Essen. Die Signa-Krise belastet die Essener RAG-Stiftung. Fragen richten sich auch ans Kuratorium mit Politikern wie Wüst, Habeck und Lindner.

Nach millionenschweren Abschreibungen aufgrund von Insolvenzen zweier Unternehmen aus dem Signa-Firmenimperium des österreichischen Geschäftsmanns René Benko steht die Essener RAG-Stiftung in der Kritik. „Ich habe die Erwartung, dass bei der RAG-Stiftung künftig noch stärker als bisher auf die Sicherheit der Geldanlagen geachtet wird“, sagt Dietmar Brockes, der wirtschaftspolitische Sprecher der FDP-Landtagsfraktion in NRW, im Gespräch mit unserer Redaktion. Zwar gehe es lediglich um ein bis zwei Prozent des Gesamtvermögens der Stiftung, dennoch seien die Abschreibungen „keine kleine Sache“, betont Brockes. Betroffen sei schließlich „nicht irgendeine Stiftung“, so der FDP-Politiker. Die RAG-Stiftung, die auf dem Essener Welterbe-Gelände Zollverein residiert, hat die Aufgabe, die Folgekosten nach dem Ausstieg aus dem Steinkohlenbergbau in Deutschland zu tragen. Sollte sie dazu nicht in der Lage sein, müssten das Land NRW und der Bund einspringen.

Mit einem Vermögen von aktuell rund 17,6 Milliarden Euro gilt die RAG-Stiftung als einer der einflussreichsten Akteure der Wirtschaft im Ruhrgebiet, da sie an einer Vielzahl von Unternehmen beteiligt ist. So ist die Stiftung unter anderem Mehrheitseigentümerin des Essener Chemiekonzerns Evonik. Auch beim Wohnungsriesen Vivawest sowie bei der früheren Thyssenkrupp-Aufzugtochter TK Elevator mischt die Stiftung mit. Das Signa-Desaster bringt die Stiftung nun in Erklärungsnot. In der Bilanz für 2023 schreibt die RAG-Stiftung das komplette finanzielle Engagement in Sachen Signa ab, wie Vorstandschef Bernd Tönjes vor wenigen Tagen der FAZ sagte. Es gehe um eine Größenordnung zwischen 180 und 350 Millionen Euro.

Bernd Tönjes, der Vorstandschef der Essener RAG-Stiftung. Es gebe „keinerlei Anlass“, sich um die Aufgabenerfüllung der Stiftung Sorgen zu machen, sagt er.
Bernd Tönjes, der Vorstandschef der Essener RAG-Stiftung. Es gebe „keinerlei Anlass“, sich um die Aufgabenerfüllung der Stiftung Sorgen zu machen, sagt er. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Eberhard Kanski vom Bund der Steuerzahler NRW verweist auf die Satzung der Stiftung, in der festgeschrieben sei, dass der Vorstand verpflichtet sei, das Vermögen mit „möglichst großer Sicherheit und Rentabilität“ anzulegen. „Bei der Signa-Beteiligung ist offensichtlich die Sicherheit in den Hintergrund geraten“, kritisiert Kanski. Der Bund der Steuerzahler sehe „die grundsätzliche Gefahr, dass hochspekulative Investments den Stiftungszweck gefährden, die Ewigkeitslasten des Kohlebergbaus zu finanzieren“. Stiftungschef Tönjes betont indes, die Belastungen durch die Signa-Insolvenzen seien für die RAG-Stiftung verkraftbar. Es gebe „keinerlei Anlass“, sich um die Aufgabenerfüllung der Stiftung Sorgen zu machen. „Wir rechnen künftig mit jährlichen Ausgaben von rund 350 Millionen Euro“, sagt Tönjes. „Mit unserem aktuellen Vermögen von 17,6 Milliarden Euro kommt man also auf ziemlich genau 50 Jahre.“

Armin Laschet als Nachfolger von Stahl-Unternehmer Großmann

Das Kuratorium der RAG-Stiftung, das als Kontrollgremium fungiert, ist politisch besetzt: Mitglieder sind unter anderem NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU), die saarländische Regierungschefin Anke Rehlinger (SPD), Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Der frühere CDU-Vorsitzende Armin Laschet leitet das Kuratorium. Laschet hat den Stahl-Unternehmer und früheren RWE-Chef Jürgen Großmann Ende 2022 abgelöst. Die Beratungen des Gremiums sind vertraulich, wie mehrere Mitglieder auf Anfrage unserer Redaktion betonen.

Die starke politische Prägung der privatrechtlich organisierten Stiftung sei ein Manko, bemängelt der Bund der Steuerzahler. „Es zeigt sich im Umfeld des Benko-Fiaskos auch, dass hochrangige politische Ämter nicht zwingend mit den Kompetenzen einhergehen, die bestmöglich vor Fehlinvestitionen schützen“, merkt Steuerzahlerbund-Experte Kanski an. „Die RAG-Stiftung muss deshalb zukünftig ihre Beteiligungen mit ökonomischem Sachverstand und nüchterner betriebswirtschaftlicher Betrachtung vornehmen. Verkürzt gesagt: mehr BWL statt Benko.“ Tatsächlich wird das Kuratorium derzeit stärker als in der Vergangenheit durch politische Persönlichkeiten und weniger durch Akteure der Wirtschaft geprägt.

