Essen. Warum Penny in dieser Woche einige Preise deutlich erhöht. Welche Produkte wie teuer werden. Und was Forscher und Handelsexperten dazu sagen.

Wenn Discounter den Preishammer auspacken, dann bewerben sie ihre Sonderangebote, die neusten Mega-Tiefstpreise. Wer am heutigen Montag bei Penny zu seinen Wiener Würstchen greift, um mit einem deftigen Mittagessen in die Woche zu starten, wird den Preis jedoch als ziemlich schmerzhaften Hammer empfinden: 6,01 Euro kostet das 400-Gramm-Wurstgebinde plötzlich, letzte Woche waren es noch 3,19 Euro, also gut die Hälfte. Als ob die Preise nicht zuletzt genug gestiegen wären. Meinen die das ernst?

Und ob: Die Rewe-Tochter wagt ein gerade für Discounter mehr als ungewöhnliches Experiment. Für neun ausgewählte Produkte kassiert Penny in dieser Woche einen Preis, der ihre „wahren Kosten“ beinhaltet. Die Ökobilanz etwa der Würstchen enthält Folgen für das Klima, die mit Kosten verbunden sind, etwa für teurere Versicherungen. Aber auch negative Effekte auf den Boden und das Grundwasser durch die Tierhaltung und extensive Landwirtschaft sowie Gesundheitskosten, die in der Produktionskette entstehen.

Massdamer Käse kostet fast doppelt so viel

Deshalb kostet auch der Maasdamer Käse eine Woche lang fast doppelt so viel. Was durch die Produktauswahl deutlich werden und als Werbekampagne für die veganen und biologischen Eigenmarken dienen soll: Die durch Klima- und Umweltbelastungen entstehenden Zusatzkosten sind in pflanzlichen Produkten und in nach Biostandards produzierten Fleisch- und Milchprodukten teils deutlich niedriger als in konventionellen. Hier die Übersicht der „Wahre Kosten“-Preise bei Penny:

  • Naturgut Bio Fruchtjoghurt: 1,56 Euro (sonst 1,19 Euro)
  • Zukunftsbauer Fruchtjoghurt: 1,64 Euro (1,19 Euro)
  • Naturgut Bio Maasdamer: 3,70 Euro (2,19 Euro)
  • Lindenhof Maasdamer 4,84 Euro (2,49 Euro)
  • Mühlenhof Wiener Würstchen 6,01 Euro (3,19 Euro)
  • Naturgut Wiener Würstchen (Bio): 5,36 Euro (3,29 Euro)
  • San Fabio Mozzarella: 1,55 Euro (0,89 Euro)
  • Naturgut Bio Mozzarella: 1,92 Euro (1,29 Euro)
  • Food for Future Schnitzel (vegan): 2,83 Euro (2,69 Euro)

Wie sich die Extrakosten aufs Gramm berechnen lassen, dazu gibt es weltweit viele Forschungsansätze. In Deutschland zählen Tobias Gaugler von der TU Nürnberg und Amelie Michalke von der Uni Greifswald zu den führenden Wissenschaftlern auf diesem Gebiet. Ihre Modelle für die in der Lebensmittelproduktion entstehenden externen Kosten, die letztlich die Gesellschaft an anderer Stelle zahlen muss, werden in EU- und Bundesprojekten gefördert. Gaugler und Michalke haben auch für Penny die „wahren Kosten“ berechnet.

Penny rechnet mit Umsatzeinbußen in Millionenhöhe

Sie sind gespannt, wie oft die bewusst verteuerten Produkte auf dem Kassenband landen. Gaugler erhofft sich „wertvolle Erkenntnisse über Kaufverhalten und Akzeptanz für das Thema“, aus denen sich „Handlungsempfehlungen für die verschiedenen Akteure ableiten“ ließen, für die Politik, aber auch Produzenten und Konsumenten. Penny selbst ist bewusst, dass die meisten Kundinnen und Kunden die Produkte im Regal lassen werden. Man rechne deshalb auch mit Umsatzeinbußen „im einstelligen Millionenbereich“, sagte Penny-Manager Stefan Görgens. Von den verkauften Produkten soll der Aufpreis in ein Förderprojekt für kleinbäuerliche Milchbetriebe im Alpenvorland gehen.

