Essen. Umweltministerin Lemke (Grüne) will Discounter zu Mehrwegflaschen zwingen. Penny und Netto begrüßen das, Aldi, Lidl – und die FDP sind dagegen.

Wer bei Aldi Bier in Glasflaschen sucht, hat sich wahrscheinlich verlaufen. Die Dose ist Trumpf im Discount. 20 Jahre nach Einführung des Dosenpfands verkaufen vor allem die großen deutschen Billigmärkte von Jahr zu Jahr mehr Bier und Limo in Weißblech oder Alu. Das will die grüne Bundesumweltministerin Steffi Lemke ändern: Aldi, Lidl & Co sollen Bier, Wasser, Säfte und Milch künftig auch in Mehrwegflaschen anbieten müssen. Dazu will Lemke alle großen Lebensmittelhändler mit ihrer Novelle des Verpackungsgesetzes verpflichten. Die Discount-Riesen sind dagegen – und wissen die FDP auf ihrer Seite.

Die Mehrwegpflicht ist der wahrscheinlich heikelste Punkt aus den jüngst vorgelegten Eckpunkten des Ministeriums. Sie enthalten etwa auch ein Verbot von Mogelpackungen. Dass etwa Rama seine Margarine-Dose gleich groß lässt, aber nur noch 400 statt 500 Gramm einfüllt, soll nicht mehr erlaubt sein – weil es nicht nur eine versteckte Preiserhöhung ist, sondern auch unnötig viel Plastik verbraucht. Das ärgert vielleicht die Hersteller, aber nicht die Händler.

Umweltministerin will die Mehrwegquote endlich steigern

Umso mehr dies: Lemke will endlich die Mehrwegquote bei Getränken erhöhen, die noch von der schwarz-roten Vorgängerregierung auf 70 Prozent gesetzt wurde, aber nach wie vor um 40 Prozent dümpelt. Hauptgrund dafür ist das große Comeback der Dose. Die war nach Einführung des Pfands 2003 nahezu verschwunden, hat sich in den vergangenen Jahren aber mit Riesen-Schritten zurückgemeldet. Im vergangenen Jahrzehnt vervierfachte sich der Absatz von Getränkedosen in Deutschland auf rund vier Milliarden Stück.

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Die Umweltministerin will, dass die Kundinnen und Kunden der Discounter zumindest eine Mehrwegalternative zu Dosen, Tetrapacks und Einweg-PET-Flaschen für jede Getränkeart erhalten. Gleichzeitig will sie alle Läden ab 200 Quadratmetern Verkaufsfläche verpflichten, Pfandautomaten für alle Marken aufzustellen. Anders als bisher sollen alle Mehrwegflaschen und Kästen in jedem Supermarkt und Discounter zurückgegeben werden können – unabhängig davon, ob sie in dem jeweiligen Markt verkauft werden. Umsetzen soll der Handel die neuen Regeln bis Juli 2025.

Die fünf führenden Discounter reagieren sehr unterschiedlich, wie eine Umfrage unserer Zeitung ergab. Aldi Nord erklärte, beide etablierten Pfandsysteme – Mehrweg und Einweg – hätten eine Daseinsberechtigung. Da auch die EU europaweit neue, einheitliche Vorgaben für Verpackungen vorbereitet, spricht sich Aldi Nord gegen „eine vorausgreifende nationale Gesetzgebung mit unzureichender Beteiligung und fehlenden Übergangsfristen“ aus. Das führe „zu einem regulativen Flickenteppich“.

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Die Einführung der Mehrwegsysteme bis 2025 sei aufgrund der notwendigen Umbauten samt Genehmigungs- und Bauzeiten „nicht realistisch“, moniert Aldi Nord. Eine verpflichtende Rücknahme aller Mehrweggebinde könne gar „zu ökologischen Nachteilen führen“, weil der Rücktransport vieler verschiedener leerer Flaschen eine ganz neue Logistik und zusätzliche Flächen erfordere sowie lange Transportwege verursache.

Aldi Süd prüft Mehrwegsysteme in Deutschland

Aldi Süd erklärte, die Vorschläge noch zu prüfen. Die EU-Pläne, die ebenfalls Mehrwegverpackungen stärken wollen, hätten Aldi Süd aber dazu veranlasst zu prüfen, inwieweit Mehrwegsysteme in Deutschland ausgeweitet werden können. Anfang 2024 beginne „die Prüfung der Skalierbarkeit durch eine Projektphase, an der ausgewählte Filialen teilnehmen“, teilte Aldi Süd mit. Allerdings nicht ohne zu betonen, dass eine flächendeckende Umstellung sehr komplex, langwierig und teuer würde.

