Wittgenstein. Große Unternehmen, IG Metall, Arbeitgeberverband und IHK fürchten um Industriestandort und den Wohlstand der gesamten Region.
Sie repräsentieren 3600 der rund 6500 Beschäftigten aus der Industrie in Wittgenstein und sie machen sich große Sorgen um die Auswirkungen, die die Einrichtung eines Nationalparks Rothaargebirge auf die wirtschaftliche Zukunft des Altkreises und den Wohlstand seiner Bewohner haben könnte. Die Liste der Gegner des Nationalparks liest sich wie das Verzeichnis der größten Arbeitgeber der Region.
Verbunden haben Sie sich mit wichtigen Interessenvertretern und Gewerkschaften: Im Restaurant Mühle Acht trafen sich am Mittwochnachmittag Christoph Schorge (EEW Holding GmbH & Co. KG), Christian F. Kocherscheidt (Ejot SE & Co. KG), Jan Saßmannshausen (Bikar-Metalle GmbH), Dirk Pöppel (Regupol Germany GmbH & Co. KG), Reiner Jung (Agrodur Grosalski GmbH & Co. KG), Andreas Klein (Heinrich Wagner Sinto Maschinenfabrik GmbH), Nils Benfer (Wittgenstein Gruppe), um gemeinsam mit dem scheidenden IHK-Hauptgeschäftsführer Klaus Gräbener, Jan Krumnow vom Arbeitgeberverband Siegen-Wittgenstein und Hans-Peter Langer (IHK Siegen) ihre Befürchtungen rund um die Diskussion über einen möglichen Nationalpark deutlich zu machen. Andree Jorgella, der 1. Bevollmächtigte der IG Metall, fehlte erkrankt, liefert aber mit schriftlichen Statements eine klare Stellungnahme ab.
Die Argumente, die an diesem Tag vorgebracht werden, sind nicht neu. Aber sie formen sich zu einem schwarzmalerischen Bild. Christoph Schorge berichtet davon, dass die Flächenkulisse für den Park direkt an sein Werksgelände in Erndtebrück anschließt. Erweiterungsmöglichkeiten werden dadurch beschränkt. „Wir haben in Rostock gerade 500 Mitarbeiter eingestellt. Wir würden auch gerne in Erndtebrück ausbilden und einstellen, aber ich sehe nicht, wie uns der Nationalpark dabei helfen sollte?“ Schorge teilt die Sorge aller anderen Geschäftsführer, dass ein Nationalpark negative Auswirkungen auf die Verkehrsanbindung haben könnte.
Christian Kocherscheidt fühlt sich an Energiepreise und andere geopolitische Krisen, die den Standort Deutschland gefährden, erinnert. „Den Wohlstand der Menschen zu sichern, sollte Priorität haben. Da kommt uns die Nationalparkdebatte in die Quere. Wir haben weder die Zeit noch die Lust, um uns damit zu befassen. Sonst gehen wir unter. Das können wir in zehn Jahren machen, wenn wir die anderen Probleme gelöst haben.“ Auch Kocherscheidt hält Auswirkungen auf eine verbesserte Verkehrsanbindung durch die Route 57 für möglich, selbst wenn dies nicht explizit irgendwo aufgeschrieben sei. Unterstützung erhält Kocherscheidt von Nils Benfer. Der Forstwirt der Wittgenstein Gruppe verweist auf den Einfluss auf Genehmigungsverfahren: Sollte sich der Straßenbau weiter verzögern und gleichzeitig ein Nationalpark kommen, hätte dieser mutmaßlich Einfluss auf das Baugenehmigungsverfahren.
Für Dirk Pöppel ist diese Diskussion nur ein weiteres Beispiel dafür, dass Wittgenstein als Standort unattraktiv werde. „Früher waren wir Macher, heute sind wir Verwalter und müssen Bürokratie als Gesellschaftszweck im Handelsregister eintragen“, sagt Pöppel, der in dem Projekt vor allem eines sieht: „Ein ökologisches Bollwerk gegen eine bessere Verkehrsanbindung.“ Ohne die Route 57 sieht Pöppel, wie auch Andreas Klein oder Jan Saßmannshausen und Reiner Jung, den Fachkräftemangel verstärkt. „Wir haben nicht genug Einpendler und fühlen uns langsam wie in einem Reservat.“ Das stützt Klein, der von Ingenieuren spricht, die vom Job beim Maschinenbauer HWS begeistert sind, aber wegen der Verkehrsanbindung nach der Probezeit wieder gehen. Jan Saßmannshausen berichtet von 20 Lastwagen, die bei Bikar täglich ins Ruhrgebiet geschickt werden. „Wir sind für unsere Kunden so etwas wie Amazon. Die bestellen heute und übermorgen muss die Ware da sein.“ Ohne vernünftige Straße ist das teuer. Und Reiner Jung berichtet davon, dass die Unternehmerfamilie Grosalski bislang immer am Agrodur-Standort Schwarzenau festgehalten habe, es inzwischen aber auch besser angebunden Standorte gebe.
Pöppel geht sogar noch weiter und zieht den Vergleich zu den USA. In Pennsylvania zahle Regupol nur ein Fünftel der Energiekosten von den deutschen Werken. Und dort gebe es nicht nur weniger Bürokratie, sondern Hilfestellung des Staats bei Bauvorhaben. „Was soll uns denn noch in Wittgenstein halten?“, fragt er und gibt die familiäre Verbundenheit mancher Unternehmer als Antwort. Aber die sei an wirtschaftlichen Erfolg gekoppelt.
Für die IG Metall argumentierte Andree Jorgella eindeutig: „Wenn im Raum Wittgenstein Arbeitsplätze verloren gehen, wandern ganze Familien ab. Das verschärft die demografische Lage und kann nicht im Interesse der Region liegen.“ Der Gewerkschafter betonte das Interesse, Naturschutz und den Erhalt von Industriearbeitsplätzen unter einen Hut zu bringen. „Wir müssen beides im Blick haben. Natürlich ist es nicht abschließend absehbar, welche Folgen ein Nationalpark in der Region langfristig haben würde, jedoch sollten wir ihn nicht einfach umsetzen und dann warten, was passiert.“
Die Forderung an die Politik an diesem Tag ist eindeutig: „Der Kreistag sollte einen Schlussstrich unter die Debatte ziehen, damit wir uns auf andere Themen konzentrieren können“, formulierte der scheidende Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Siegen-Wittgenstein/Olpe das, was ein Großteil der Wittgensteiner Industrie und Gewerbetreibenden, aber auch der Gewerkschaft IG Metall über die Debatte rund um einen Nationalpark in Siegen-Wittgenstein denken.