„Die RAG-Stiftung macht insgesamt einen sehr guten Job“, sagt SPD-Landtagsfraktionschef Jochen Ott. Sie gehe „mit ihren Anlagen verantwortungsvoll um und hinterfragt sich in ihren Organen, die von der Stiftungssatzung festgelegt sind, immer wieder kritisch“, urteilt Ott, der nicht in den Gremien vertreten ist. Dass die Stiftung ihre Investitionen in den Signa-Konzern jetzt abschreiben müsse, „trübt da natürlich die Bilanz“, sagt der SPD-Politiker aber auch.

IGBCE-Chef Vassiliadis: Kuratorium der Stiftung hat „keine Aufsichtsratsfunktion“

Im Zusammenhang mit den Signa-Investments betonte der Vorsitzende der Gewerkschaft IGBCE, Michael Vassiliadis, das Kuratorium der RAG-Stiftung habe „keine Aufsichtsratsfunktion“. „Politisch ist natürlich jetzt, dass man Bestandteil dieses speziellen Benko-Vorgangs ist“, sagte Vassiliadis unlängst vor Journalisten. Schließlich sei Benko „in seinem Geschäftsmodell abenteuerlich“, so der Gewerkschaftschef, der auch Kuratoriumsmitglied ist. Bei der RAG-Stiftung laufe nun eine „Folgenbeurteilung“. Ein Thema sei die „Risikovorsorge“ bei Investitionen der Stiftung.

Eine zentrale Aufgabe des Kuratoriums der RAG-Stiftung ist, die Vorstandsmitglieder auszuwählen. Der FDP-Wirtschaftsexperte Brockes mahnt indes: „Aus meiner Sicht sollte das Kuratorium der RAG-Stiftung nicht nur über Vorstandspersonalien entscheiden, sondern auch in angemessener Form die Arbeit des Vorstands kontrollieren.“

Stiftungschef Tönjes verteidigt Einstieg bei Signa-Firma im Jahr 2017

RAG-Stiftungschef Tönjes verteidigt im FAZ-Interview die Entscheidung, nicht eher bei Signa ausgestiegen zu sein. Im Jahr 2017 habe der damalige Stiftungsvorstand entschieden, bei Signa Prime einzusteigen, „nach intensiver Prüfung natürlich“, so Tönjes, der im Mai 2018 zum Vorsitzenden des Vorstandes der RAG-Stiftung bestellt worden ist. Mit der Signa-Immobiliengesellschaft „Prime“ und später auch mit „Development“ sei ein „sehr gutes Geschäft“ verbunden gewesen. „Ab 2022 hat sich das stark eingetrübt. In kurzer Zeit gingen die Zinsen hoch von null auf vier Prozent. Die Geld­beschaffung wurde schwieriger“, so Tönjes. „Die Baukosten sind explodiert, und die Bewertungen der Immobilien sind entsprechend niedriger ausgefallen.“

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Ist angesichts des Signa-Desasters eine strengere Risikovorsorge bei der RAG-Stiftung erforderlich? Was bedeutet der Fall für die künftige Arbeit im Zusammenspiel von Vorstand und politisch besetztem Kuratorium der Stiftung? Ministerpräsident Wüst will sich dazu auf Anfrage unserer Redaktion nicht äußern. „Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir uns aufgrund der Vertraulichkeit der Gremienarbeit nicht zu damit in Zusammenhang stehenden Vorgängen äußern können“, teilt die Staatskanzlei NRW lediglich mit.

Habeck-Ministerium: Diskussion in der nächsten Kuratoriums-Sitzung

Das von Christian Lindner (FDP) geführte Bundesfinanzministerium erklärt auf Anfrage unserer Redaktion, das Kuratorium der RAG-Stiftung sei durch den Vorstand über den möglichen Abschreibungsbedarf im Zusammenhang mit dem Signa-Engagement informiert worden. Die Stiftung sei privatrechtlich organisiert. Investitionsentscheidungen treffe der Vorstand der RAG-Stiftung in eigener Verantwortung. Die „Bewertung und Prüfung von Risiken“ bei Investitionen gehörten „nicht zu den Aufgaben des Kuratoriums“, so ein Ministeriumssprecher. Laut Satzung der Stiftung ist es allerdings die Aufgabe des Kuratoriums, einen jährlichen Wirtschaftsplan und die Anlagerichtlinien zu genehmigen.

Ein Sprecher des von Robert Habeck geführten Wirtschaftsministeriums hebt ebenfalls hervor, dass der Vorstand der RAG-Stiftung „in eigener Verantwortung“ seine Entscheidungen zu Einzelinvestitionen im Rahmen der Vorgaben der Kapitalanlagerichtlinie treffe. „Eine Diskussion dazu dürfte in der nächsten Sitzung des Kuratoriums der Stiftung geführt werden“, so der Ministeriumssprecher. Aus Sicht von Habeck gibt es also augenscheinlich Gesprächsbedarf.