Amelie Michalke betont den Versuchscharakter: Um die wahren Kosten für alle Lebensmittel einführen zu können, fehlten noch wissenschaftliche Grundlagen sowie eine Antwort darauf, wie das mit der sozialen Gerechtigkeit vereinbar wäre. Denn gerade Geringverdiener kaufen in Discountern ein, weil sie sich höhere Preise nicht leisten können. Langfristig sei es Aufgabe der Politik dafür zu sorgen, dass diese Folgekosten aus der Lebensmittelproduktion künftig gar nicht erst entstehen, sagte sie am Montag vor Journalisten.

podcast-image

Deshalb zeigt auch der Handelsprofessor Gerrit Heinemann von der Hochschule Niederrhein überrascht, dass die Discounttochter und nicht die große Mutter hohe „wahre“ Preise aufruft: „Dieses Experiment hätte sicherlich besser zur Supermarkt-Schwester Rewe gepasst“, sagte er unserer Redaktion. Das gebe „möglicherweise einen Hinweis darauf, dass Penny im Haifischbecken der Hard Discounter gegenüber Lidl und Aldi mittlerweile wohl eher ins Hintertreffen geraten ist und offensichtlich nach einer neuen Positionierung sucht“, meint der Handelsforscher. Penny versuche, „aus der Preisspirale der Discounter auszubrechen“ und das Gegenteil der ursprünglichen Discountorientierung zu praktizieren“, so Heinemann.

Penny will sich europaweit bekannter machen

Der Discounter sieht selbst ein Risiko in seiner Aktion. „Wir sehen, dass viele unserer Kundinnen und Kunden unter den unverändert hohen Lebensmittelpreisen leiden. Dennoch müssen wir uns der unbequemen Botschaft stellen, dass die Preise unserer Lebensmittel, die entlang der Lieferkette anfallen, die Umweltfolgekosten nicht widerspiegeln“, findet Penny-Geschäftsführer Görgens. Freilich geht es auch darum, Schlagzeilen mit der Marke Penny zu machen, wie Görgens indirekt bestätigt, wenn er betont: „Einen vergleichbar breiten Ansatz hat es in ganz Europa bisher nicht gegeben.“

Auch interessant

Die zusätzlichen Kosten führt Penny für jedes Produkt detailliert auf. Bei den Wurstprodukten sind die Kosten für die Bodenbeeinträchtigung durch Tierhaltung und den Futteranbau besonders hoch, bei den konventionellen Würstchen schlägt das mit 1,17 Euro auf die 400-Gramm-Packung zu Buche. Hinzu kommen 94 Cent Klimakosten, die durch die Verdauung der Tiere und den Dieselverbrauch der Landmaschinen entstehen. Auch die Gesundheitskosten, etwa durch die Folgen von Ammoniakdämpfen und Pestizideinsatz für die Landwirte, sind mit 62 Cent beträchtlich.

Vegane Produkte schneiden am besten ab

Die Bioprodukte schneiden besser ab, weil etwa wegen des Pestizid-Verbots ihre negativen Folgen für den Boden geringer sind. Dennoch bleiben die Zusatzkosten auch bei ihnen hoch: Die Bio-Würstchen verteuern sich mit den „wahren Kosten“ um 63 Prozent, die konventionellen um 88 Prozent. Die mit Abstand geringsten Produktionsfolgekosten verursachen die veganen Schnitzel, die nur fünf Prozent teurer werden.

Weitere Texte aus dem Ressort Wirtschaft finden Sie hier:

Doch was, wenn die Verbraucherinnen und Verbraucher schlicht nicht bereit sind, mehr für ihre Lebensmittel zu zahlen, weil sie das Klima, die Umwelt oder die Gesundheit belasten? Tobias Gaugler hielte es für denkbar, das Einkaufsverhalten etwa über die Mehrwertsteuer zu lenken: Mit sehr niedrigen bis keinen Steuern auf umweltneutrale, etwa vegane Produkte, und höhere Steuern als bisher auf besonders folgenreiche Produkte wie konventionelles Fleisch. Das solle der Staat am besten kostenneutral gestalten, damit nicht der Eindruck entstehe, er wolle sich daran bereichern, sagte Gaugler.