Bad Laasphe/Netphen. Auto- und Lkw-Fahrer aus Wittgenstein mit Ziel Siegerland müssen bald wohl lange Umwege in Kauf nehmen. Hier die Details zur geplanten Baustelle.

Susanne Linde aus Feudingen ist Lehrerin an der Gesamtschule Siegen-Eiserfeld. Seit mehr als 30 Jahren pendelt sie täglich ab 6.45 Uhr von ihrem Wohnort eine Stunde lang dorthin – über die L 719 über Netphen. Doch die Landstraße könnte demnächst zwischen Siegquelle und Walpersdorf für längere Zeit komplett gesperrt sein – und die Umleitung für Linde eine halbe Stunde Umweg bedeuten. „Ich habe schon schlaflose Nächte, wenn ich dran denke“, bekennt die Lehrerin im Gespräch mit unserer Redaktion.

Das sagt die Pendlerin

Ab dem Spätsommer müssen sich Auto- und Lkw-Fahrer im Verlauf der wichtigen Verbindung zwischen Wittgenstein und Siegerland auf eine Baustelle einstellen: Der Abschnitt zwischen Siegquelle und Walpersdorf soll nach und nach auf insgesamt rund vier Kilometern saniert werden – und zwar unter Vollsperrung.

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„Da ist unheimlich viel Betrieb“, erlebt Linde bei ihren Fahrten auf der L 719. Viele Pendler wie sie selbst, aber auch Busse, viele Lkw, Sonderfahrten mit Kindern zu Förderschulen im Siegerland seien da unterwegs. Oder auch eilige Rettungswagen auf dem Weg in eine Siegener Klinik. „Und ich kann mir nicht vorstellen, wie das drei, vier Jahre lang mit Umleitung gehen soll.“ Umgeleitet werden sollen Auto- und Lkw-Verkehr laut Landesbetrieb Straßen NRW über die parallele B 62 via Erndtebrück und Netphen. Und da sei es vom Verkehr her ja „ohnehin schon voll“, so Linde. Aber auch der Weg von der Siegquelle über die L 722 durch Hainchen Richtung Siegen bringe ihr nichts, sagt die Lehrerin. Zu kurvenreich, viele Raser, breite Holzlaster. Und das dann im Winter?

Ein Fehler wie die Brücke in Lüdenscheid

Susanne Linde, Lehrerin, zur Situation aufder L 719: „Da ist unheimlich viel Betrieb. Und ich kann mir nicht vorstellen, wie das drei, vier Jahre lang mit Umleitung gehen soll.“
Susanne Linde, Lehrerin, zur Situation aufder L 719: „Da ist unheimlich viel Betrieb. Und ich kann mir nicht vorstellen, wie das drei, vier Jahre lang mit Umleitung gehen soll.“ © Eberhard Demtröder

„Eine Zumutung“ sei die geplante Baustelle samt Vollsperrung für alle Verkehrsteilnehmer auf der L 719, findet Linde. „Das gibt nur Ärger.“ Und die Linienbusse auch über die ohnehin schmale Eisenstraße und die volle B 62 zu schicken – da seien Unfälle doch schon vorprogrammiert. Das sei „genauso ein Fehler wie mit der Brücke in Lüdenscheid oder der B 62 bei Niederlaasphe“.

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Warum der Verkehr nicht per Ampel einspurig durch die Baustelle schicken? So fragt Linde. Und wenn das nicht gehe, „dann sollten sie’s ganz lassen“ mit dem Ausbau – und die Fahrbahn erst einmal ausbessern. Denn „so schlecht sei die Straße gar nicht“.

Das sagt der Landesbetrieb

„Der aktuell schlechte Zustand der Fahrbahn und der zu enge Straßenquerschnitt machen die Arbeiten notwendig“, erläutert Julia Ollertz, Sprecherin beim Landesbetrieb Straßen NRW, Regionalniederlassung Südwestfalen in Netphen. Ursprünglich sollten sie schon im vergangenen Jahr anlaufen, dann im Mai 2023. Doch erst seit Mai habe der Landesbetrieb das Baurecht, „nachdem alle Genehmigungen eingegangen waren“. Darüber hinaus müssten derzeit „die Ausschreibungsunterlagen für die Baumaßnahme angepasst werden“, so Ollertz. Ein Aspekt dabei liege in der zum 1. August 2023 gültigen Ersatzbaustoffverordnung, die maßgeblichen Einfluss auf die Bautechnik habe. Es handele sich grundsätzlich „um eine baulogistisch herausfordernde Maßnahme, die entsprechender Sorgfalt bedarf“.

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Stichwort: Ersatzbaustoffverordnung

Mit der Ersatzbaustoffverordnung des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit sollen ab 1. August bundeseinheitlich und rechtsverbindlich Anforderungen an die Herstellung und den Einbau mineralischer Ersatzbaustoffe (MEB) festgelegt werden. Damit soll der Eintrag von Schadstoffen durch Sickerwasser in den Boden und das Grundwasser begrenzt und Verunreinigungen ausgeschlossen werden.