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Noch deutlicher wird Lidl: Lemkes Pläne würden aus den schon von Aldi genannten Gründen der aufwendigen Mehrweg-Sortierung und zusätzlicher Fahrten die Preise auf dem Getränkemarkt „massiv“ erhöhen. Mehr noch: „Die Pläne des Ministeriums gehen zu Lasten des Klimas, der Wirtschaft und der Verbraucher“, sagt Wolf Tiedemann, Vorstand der Lidl Stiftung. Statt pauschal Mehrweg zu fördern, solle das Ministerium die Ökobilanz einer Verpackung zum Bewertungskriterium machen.

Die Lidl-Kampagne mit Günter Jauch

Ob Mehrweg wirklich besser sei als Einweg, hat Lidl in diesem Jahr mit maximalem Werbeaufwand infrage gestellt – nämlich Starmoderator Günther Jauch erklären lassen, dass Lidls Einweg-“Kreislaufflasche“ klimafreundlicher sei als Mehrwegflaschen. Die durch eine bestellte Studie gestützten Hauptargumente: Die Flaschen bestünden zu 100 Prozent aus recyceltem PET und verursachten 25-mal weniger Lkw-Fahrten als die sperrigen Mehrwegkisten. Auch Aldi Nord erklärte, bereits Flaschen für gekühlten Orangensaft und Mineralwasser zu führen, die aus 100 Prozent „Rezyklat“ bestünden.

Umweltverbände nennen Lidls Kampagne „Greenwashing“. Zum einen, weil beim Recycling immer Materialverluste entstünden und neue Rohstoffe sowie hohe Mengen an Energie verbraucht würden. Auf 100 Prozent Rezyklat komme man nur durch Zukauf aus anderen Quellen, einen geschlossenen PET-Kreislauf könne es also gar nicht geben.

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Der Koalitionspartner FDP hat nun die Argumente der Discounter teils wörtlich übernommen. Man dürfe „Einwegflaschen nicht pauschal verteufeln“, sagte Fraktionsvize Carina Konrad der Neuen Berliner Redaktionsgesellschaft, und verwies auf PET-Flaschen „mit zum Teil 100 Prozent Recyclingstoffen“. Recycling solle eine gleichwertige Alternative sein, habe man im Koalitionsvertrag vereinbart. Das Ministerium solle seine Pläne mit Ökobilanzen auch für Mehrwegflaschen belegen. Was dabei untergeht: PET-Flaschen sind etwa beim Bier eher die Ausnahme, und Dosen gelten trotz ebenfalls hoher Recyclingquote ökologisch als klares Schlusslicht unter den Getränkeverpackungen.

FDP stoppt Lemkes Novelle vorerst

Die FDP-Ministerien legten einen „Versendewiderspruch“ des Gesetzentwurfs ein, was den nächsten Schritt, die Verbändeanhörung, verzögert. SPD und Grüne folgen dagegen den Umweltverbänden und wollen Lemkes Novelle durchbringen.

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Die Discount-Töchter der Supermarkt-Riesen Edeka und Rewe, Netto und Penny, reagierten ganz anders – weil sie bereits Mehrwegflaschen führen. Netto sieht sich mit einer Mehrwegquote von 50 Prozent in einer Vorreiterrolle. Auch für Säfte und Molkereiprodukte führe man bereits Mehrweg-Alternativen, betonte Netto-Sprecherin Christina Stylianou. Für Penny erklärte die Mutter Rewe, sie begrüße die geplante Überarbeitung des Verpackungsgesetzes.

HDE warnt vor Überforderung von Aldi und Lidl

Der Handelsverband HDE stärkt wie die FDP den Discount-Marktführern Aldi und Lidl den Rücken, warnt vor einer finanziellen und logistischen Überforderung durch die Mehrwegpflicht. HDE-Umweltexpertin Antje Gerstein zweifelt zudem an, dass dadurch überhaupt der gewünschte Effekt erzielt würde: „Es gibt keine Garantie dafür, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher ihren Konsum entsprechend anpassen“, sagte sie.

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Was Aldi und Lidl vor allem scheuen, ist der hohe Aufwand. Der wird dadurch erhöht, dass viele Bierbrauer ihre eigenen Flaschen kultivieren und damit der einzelne Kasten im Zweifel deutlich weitere Wege zurück zur Brauerei verursacht als dies Einheitsflaschen tun würden. Das würde sich Aldi Nord als Voraussetzung wünschen. Die Ziele ließen sich „gut erreichen, indem für Getränke mit einem hohen Volumen wie Wasser und Bier einheitliche Verpackungsstandards anstelle von Markenverpackungen vorgegeben werden“, so das Essener Unternehmen.

Aldi Nord: Einheits-Bierflasche würde das erleichtern

Damit trifft der Discounter einen wichtigen Punkt: Mehrweg-Glasflaschen können eine schlechtere Klimabilanz haben als PET-Einwegflaschen, wenn sie auf Diesel-Lkw über viele Hundert Kilometer transportiert werden müssen. Einheitsflaschen würden dieses Problem lösen, einigen Brauereien aber ein Alleinstellungsmerkmal nehmen.