Marburg-Biedenkopf. Mit einem Schuldspruch ist am Mittwoch der Prozess gegen einen gebürtigen Biedenkopfer zu Ende gegangen, der sich wegen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger vor dem Landgericht Marburg verantworten musste. Richter Thomas Wolf verurteilte den 36-Jährigen zu zehn Jahren Gefängnis.
Opfer brach in Tränen aus
Das Gericht sah es als erwiesen an, dass sich der Angeklagte zwischen 1999 und 2003 mehrfach an einer heute 25-Jährigen, in deren Familie im Hinterland er damals lebte, vergangen hat. Auch zwei Schwestern der Frau (23 und 26 Jahre) sowie eine frühere Freundin der Schwestern hatten an den vorherigen Verhandlungstagen angegeben, von dem Mann belästigt worden zu sein.
Das Gericht befragte am fünften Verhandlungstag auch die schwer erkrankte Mutter der Opfer, die wegen ihres schlechten Gesundheitszustandes nicht an den vorherigen Sitzungen teilnehmen konnte. Die 49-Jährige sagte, dass ihr während der Zeit, in der sich die Missbrauchsfälle ereigneten, nichts aufgefallen sei. Erst im Nachhinein sei ihr ein Verdacht gekommen. Sie begründete ihre langjährige Ahnungslosigkeit damit, als Kind selbst missbraucht worden zu sein, damals aber anders als ihre Tochter reagiert zu haben.
Eine psychiatrische Sachverständige bezeichnete die Aussagen der 25-Jährigen als glaubwürdig. Dafür sprächen die Fülle an Details, die konkreten zeitlich-räumlichen Verknüpfungen sowie die inhaltliche Konstanz ihrer Aussagen. Ebenso die traumatische Betroffenheit, die der Frau auch während des Prozesses deutlich anzumerken waren: Immer wieder stockte die 25-Jährige und brach in Tränen aus. Ein normaler Mensch sei nicht fähig, derartiges zu simulieren. Eine Erklärung hatte die Sachverständige auch auf einen angeblichen Besuch der 25-Jährigen bei ihrem Peiniger im Juni 2006. Von diesem Besuch hatte die Mutter des Angeklagten am 13. März berichtet.
Verteidigung forderte Freispruch
„Das kann zu einem Zeitpunkt gewesen sein, als sie das Erlebte noch verdrängt hat“, gab die Sachverständige zu verstehen. Dass es Opfern nicht gelinge, Distanz zu den Tätern zu gewinnen, komme immer wieder vor. Die 25-Jährige erklärte am Mittwoch, dass sie sich nicht an einen späteren Besuch bei dem Täter erinnern könne.
Richter Wolf wollte von dem Angeklagten wissen, was ihn dazu bewog, mit Anfang 20 in die Familie seiner Opfer einzuziehen – die Zustände dort seien schließlich prekär gewesen, unterstrich der Richter im Hinblick auf die Verwahrlosung, die beengten räumlichen Verhältnisse und die zwischenzeitlichen Absichten des Jugendamtes, der Mutter die Kinder zu entziehen.
„Ich weiß es selbst nicht, aber was anderes wäre auch nicht besser gewesen“, sagte der 36-Jährige.
Staatsanwältin Annemarie Wied plädierte für eine Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren. Die Aussagen der 25-Jährigen würden gestützt durch die Schilderungen zweier weiterer Schwestern – und das, obwohl die drei Schwestern untereinander wenig Kontakt hätten, so die Staatsanwältin. Negativ wirke sich für den Angeklagten die Brutalität aus, die er bei seinen Taten gezeigt habe. Wied machte deutlich, dass sich die 25-Jährige in ihrem Leben nie ganz von ihren traumatischen Erlebnissen erholen wird.
Dem Plädoyer der Staatsanwältin schloss sich die Anwältin der 25-Jährigen vollumfänglich an: „Sie hat ihr Leben zerstört bekommen.“
Urteil regungslos angenommen
Freispruch forderte hingegen der Verteidiger des Angeklagten. Es sprächen nur Indizien gegen den Angeklagten, begründete Zweifel an seiner Schuld blieben. Außerdem habe eine weitere Schwester der Opfer behauptet, zwischen 1999 und 2003 nichts Ungewöhnliches in der Familie bemerkt zu haben.
Richter Wolf folgte dem Plädoyer der Staatsanwältin und verurteilte den Angeklagten zu einer zehnjährigen Haftstrafe. „Ein Geständnis wäre eine unendliche Erleichterung für das Opfer gewesen“, betonte Wolf gegenüber dem Angeklagten, der die Vorwürfe bestritt. Der 36-Jährige nahm das Urteil regungslos zur Kenntnis.