Mineralische Ersatzbaustoffe im Sinne der Verordnung sind unter anderem Bodenmaterial, Recycling-Baustoffe aus Bau- und Abbruchabfällen, bestimmte Schlacken aus der Metallerzeugung und Aschen aus thermischen Prozessen.

Die aktuellen Planungen beziehen sich laut Ollertz nur auf den ersten, etwa 1,7 Kilometer langen Bauabschnitt vom Ortsausgang Walpersdorf Richtung Wittgenstein bis hinter die zweite scharfe Kurve nach dem Kohlenmeiler. Für die Bauabschnitte 2 und 3 bis hinauf zur Siegquelle bemühe sich der Landesbetrieb gerade um Baurecht.

Kosten: rund 3,5 bis 4 Millionen Euro

Der erste Bauabschnitt habe eine Bauzeit von etwa anderthalb Jahren, so Julia Ollertz – und für die anderen Bauabschnitte sei bislang „noch gar keine Bauzeit genannt worden“. Momentan kalkuliere der Landesbetrieb mit Kosten von etwa 3,5 bis 4 Millionen Euro – allein für den ersten Abschnitt.

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Wäre es denn denkbar, die Strecke zumindest frühmorgens, spätnachmittags und an Wochenenden offenzuhalten, wie von Politikern aus Netphen angeregt? Antwort des Landesbetriebs: Eine vorübergehende Öffnung der Strecke sei „schon aufgrund des sehr schmalen Querschnitts“ und „der Verkehrssicherheit nicht möglich“. Außerdem: „Wir befinden uns hier in einem schmalen Korridor, der beidseitig durch ein Wasserschutzgebiet eingegrenzt wird“. Das bedeute: „Die Herstellung von Umfahrungen sind rechtlich nicht möglich.“ Damit wäre wohl auch die Baustellen-Ampel hinfällig.

Blick von der Siegquelle aus auf die L 719 hinunter nach Walpersdorf. Hier soll schon ab Spätsommer gebaut werden – unter Vollsperrung. Pendler müssten lange Umwege in Kauf nehmen.
Blick von der Siegquelle aus auf die L 719 hinunter nach Walpersdorf. Hier soll schon ab Spätsommer gebaut werden – unter Vollsperrung. Pendler müssten lange Umwege in Kauf nehmen. © Eberhard Demtröder

Einschränkungen im Busverkehr

Von einer Vollsperrung der L 719 wäre auch die Schnellbus-Linie SB5 von Bad Laasphe über Netphen nach Siegen betroffen. Ein „Ersatzkonzept“ für die Busverbindung werde derzeit erstellt, sagt Christian Kniep, beim Zweckverband Personennahverkehr Westfalen-Süd (ZWS) auch für die Qualität in der Angebotsplanung zuständig. Der Zweckverband kümmert sich um die Planung, Organisation und Ausgestaltung des Busverkehrs in Siegen-Wittgenstein.

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Final sei da aber noch nichts, betont Kniep. Es gebe „mehrere Optionen, aber keine favorisierte“. Auf jeden Fall werde die Baustelle mit Einschränkungen für die Fahrgäste verbunden sein und „Einschnitte für einige Linienabschnitte“ bedeuten. Auch mit Blick auf Personalmangel bei den Busfahrern gelte es abzuwägen, welche Abschnitte „wir dann noch aufrechterhalten“.

Direktverbindung aufgeben – oder Umleitung fahren

Denkbar wäre es zum Beispiel, die Direktverbindung aufzugeben und an den beiden Enden der Straßenbaustelle Wendemöglichkeiten für die Busse einzurichten. Eine direkte Verbindung sei zwar alternativ auch mit der Rothaarbahn (RB 93) und der Oberen Lahntalbahn (RB 94) von Bad Laasphe über Erndtebrück ins Siegerland möglich, doch das dauere samt Umsteigen in Erndtebrück länger als mit dem Bus, weiß Kniep. Und von einem Ort wie etwa Volkholz direkt an der L719 komme man damit auch nicht weiter.

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Eine Variante, bei der die SB5 von der Siegquelle über die Eisenstraße und Hilchenbach nach Netphen fahre, hat laut Kniep „den Nachteil, dass gewisse Teile von Netphen nicht mehr bedient werden“.

Genutzt werde der Schnellbus von Schülern und Studenten, er sei aber auch ein wichtiges Angebot für Wittgensteiner mit einem Fahrtziel im Siegerland. Allerdings gebe es gerade in Wittgenstein bei der Nachfrage nicht so viel Potenzial wie im Siegerland.

Was die Dauer der Baumaßnahme auf der L 719 betrifft, richtet sich die ZWS auf insgesamt fünf Jahre ein.