstand von Thyssenkrupp aufgestiegen ist, darf als Aufsichtsratschef die erste öffentliche Hauptversammlung der Dortmunder Wasserstoff-Tochter einläuten. Thyssenkrupp-Chefaufseher Siegfried Russwurm adelte den neuen Vorstand unlängst mit den Worten, Dinstuhl sei „maßgeblich für den erfolgreichen Börsengang“ von Nucera verantwortlich. Auch beim milliardenschweren Verkauf der Thyssenkrupp-Aufzugsparte hatte der erfolgreiche Schachspieler Dinstuhl bereits eine wichtige Rolle übernommen. Zum Auftakt der digitalen Hauptversammlung von Nucera hebt der Thyssenkrupp-Manager die Potenziale der Wasserstoff-Firma hervor. Mit dem Gang an den Kapitalmarkt habe Nuerca im vergangenen Juli ein „weltweit stark beachtetes Ausrufezeichen gesetzt“, sagt er.
Hatte die Essener Konzernmutter Thyssenkrupp bei ihrer Bilanz für das Geschäftsjahr 22/23 noch einen milliardenschweren Verlust präsentiert, bietet sich bei Nucera in Dortmund ein anderes Bild: Um 70 Prozent hat sich der Umsatz erhöht – auf knapp 653 Millionen Euro. Der Gewinn vervielfachte sich von sechs Millionen auf 22,5 Millionen Euro. Die Auftragsbücher sind voll. Der Konzern sieht sich auf Wachstumskurs.
Dividende bei Thyssenkrupp Nucera? Nicht „in absehbarer Zeit“
Bei der Dividende gibt es ebenfalls einen bemerkenswerten Unterschied: Trotz der roten Zahlen überweist der Essener Stahl- und Industriegüterkonzern rund 93 Millionen Euro an die Anteilseigner, was unter anderem die Sparkassen-Fondsgesellschaft Deka kritisch sieht, denn das Geld werde im Konzern für die Transformation benötigt, so Deka-Experte Ingo Speich. Die Dortmunder Wasserstoff-Tochter Nucera hingegen lehnt bei sich bis auf Weiteres Gewinnausschüttungen ab. „Wir möchten die zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel nutzen, um das weitere Wachstum zu finanzieren“, sagt Nucera-Chef Werner Ponikwar bei der Hauptversammlung. „Daher gehen wir derzeit nicht davon aus, in absehbarer Zeit eine Dividende auszuschütten.“
Marc Tüngler von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) sieht Nucera gleichwohl als „ein spannendes Investment“. Die Wasserstoff-Tochter von Thyssenkrupp befinde sich noch „in der Phase des Säens“, nicht des Erntens, sagt Tüngler.
Nucera spiele bei mehreren global relevanten Wasserstoff-Großprojekten eine wichtige Rolle, berichtet Nucera-Chef Ponikwar. Als Beispiel nennt er ein Vorhaben in Saudi-Arabien, wo aktuell das „größte grüne Wasserstoffprojekt der Welt“ aufgebaut werde. Die Elektrolyse-Anlage hierfür komme von Nucera. „Die ersten Module haben wir bereits versandt“, erklärt der Manager. Die Anlage werde später eine Größe von fünf Fußballfeldern haben.
Thyssenkrupp-Tochter beim Bau des Grünstahl-Werks in Schweden beteiligt
Die Wasser-Elektrolyse von Nucera spiele auch beim Projekt des schwedischen Stahlherstellers H2 Green Steel eine Schlüsselrolle. Bis zum Jahr 2030 will das schwedische Unternehmen in der Lage sein, fünf Millionen Tonnen grünen Stahl pro Jahr zu produzieren.
Das Verfahren, auf das die Thyssenkrupp-Tochter setzt, nennt sich „Alkalische Wasserelektrolyse“ – kurz AWE. Nucera stellt 20-Megawatt-Module her, mit denen in Kombination Großanlagen entstehen können. Die Bauteile lassen sich bei Bedarf verschiffen. Bei dem Projekt in Schweden geht es um mehr als 700 Megawatt. Die Thyssenkrupp-Tochter sieht sich als weltweit führend mit ihrer Technologie. Als Anlagenbauer hat die Firma, die früher Uhde Chlorine Engineers (UCE) hieß, jahrzehntelang Erfahrungen gesammelt.
In Schweden und Saudi-Arabien werde es bis zur Inbetriebnahme „noch etwas dauern“, sagt Ponikwar. „Aber unser erstes grünes Wasserstoffprojekt befindet sich gerade im Endspurt: Beim Projekt von CF Industries in den USA wird die Anlage mit einem 20-Megawatt-Modul im Frühjahr ihren Betrieb aufnehmen. Aufgebaut ist sie bereits.“
„Wie grenzt sich eigentlich Nucera von Thyssenkrupp ab?“
Nucera sei in der Lage, grünen Wasserstoff „zu einem erschwinglichen, zuverlässigen und überall verfügbaren emissionsfreien Energieträger zu machen“, sagt Ponikwar. „Darum zählen wir schon heute zu den weltweit führenden Anbietern dieser Schlüsseltechnologie der Dekarbonisierung.“ Die Kompetenz im Chemieanlagenbau und der Elektrolysetechnologie habe Nucera in mehr als fünf Jahrzehnten aufgebaut. Daniel Vos von der Schutzvereinigung der Kapitalanleger (SdK) wünscht sich trotz der langen Firmenhistorie vor allem viel Start-up-Mentalität bei Nucera. Vos treibt die Frage um: „Wie grenzt sich eigentlich Nucera von Thyssenkrupp ab?“
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Thyssenkrupp hält auch nach dem Börsengang weiterhin die Mehrheit am Dortmunder Elektrolyse-Spezialisten. Ebenfalls als Ankeraktionär an Bord geblieben ist der italienische Thyssenkrupp-Partner De Nora mit einem guten Viertel der Anteile. De Nora stellt im hessischen Rodenbach in der Nähe von Frankfurt Zellen für die Nucera-Elektrolyseure her.
„Das Potenzial für den Wasserstoffmarkt ist gewaltig“, sagt Nucera-Chef Ponikwar. Und doch ist die Aktie von Nucera in den vergangenen Monaten unter Druck geraten. Mit weniger als 15 Euro lag sie deutlich unter dem Ausgabekurs von 20 Euro, was auch ein Kleinanleger bei der digitalen Hauptversammlung anmerkt. „Mit den Schwankungen unseres Kurses sind wir nicht zufrieden – natürlich nicht“, sagt Ponikwar dazu. „Die allgemein negative Nachrichtenlage im Wasserstoffsektor hat sich hier leider entsprechend ausgewirkt. Doch wir sind davon überzeugt: Unsere Projektfortschritte und unser Wachstumskurs werden sich letztendlich auch im Aktienkurs widerspiegeln.“