Christianseck. Junge Kitze sind im hohen Gras den Mähmaschinen der Landwirte ausgeliefert. Wir waren bei einem Rettungseinsatz der ehrenamtlichen Helfer dabei.
Es ist sechs Uhr morgens. Auf den Wiesen am Waldesrand in Christianseck ist es ruhig, nur die Vögel zwitschern. Die Sonne strahlt bereits über den Berg und hüllt alles in ein warmes, goldenes Licht. Es ist noch früh, aber eine Gruppe hat sich am Wegesrand versammelt. Die Kitzretter Elsoff treffen sich zum Arbeitseinsatz. Die ehrenamtlichen Helfer haben es sich zur Aufgabe gemacht, Kitze vor dem Mähtod zu retten. „Wir sind jetzt im dritten Jahr unterwegs“, sagt Nina Grenz, Ortsvorsteherin in Elsoff und Mitgründerin bei den Kitzrettern.
Im Mai und Juni bekommen die meisten Rehe ihre Jungen. Die Ricken, die weiblichen Rehe, legen ihre Kitze auf den Wiesen ab, um sie vor Feinden zu schützen. Im hohen Gras sind die Jungtiere nicht zu sehen. Die Mutter ist in der Nähe und kommt zum Säugen zurück. Allerdings überschneidet sich die Setzzeit der Rehe mit der Mahd. Die Maschinen der Landwirte sind eine tödliche Gefahr für den tierischen Nachwuchs.
Mit einer Drohne mit Wärmebildkamera sind die Kitzretter auf der Suche
Ein Surren durchbricht die Stille, eine Drohne hebt ab. „Viele gehen mit ihren Hunden über die Wiese und suchen nach Kitzen, aber die Drohne ist die beste Möglichkeit“, erklärt Nina Grenz. „Die Landwirte sagen uns Bescheid, bevor sie mähen und wir fliegen dann“, so die Elsofferin. Mit einer Wärmebildkamera an der Drohne wird die Wiese über das kleine Display an der Fernsteuerung abgesucht. Im schwarz-weißen Wärmebild-Modus sind die Kitze durch kleine schwarze Punkte zu erkennen. Je dunkler die Farbe, desto mehr Wärme. Die Punkte sind klein und schwer zu erkennen, aber die drei anwesenden Kitzretter wissen, wonach sie suchen.
Insgesamt 14 Mitglieder zählt die Gruppe der ehrenamtlichen Helfer, die jetzt auch Pullover und T-Shirts mit dem neuen Logo der Kitzretter Elsoff tragen: ein Kitz in einer Wiese, über dem eine Drohne fliegt. Dann entdeckt Jonas Winnebald einen Punkt auf der Wiese. Er wechselt von der Wärmebild-Ansicht zum normalen Kamera-Modus. Im Gras ist etwas Braunes zu entdecken: Das könnte ein kleines Kitz sein. Der erste Einsatz an diesem Morgen.
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Los geht es auf die Wiese, das Gras reicht bis über die Knie und ist noch feucht vom Tau. Der Drohnenpilot bleibt zurück, um die Drohne nach erfolgreicher Rettung wieder zu landen. Er gibt Anweisungen, in welcher Richtung das Kitz liegt. Die Entfernung ist nicht so weit, so können sich die Kitzretter zu rufen. Sonst kommen Walkie-Talkies oder das Handy zum Einsatz. Dann die Erkenntnis: „Hier hat nur jemand gebuddelt“, sagt Max Weber. Der Fleck auf dem Feld ist nur ein Erdhaufen.
Fiep-Geräusche werden nachgeahmt, um die Mutter zum Kitz zu locken
Auf der benachbarten Wiese entdeckt Jonas Winnebald mit der Drohne eine Ricke. Vielleicht hat sie ihr Kitz in der Wiese abgesetzt. Mit einem Quietscher wird das Fiepen der Kitze nachgeahmt. „Ein Geräusch, als wenn dem Kitz etwas passiert wäre. Die Ricke kommt dann, um das Kitz zu holen“, erklärt Jonas Winnebald. Das Reh aber reagiert auf die Geräusche nicht. „Sie hat noch nicht gesetzt“, schließt Max Weber. „Die älteren Rehe haben bereits gesetzt, die jüngeren noch nicht“, erklärt er weiter.
