Brüssel. Nicht überall sind die Landwirte sauer wegen des Diesels. Doch auch in anderen Länder gibt es riesige Demos. Woher ihre Wut kommt.
Die protestierenden Bauern in Deutschland begründen ihre Wut immer wieder mit den „massiven Wettbewerbsnachteilen“ gegenüber Landwirten in anderen EU-Ländern. Bauernverbandspräsident Joachim Rukwied wettert: Wenn die Ampel-Koalition tatsächlich den geplanten Subventionsabbau durchsetze, würden die deutschen Landwirte „den teuersten Agrardiesel in ganz Europa fahren“. Allerdings: Wo der Diesel billiger ist, sehen Europas Bauern andere Anlässe zum lautstarken Protestieren.
Ob in Frankreich, Belgien, Polen oder den Niederlanden – in wichtigen Agrarnationen der Europäischen Union gab es zuletzt große Unruhe in der Bauernschaft. Ein Ende ist nicht in Sicht: Spanische Landwirte folgen nun ausdrücklich dem Beispiel ihrer deutschen Kollegen, sie wollen im Februar in Madrid gegen zu niedrige Preise für ihre Produkte auf die Straße gehen. Woher kommt die Wut, was eint die Proteste, wo sind die Unterschiede?
Bauernprotest: So läuft es in Frankreich
Im Nachbarland haben die Proteste schon Tradition, zu Hochzeiten zogen 50.000 zornige Bauern durchs Land, es gab wochenlange Straßenblockaden im ganzen Land gegen sinkende Preise für Milch, Fleisch und Getreide. Jetzt beginnt wieder eine Protestwelle mit Blockaden von zahlreichen Autobahnen und Bahnstrecken in vielen Teilen Frankreichs, auch die Zufahrt zu einem Atomkraftwerk ist gesperrt. Die Landwirte beklagen bereits ein Todesopfer: Bei einem Unfall an einer von den Bauern errichteten Straßensperre in der Nähe von Toulouse kam eine Landwirtin ums Leben, ihr Mann und ihre Tochter erlitten schwere Verletzungen.
Die Bauern kämpfen gleich mit einem ganzen Bündel von Problemen: Überbordende Vorschriften vor allem zum Umweltschutz, zu niedrige Einkommen, hohe Energiekosten, im Süden auch die schwierige Wasserversorgung – und ähnlich wie in Deutschland geht es auch um steigende Agrardiesel-Kosten. Präsident Emmanuel Macron signalisierte den Bauern zwar Zugeständnisse und „konkrete Lösungen für die Schwierigkeiten“, weil er eine erneute „Gelbwesten“-Bewegung fürchtet. Aber nach einem Treffen von Agrarverbänden mit dem Premierminister weiteten die Bauern ihre Proteste sogar noch aus.
Gewaltsame Proteste in den Niederlanden
Die Niederlande erleben schon seit Jahren massive und teils gewaltsame Proteste von Landwirten. Begonnen hatte die Welle mit einem Gerichtsurteil 2019, das drastische Maßnahmen zur Reduzierung der viel zu hohen Stickstoffbelastung verlangte. Die Regierung sah sich zu strengen Auflagen gezwungen, um EU-Vorgaben einzuhalten, inklusive Tempo 100 auf der Autobahn – betroffen vom Stickstoff-Plan zur Halbierung der Emissionen ist aber vor allem die Landwirtschaft. Die Bauern halten die Auflagen, die eine Reduzierung der großen Viehbestände vorsehen, für übertrieben, sie sehen jeden dritten Betrieb in Existenzgefahr.
Die Stimmung ist aufgeheizt, es kam immer wieder zu Ausschreitungen, Brandstiftungen, Blockaden von Autobahnen und Grenzübergängen. Bauern marschierten bedrohlich vor dem Privathaus der Umweltministerin auf und luden dort Gülle ab, nachdem sie eine Polizeisperre durchbrochen hatten. Bei einer Aktion in Heerenveen im Norden des Landes griffen Polizisten zur Schusswaffe und feuerten auf Traktoren, die sie zu überrollen drohten. Das war ein Turbo-Dünger für die schon zuvor gegründete rechtspopulistische Bauer-Bürger-Bewegung (BBB), die die Umweltauflagen ablehnt: Sie schnitt im März 2023 bei der Wahl der Provinzparlamente sensationell gut ab, in vielen Landesteilen wurde sie aus dem Stand stärkste Kraft. Bei den niederländischen Parlamentswahlen im vergangenen November ging es für die Bauernpartei zwar wieder abwärts, sie errang aber immerhin sieben der 150 Mandate – und hat Aussichten auf eine Regierungsbeteiligung unter einem möglichen Premier Geert Wilders. Auch Islamfeind Wilders sammelte für seinen Wahlsieg Stimmen bei den Bauern ein. Andere Rechtsaußen-Gruppierungen versuchten ebenfalls, die Protestaktionen zu unterwandern.
