Berlin. Selbst in der Bundesregierung glaubt wohl kaum noch jemand an den Zeitplan des Netzausbaus. Der Ärger bei den Güterbahnen ist groß.
Auf einen neuen Bahnhof am Tesla-Werk vor den Toren Berlins muss der wohl noch lange warten und seine Beschäftigten weiter per Shuttlebus an die Arbeitsplätze bringen. Denn für den Bau der Station in die Nähe des Werksgeländes fehlt der Bahn wohl erst einmal das Geld. Das ist kein Einzelfall.
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Gleiches könnte auch der geplanten Anbindung des Fehmarnbelt-Tunnels an die Hansestädte Lübeck und Hamburg oder einem Teilstück der Rheinschiene widerfahren. Anscheinend werden die Zeitpläne für Aus- und Neubauprojekte allesamt erst einmal nach hinten gerückt. So meldeten es Medien zumindest unter Berufung auf ein Schreiben der Infrastrukturgesellschaft der Bahn an den Aufsichtsrat des Konzerns.
Der Grund ist schnell erklärt. Die finanzielle Ausstattung für die Modernisierung und den Ausbau der Schienenwege ist in großen Teilen dem Sparzwang durch das Karlsruher Haushaltsurteil zum Opfer gefallen. Statt benötigter 45 Milliarden Euro stehen in den kommenden Jahren zunächst einmal nur 27 Milliarden Euro zur Verfügung. Da die Sanierung des maroden Bestandsnetzes von rund 33.000 Kilometern Länge als wichtigste Aufgabe eingestuft wird, fließen die vorhanden Gelder zunächst einmal in die Sanierung. Was dann noch möglich ist, werden die kommenden Jahre zeigen.
Deutschlandtakt nach Schweizer Vorbild bis 2030 möglich?
So weist die Bahn die Berichte über ein Aus wichtiger Neu- und Ausbaustrecken auch zurück. „Die Streichung einzelner Projekte ist nicht vorgesehen“, stellt das Unternehmen klar. Wo bereits gebaut wird, würden die Arbeiten fortgesetzt, begonnene Planungen fortgeführt. „Wir stehen zu unserer Strategie der starken Schiene und auch zu unseren Aus- und Neubauprojekten“, versichert der zuständige Vorstand Berthold Huber. Im Zentrum stünden zunächst die Erneuerung des Bestandsnetzes und der Bahnhöfe.
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Und auch Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) wehrt sich gegen den Vorwurf des Kahlschlags beim Ausbau. „Wir setzen uns auch weiter dafür ein, die für die Schiene notwendigen Gelder bereitzustellen“, teilt sein Ministerium mit. Für den Deutschlandtakt brauche es neben einem funktionierenden Bestandsnetz auch Neu- und Ausbaustrecken. Der Deutschlandtakt sollt ursprünglich schon 2030 die wichtigsten Ballungsgebiete in kurzen Taktverkehren und kleinere Städte im Zwei-Stunden-Takt verbinden. Vorbild dafür sind die Schweizer Bahnen. Allerdings glaubt wohl selbst in der Bundesregierung kaum noch jemand an diesen Zeitplan. Der Bahnbeauftragte der Ampel hatte im vergangenen Jahr schon von 50 Jahren bis zur Realisierung gesprochen, dies jedoch später zurückgenommen.
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Doch den Konkurrenten der Deutschen Bahn ist das Vertrauen in die Zusagen von Politik und Staatskonzern schon länger abhandengekommen. Sie trauen den Beruhigungsversuchen nicht. „Deutschland muss sowohl sein Schienennetz sanieren als auch viele zusätzliche Schienen bauen“, fordert Peter Westenberger, Chef des Verbands Die Güterbahnen. Dafür müsse das jährliche Budget für den Neu- und Ausbau auf sechs Milliarden Euro angehoben werden. Der Haushalt 2024 sehe stattdessen eine Kürzung um 600 Millionen Euro auf 1,7 Milliarden Euro vor.
Deutsche Bahn: Bund wird seine selbst gesteckten Ziele nicht erreichen
Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen sieht gar die Qualität des Wirtschaftsstandorts Deutschland in Gefahr. Der Güterverkehr auf der Schiene werde weitere Wettbewerbsnachteile erleiden. Auch hier ist ohnehin schon absehbar, dass der Bund seine selbst gesteckten Ziele nicht erreichen wird. Bis zum Ende des Jahrzehnts sollen 25 Prozent des Gütertransports über Schienenwege abgewickelt werden. Derzeit sind es weniger als 20 Prozent. Dafür gibt es unterschiedliche Gründe. Einer davon sind die fehlenden Kapazitäten im Bahnnetz. Und daran scheint sich erst einmal nichts zu ändern.
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Das letzte Wort über die konkrete Verwendung der zur Verfügung stehenden Investitionsmittel ist allerdings noch nicht gesprochen. Die Spekulationen über ausgesetzte Bauvorhaben gehen auf ein Schreiben der neuen Infrastrukturgesellschaft (InfraGO) der Bahn an den Aufsichtsrat zurück und geben den Stand nach dem Karlsruher Urteil wieder. Erst im März wird der Aufsichtsrat der Bahn eine neue Mittelfristplanung vorlegen und damit für Klarheit sorgen.
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An der Generalsanierung der wichtigsten Korridore wird bisher immerhin nicht gerüttelt. Rund 40 Vorhaben weist die Sanierungsliste aus. Dabei werden erstmals Strecken oder Streckenteile komplett für Monate gesperrt und in dieser Zeit von Grund auf erneuert. Bisher modernisierte die Bahn immer nur verschlissene Teile, mal die Schienen, mal die Leittechnik. Die Folge waren immer neue Baustellen, die den Verkehr verlangsamen. Nun wird jedes Teilstück rundum erneuert. Den Auftakt macht im Juli dieses Jahres die Riedbahn zwischen Frankfurt und Mannheim. Bis zum Fahrplanwechsel bleibt sie dafür gesperrt. Allein dieses Projekt schlägt mit 1,3 Milliarden Euro zu Buche. Das lässt erahnen, dass die vorgesehenen 25 Milliarden Euro für Sanierung, Aus- und Neubau nicht für alle Projekte reichen werden.