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Beim ersten Schnitt der Landwirte hatten die Kitzretter besonders viel zu tun: „Wir waren zwei Tage am Stück im Einsatz. Zum Teil haben wir nur zwei Stunden geschlafen, weil alle auf einmal Mähen wollten“, erklärt die Ortsvorsteherin. Die Arbeitseinsätze erledigen die Helfer in ihrer Freizeit, wer Zeit hat, kommt mit.
Tierschutz steht an erster Stelle
Jonas Winnebald entdeckt auf dem Display wieder einen Punkt. Etwas ist im Gras und es bewegt sich. Mit Kisten, in denen die Kitze gefangen werden, gehen die Helfer los. Die Kitzretter nähern sich der Stelle an der das Kitz vermutetet wird. „Links von euch, noch etwa drei Meter“, ruft Jonas Winnebald den anderen zu. Auf einmal rennt eine Wildkatze durchs hohe Gras in den angrenzenden Wald. „Das ist auch selten“, sagt Max Weber und lacht: „Immerhin ein Lebendfund.“
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Die drei Kitzretter fahren weiter zur nächsten Wiese. Die Sonne steht mittlerweile etwas höher und es wird wärmer. Die Drohne hebt erneut mit einem Surren ab. „Für mich steht der Tierschutz an erster Stelle“, erklärt Nina Grenz, warum ihr die Kitzrettung so wichtig ist. „Warum sollen die Tiere in der Wiese bleiben und tot gemäht werden?“
„Wir sind auch Jäger, dazu gehört auch die Hege und Pflege: Tiere füttern, pflegen und auch retten. Und wir helfen den Landwirten. Denn ihnen droht eine Strafe, wenn sie ein Kitz mähen“, sagt Max Weber. Wenn ein Landwirt ein Kitz beim Mähen tötet, kann das eine Geldstrafe oder sogar eine Freiheitsstrafe als Folge haben. Es ist ein Verstoß gegen das Tierschutzgesetz. Ohne Grund darf kein Wirbeltier getötet oder ihm unnötig Schmerzen oder Leid zugefügt werden.
Kitze nie mit der Hand anfassen
Jonas Winnebald hat mit der Drohne wieder eine Ricke entdeckt und vermutet zwei Kitze im Gras – ein ganzes Stück die Wiese herunter. Mit zwei Kisten ausgestattet machen sich die Kitzretter wieder auf den Weg über einen Zaun, durch das hohe Gras. Über das Handy gibt Jonas Winnebald Richtungsangaben weiter. Und tatsächlich: Im hohen Gras kaum zu erkennen, liegt ein kleines Kitz. Eine der beiden Kiste wird mit Gras ausgelegt. „Auch wegen des Geruchs“, erklärt Max Weber. Anfassen dürfen sie die Kitze nur mit Gummihandschuhen und Grasbüscheln in den Händen. Denn das Kitz darf nicht den Geruch des Menschen annehmen. Kitze haben keinen Eigengeruch, so sind sie vor Feinden geschützt. Nimmt das Kitz jedoch einen Fremdgeruch an, wird es von der Mutter nicht mehr angenommen und nicht weiter gesäugt.
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Das Kitz wird gepackt. Es fängt sofort an zu fiepen, laut und schrill halt es über die Wiese. Schnell wird es in die Kiste gesetzt. „Die ganz Kleinen laufen nicht weg, die Größere schon“, sagt Nina Grenz. Das liegt am Drückinstinkt: Die Jungtiere fliehen nicht, sonder verharren an Ort und Stelle. „Auch weil sie beim Wegrennen die Feinde, wie zum Beispiel einen Fuchs, auf sich aufmerksam machen“, sagt Max Weber.
Die Jungtiere werden nach dem Mähen wieder freigelassen
Einige Meter weiter wird nach Anweisungen vom Drohnenpilot das zweite Kitz entdeckt und gerettet. „Der Landwirt mäht jetzt sofort und lässt die Kitze danach wieder frei“, sagt Nina Grenz. Die Kisten werden am Rand der Wiese abgestellt und der Landwirt informiert. „Die Rieke bleibt in der Nähe und holt die Kitze sobald sie wieder frei sind ab“, erklärt Max Weber.
Zur Setzzeit sollten auch Hunde im Wald und an Feldern an der Leine geführt werden. Wenn sie frei über die Wiese rennen, besteht eine Gefahr für die Kitze – vor allem bei Hunden mit Jagdtrieb. Die Kitzretter Elsoff werden in den kommenden Wochen noch weiter auf Kitzsuche sein. „Wir haben dieses Jahr bereits mehr als 20 Kitze gerettet“, sagt Nina Grenz und die Saison ist noch nicht vorbei.
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