Biedenkopf/Frankenberg. Direkt hinter der Grenze zu Wittgenstein: Durchsuchungen auch in Marburg-Biedenkopf: Missbrauchsermittlungen gegen 75 Personen.

Im Rhythmus von wenigen Monaten meldet die hessische Polizei Erfolge ihrer Spezialisten von der Besonderen Aufbauorganisation (BAO) Fokus. Sie setzt ihren Einsatz gegen sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen seit 2020 konsequent um: Auch in der vergangenen Woche waren wieder zahlreiche Ermittler ausgeschwärmt, um Beweise zu sichern und Verdächtige zu vernehmen. Das geht aus einer Pressemitteilung des Landeskriminalamtes in Wiesbaden hervor. Dort heißt es: „Bei der ersten Schwerpunktmaßnahme 2024 durchsuchten 286 Kräfte vergangene Woche hessenweit die Wohnräume von 75 Beschuldigten. Diese stehen im Verdacht, Kinder- und Jugendpornografie erworben, besessen oder verbreitet, beziehungsweise Minderjährige sexuell missbraucht zu haben.“

Daher kommen die Hinweise auf Kindesmissbrauch

Für diese Zeitung erläutert die Sprecherin des Hessischen LKA, Laura Kaufmann-Conrad, wie die Strafverfolgungsbehörden und speziell die Besondere Aufbauorganisation Fokus mutmaßlichen Sexualstraftätern auf die Spur kommen.

Die Hinweise erreichen die BAO auf verschiedensten Wegen: Beispielsweise erstatten Menschen Anzeige auf Polizeirevieren oder über die Online-Wache auf der Homepage der hessischen Polizei. Teilweise entwickeln sich aus bereits laufenden Verfahren Folgeverfahren.

In vielen Fällen erhalten die Ermittlerinnen und Ermittler Hinweise von Internetdienstleistern oder der US-amerikanischen Organisation NCMEC (National Center for Missing and Exploited Children), die von Internetprovidern über Missbräuche im Zusammenhang mit Kinder- und Jugendpornografie oder sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen informiert wird. Amerikanische oder in Amerika tätige Netzbetreiber sind verpflichtet, mögliche strafbare Inhalte an NCMEC zu melden. Das NCMEC schickt die Daten weiter in die Länder, in Deutschland an das Bundeskriminalamt, von wo aus sie an die Polizeien der Bundesländer weitergeleitet werden. Die Zahl der Hinweise, die über NCMEC gemeldet werden, nimmt kontinuierlich zu.

Vor über einem Jahr wurde daher eigens die sogenannte Clearingstelle der BAO Fokus eingerichtet, in der alle NCMEC-Meldungen bearbeitet werden. In der Clearingstelle sind über 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tätig. Sie kontrollieren die eingehenden Meldungen - etwa darauf, ob Hinweise vorliegen, dass ein Kind akut real missbrauchsgefährdet und damit direkter Handlungsbedarf geboten ist. Die Ermittlungsteams schöpfen zudem alle Möglichkeiten aus, um Tatverdächtige zu identifizieren.

Durch die enge Abstimmung der Clearingstelle mit der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main, Zentralstelle für Internetkriminalität (ZIT), konnten Bearbeitungsstandards festgelegt werden, die das Vorgehen standardisieren und damit deutlich vereinfachen und beschleunigen. Durch die wichtige Arbeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Clearingstelle ist es bereits gelungen, reale Missbräuche an Kindern und Jugendlichen zu stoppen und die Weiterverbreitung sexueller Darstellungen Minderjähriger zu unterbinden.

Wie Laura Kaufmann-Conrad, die Sprecherin des LKA in Wiesbaden, auf Nachfrage dieser Zeitung berichtet, ist unter den Beschuldigten auch ein 60-jähriger Mann aus Frankenberg, der kinderpornografisches Material besessen und möglicherweise auch verteilt haben soll. Ein weiterer Tatverdächtiger kommt aus dem Kreis Marburg-Biedenkopf. Zu seiner Person werden aus ermittlungstaktischen Gründen jetzt noch keine weiteren Informationen preisgegeben.

Die Fäden für diesen Einsatz im Auftrag der hessischen Staatsanwaltschaften sind beim Hessischen Landeskriminalamt (HLKA) in Wiesbaden zusammengelaufen: „Bei der großangelegten Aktion handelte es sich um einen Einsatz der BAO Fokus: Ziel dieser Organisationseinheit der hessischen Polizei ist es, Minderjährige vor sexualisierter Gewalt zu schützen, anhaltenden Missbrauch zu stoppen, Sexualstraftaten, die sich gegen Kinder und Jugendliche richten, zu ermitteln und Straftäter zu überführen.“

Große Mengen Datenträger sichergestellt

Ihrer Aufgabe komme die BAO Fokus mit einer Vielzahl von Maßnahmen nach, etwa mit dem jüngst durchgeführten Einsatz. „Zwischen Montag und Freitag vergangener Woche wurden dabei hessenweit 75 Durchsuchungsbeschlüsse vollstreckt und 502 Speichermedien - darunter 151 Smartphones und Mobiltelefone, 66 Computer und 111 USB-Sticks - sichergestellt“, zieht HLKA-Präsident Andreas Röhrig Bilanz der Großrazzia. Die Datenträger müssten nun ausgewertet, kriminalistisch bewertet und auf weitere Ermittlungsansätze geprüft werden. Aufgrund großer Datenmengen könne dies einige Zeit in Anspruch nehmen.

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Die Durchsuchungen fanden neben Frankenberg und dem Kreis Marburg-Biedenkopf in den Städten Darmstadt, Frankfurt am Main, Gießen, Hanau, Offenbach am Main und Wiesbaden sowie in den Landkreisen Bergstraße, Darmstadt-Dieburg, Fulda, Groß-Gerau, Gießen, Hersfeld-Rotenburg, Hochtaunuskreis, Main-Kinzig-Kreis, Main-Taunus, Lahn-Dill, Odenwald, Offenbach, Rheingau-Taunus, Schwalm-Eder, Vogelsberg, Werra-Meißner und Wetterau statt.

Vier mutmaßliche Sexualstraftäter

Vier der Beschuldigten wird sexueller Missbrauch von Kindern oder Jugendlichen (gemäß § 176a StGB Strafgesetzbuch) vorgeworfen; bei 71 Beschuldigten steht der Vorwurf des Erwerbs, Besitzes oder der Verbreitung von Kinder- oder Jugendpornografie (gemäß § 184b oder §184c Strafgesetzbuch) im Raum.

Wer den Verdacht hegt, dass ein Kind sexueller Gewalt ausgesetzt ist, sollte handeln und eine Beratungsstelle oder aber die Polizei kontaktieren.
Andreas Röhrig - HLKA-Präsident

Die 73 Männer und 2 Frauen im Alter bis 73 Jahren stehen nach derzeitigem Stand der Ermittlungen untereinander nicht im Austausch. 43 der Beschuldigten mussten die Ermittlerinnen und Ermittler im Anschluss an die Durchsuchung mit auf die nächstgelegene Dienststelle begleiten.

„Kinder benötigen besonderen Schutz, denn sie können sich nicht allein gegen Missbrauch wehren. Wer den Verdacht hegt, dass ein Kind sexueller Gewalt ausgesetzt ist, sollte handeln und eine Beratungsstelle oder aber die Polizei kontaktieren“, sagt HLKA-Präsident Andreas Röhrig.

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