Berlin. Ein neues Konzept für den Tierwohlcent liegt vor. Ein Experte rechnet vor, was Fleisch kosten könnte – und was man mehr zahlen müsste.
Die Bauernproteste zeigen Wirkung. Zwar wurden nicht alle Kürzungen beim Agrardiesel rückgängig gemacht, doch weitere Probleme der Landwirte geraten zunehmend in den politischen Fokus. Auf Bitte der Ampel-Fraktionen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP hat das Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) ein Konzept zur Einführung einer Tierwohlabgabe für Fleisch – den „Tierwohlcent“ – vorgelegt, um die Tierhaltung nachhaltig zu verbessern und zu finanzieren. Die wichtigsten Eckpunkte des Papiers und was dies für Verbraucher bedeuten könnte.
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Was steht in dem Konzept zum „Tierwohlcent“?
Das Konzept sieht die Einführung einer Verbrauchssteuer auf Fleisch und Fleischprodukte vor, die nach dem Vorbild der Kaffeesteuer erhoben werden soll. Es wäre eine nationale Verbrauchssteuer.
Erhoben werden soll sie auf „Fleisch, Fleischerzeugnisse und genießbare Schlachtnebenerzeugnisse“ sowie „Verarbeitungsprodukte mit einem bestimmten Anteil von Fleisch, Fleischerzeugnissen oder genießbaren Schlachtnebenerzeugnissen“ – und damit insbesondere Fleisch und Wurst. Die Höhe des Steuersatzes wurde nicht beziffert. Sie soll „politisch“ entschieden werden. Eine solche Steuer würde federführend vom Finanzministerium eingeführt.
Wer hat die Tierwohlabgabe erfunden?
Die Tierwohlabgabe geht auf eine Initiative der vorherigen Bundesregierung zurück, die ein Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung gegründet hatte – die sogenannte Borchert-Kommission. Der Name bezieht sich auf den früheren Agrarminister Jochen Borchert. Das Gremium aus hochrangigen Experten aus Landwirtschaft, Umwelt- und Tierschutz, Wissenschaft und Wirtschaft legte im Februar 2020 ihre Empfehlungen für eine bessere Nutztierhaltung vor. Dazu zählte der Umbau von Ställen mit mehr Platz und Auslauf im Freien. Die Kosten für den Umbau bezifferte die Borchert-Kommission auf 3,6 Milliarden Euro pro Jahr.
Wer soll den Umbau bezahlen?
Die Milliardenkosten können die Bauern nicht aus eigener Kraft stemmen. Zur Finanzierung schlägt die Borchert-Kommission deshalb eine Steuer oder Abgabe auf tierische Produkte vor, mit denen ein Teil der nötigen Mehrkosten bezahlt werden können. Damit kämen vor allem auf die Konsumenten Mehrkosten zu.
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Wie viel teurer könnte Fleisch durch den Tierwohlcent werden?
Als mögliche Abgabe schlägt die Borchert-Kommission 40 Cent je Kilo Fleisch vor. Die Mehrkosten könnten durch sozialpolitische Maßnahmen für einkommensschwache Haushalte flankiert werden. Wenn das Kilo Fleisch mit 40 Cent zusätzlich belastet würde, verteuert sich beispielsweise ein Schweinesteak um 10 Cent.
Heute kostet das Steak (200 Gramm) bei einem Kilopreis von 7 Euro 1,40 Euro – künftig wären es dann 1,50 Euro, so Martin Hofstetter, Landwirtschaftsexperte von Greenpeace. Im Durchschnitt essen Bundesbürger aktuell 50 Kilogramm Fleisch pro Jahr – insgesamt kämen damit auf jeden Bürger 20 Euro Mehrkosten pro Jahr zu. Der Bund würde 1,6 Milliarden bis 1,8 Milliarden Euro pro Jahr durch die Abgabe einnehmen.
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Doch nicht alle Fleischprodukte würden teurer, manche würden auch günstiger, so Hofstetter. Ein Steak aus besonders guter Tierhaltung, das bisher etwa 2 Euro kostet, würde nur noch etwa 1,60 Euro kosten, so Hofstetter. Der Grund: Fleisch und Wurst aus artgerechter Haltung (z. B. Neuland, Biofleisch) dürften günstiger werden, weil Biolandwirte einen erheblichen Teil ihrer Mehrkosten vom Staat finanziert bekämen und dadurch ihre Produkte billiger an den Handel liefern könnten.
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Was halten die Bauern von der Tierwohlabgabe?
Der Deutsche Bauernverband sieht in der Tierwohlabgabe einen „schiefen Kompromiss“ und keinen Ersatz für den Agrardiesel. „Die Landwirtschaft braucht jetzt vor allem Lösungen, die alle Betriebe entlasten“, sagt Bernhard Krüsken, Generalsekretär des Bauernverbands. Dazu zählten Entbürokratisierungen. Zudem sei „vollkommen unklar, wie sichergestellt werden soll, dass das Geld am Ende auch beim Landwirt ankommt – dies muss aber Sinn und Zweck einer Tierwohlabgabe sein“.
Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) hofft auf baldige Umsetzung: „Eine Tierwohlabgabe ist notwendig, um die Stallumbauten und den höheren Aufwand für die Tierhaltung mitzufinanzieren. Wenn wir den Umbau der Tierhaltung wollen und weiterhin Fleisch aus Deutschland essen wollen, kommen wir an diesem Weg nicht vorbei. Ohne Tierwohlabgabe ist dies nicht möglich. Der Markt wird dies nicht regeln“, sagt der Bundesvorsitzende Martin Schulz.
„Die Höhe der Abgabe sollte sich am Vorschlag der Borchert-Kommission plus Inflationszuschlag orientieren. Das bedeutet in der Endstufe mindestens 40 Cent pro Kilo Fleisch.“ Auch der Deutsche Bauernverband fordert, dass die Abgabe wegen „inflationsbedingter Kostensteigerungen“ neu kalkuliert werden müsse.
Was sagen Verbraucher- und Umweltschützer?
Eine Tierwohlabgabe ist ein Schritt hin zu einer verantwortlichen und zukunftsfähigen Tierhaltung, die sich viele Verbraucher wünschten, sagt Ramona Pop, Vorständin der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv). Die Abgabe müsse jedoch an Bedingungen geknüpft und zeitlich begrenzt sein. Verbraucher müssten sich darauf verlassen können, dass der Aufpreis, den sie zahlen, auch an der richtigen Stelle ankommt. „Langfristig müssen sich am Markt kostendeckende Preise bilden.“
Auch Patrick Müller, Agrar-Experte beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), fordert, dass die Abgabe für alle tierischen Produkte, wie Milch(-produkte) und Eier, erhoben werden sollte. Zudem dürften die Einnahmen nicht im allgemeinen Bundeshaushalt versickern. „Das wäre mit einer zweckgebundenen Abgabe besser möglich als mit der jetzt angedachten Steuer.“
Was sagen die Parteien?
Renate Künast, Grünen-Sprecherin für Ernährung und Landwirtschaft, hofft auf „ein fertiges Konzept für eine Verbrauchssteuer“ noch in dieser Legislaturperiode. Ein tragfähiges Konzept zur Finanzierung sei nötig, wenn sich möglichst viele Betriebe in der Tierhaltung stärker an den Bedürfnissen der Tiere orientieren sollen. Der agrarpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion Gero Hocker meint: „In der Koalition sind wir uns einig, dass es nun an der Zeit ist, Landwirten zügig mehr Handlungsspielräume zu geben und sie von einengender Regulierung und Bürokratie zu befreien.“
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