In Belgien Zorn wegen Nitrat-Auflagen
Die EU-Hauptstadt Brüssel war zuletzt wieder Schauplatz von Bauern-Demonstrationen, zur Großdemo legten voriges Jahr 2700 Trecker den Verkehr lahm. Der Protest richtete sich gegen Pläne der flämischen Regionalregierung zur Verringerung der Nitratbelastung, für die auch die Massentierhaltung verantwortlich ist. Brüssel dient ohnehin seit Jahrzehnten immer wieder als Bühne für Großaufmärsche der europäischen Agrarbranche, die sich so – oft erfolgreich – Gehör verschafft. Wegen der EU-Agrarpolitik, die die Landwirtschaft erst mit Quoten und Stützpreisen regulierte und heute mit direkten Subventionen am Leben hält, hat die Europa-Kapitale viele Protestwellen erlebt mit mitunter über hunderttausend Teilnehmern. Bei besonders schweren Auseinandersetzungen kam 1971 ein Demonstrant durch Polizeischüsse ums Leben, hundert Menschen wurden verletzt.
Bauernprotest in Polen: Grenzblockade gegen Importe
Seit vorigem Jahr blockieren polnische Bauern immer wieder mit Lastwagen Grenzübergänge zur , aus Protest gegen billigere Getreide-, Mais- und Futterimporte aus dem Nachbarland. Die Produkte werden wegen der russischen Schwarzmeer-Blockade nun verstärkt über den Landweg transportiert und landen zum Teil in östlichen EU-Staaten – auch ohne die EU-Standards zu erfüllen. Organisatoren von der Initiative Geeintes Dorf warnen: „Viele Landwirtschaftsbetriebe sind in einer dramatischen Situation.“ Vor zwei Wochen lenkte die neue Regierung Polens ein und versprach, mit der Subventionierung von Mais, mit Krediten und einer Steuererleichterung Kernforderungen der Landwirte zu erfüllen. Der Preisdruck durch importiertes Getreide aus der Ukraine treibt auch Landwirte in Bulgarien, Rumänien, der Slowakei und Ungarn auf die Straßen, sie fordern Hilfen von der EU. In Rumänien beendete die Regierung gerade die Demonstrationen mit einem Paket von Zugeständnissen bei Steuern und Auflagen.
So reagiert die EU-Politik auf die Proteste
EU-Politiker in Brüssel verfolgen die Proteste mit großer Aufmerksamkeit, schließlich finden im Juni Europawahlen statt. Vor allem die Ausschreitungen in den Niederlanden haben Spuren hinterlassen. Die größte Fraktion im Europäischen Parlament, die christdemokratische EVP, hat erschrocken eine Kurswende eingeleitet und profiliert sich seitdem demonstrativ als Interessenvertreterin der Landwirte – auch gegen die Linie von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Vergeblich versuchte die EVP, ein von Bauernverbänden bekämpftes EU-Naturschutzgesetz in letzter Minute zu stoppen.
Als Zugeständnis an ihre Partei kündigte von der Leyen einen „strategischen Dialog“ mit den Landwirten an, der noch im Januar beginnen soll. „Wir wollen mit ihnen gemeinsam Lösungen für die Szenarien der Zukunft finden“, sagt die Präsidentin. Im Angebot hat die Kommissionspräsidentin bislang aber nichts. Das Problem: Den wirtschaftlichen Druck spüren die Bauern überall in Europa – die akuten Probleme aber sind von Land zu Land unterschiedlich. „Die Landwirte stehen in einem internationalen Kostensenkungswettbewerb“, sagt der Agrarökonom Klaus Müller vom Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung. Bei den wichtigen Produkten für den Markt wie Weizen, Milch, Zucker, Schweine- und Rindfleisch gehe es für die Bauern schlicht um Kostensenkung, jede Kostensteigerung wie hierzulande gerade beim Agrardiesel verschlechtere dann die Position im internationalen Wettbewerb. Was in Deutschland der Wegfall von Kraftstoffsubventionen, sind in Frankreich Bewässerungskosten und in den Niederlanden Umweltauflagen – und im Osten verschärfen ukrainische Agrarimporte den Wettbewerb. Eines schimmert aber bei vielen Protesten durch: das Gefühl der Bauern, dass ihre Arbeit nicht ausreichend anerkannt und wertgeschätzt wird.