Bad Berleburg/Schanze. Kritiker sorgen sich um drohende Inzucht im bedeutenden Artenschutzprojekt. Ohne Herdenmanagement droht eine schwer zu kontrollierende Situation.
Das erste frische Grün lockt sie an: Die frei im Rothaargebirge umherstreifende, aber vor allem auch heftig umstrittene Wisentherde ist wieder auf verboten Pfaden unterwegs. Am Dienstag vergangener Woche waren die Wildrinder auf einer Wiese nahe dem Schmallenberger Ortsteil Schanze gesichtet und fotografiert worden.
Das Besondere dabei ist nicht der Ort. Die Wälder zwischen Kühhude und Schanze gehören quasi zum Hauptstreifgebiet der Tiere und auch bei der Stadt Schmallenberg sind bislang keine Beschwerden wegen der Wisente eingegangen. Das Besondere ist die Zahl der Tiere: 29 zählt ein Beobachter, der nicht genannt werden möchte. Der politische und juristische Streit um die Herde ist so aufgeladen, dass er seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will.
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Die in einem öffentlich-rechtlichen Vertrag über das Artenschutz und Auswilderungsprojekt einmal festgesetzte Obergrenze von 25 Tieren hat die aktuelle Herde schon längst überschritten. Das war auch in der Vergangenheit immer wieder einmal der Fall, konnte aber durch natürliche Verringerung und in Einzelfällen auch durch Abschüsse von Bullenkälbern immer wieder korrigiert werden. Dadurch, dass der Trägerverein die Tiere einseitig als „herrenlos“ erklärt hat, kümmert er sich nicht mehr um das Herden-Management.
Brisante Situation am Rothaarsteig
Brisant ist in diesem Zusammenhang eine Schreiben des ehemaligen Projektbegleiters Uwe Lindner. Der Wildbiologe und Wisent-Experte, der nach Auseinandersetzungen mit dem Vorstand des Trägervereins, entlassen wurde, berichtet dieser Zeitung folgendes: „Fest steht: Der Wisent-Bestand ist bereits mindestens auf 35 Tiere angewachsen. In wenigen Monaten werden es 45 Tiere oder mehr sein, denn die geschlechtsreifen Wisentkühe sind bereits wieder trächtig.“
Dabei sind nicht nur die schlichte Zahl der Wildrinder und die deswegen zu erwartenden Schälschäden ein Problem. Wisente leben in vergleichsweise kleinen Herden, die sich ab einer Zahl von 25 bis 30 teilen. Eine neue Herde wäre außerdem gezwungen, sich ein neues Territorium zu suchen. Das würde ein künftiges Herden-Management, dass nicht nur von Kritikern gefordert wird, deutlich schwerer machen.
Inzucht durch fehlendes Herdenmanagement befürchtet
Lindner wirft im Zusammenhang mit der Herde auch weitere Fragen auf: So sei es für die Vermeidung von Inzucht wichtig, die jungen Tiere einzufangen, ihre Abstammung zu klären und sie in einem Herdbuch zu registrieren. Auch dies sei ohne Herden-Management nicht leistbar und hätte im Winter durch eine Lenkungsfütterung der Herde an einem geeigneten Ort passieren müssen.
Um die juristischen Konflikte, die durch die Wisente zwischen klagenden Waldbauern, dem Trägerverein und anderen Projektbeteiligten entstanden sind, zu schlichten, hat ein „Runder Tisch“ im Februar dieses Jahres seine Arbeit aufgenommen. Die ehemaligen NRW-Umweltminister Johannes Remmel (Grüne) und Ursula Heinen-Esser (CDU) sollen als Moderatoren Lösungsmöglichkeiten finden. Die Beteiligten haben sich zu Stillschweigen verpflichtet.
Runder Tisch will diese Fragen klären
„Alle von Ihnen aufgeworfenen Fragen werden im Rahmen des Runden Tisches behandelt. Dieser hat für die Dauer seiner Arbeitsphase Vertraulichkeit vereinbart. Daher können wir Ihnen, wie zu Beginn des Prozesses kommuniziert, aktuell keine weiteren Auskünfte geben. Das ist erst wieder möglich, wenn der Runde Tisch seine Arbeit abgeschlossen hat“, heißt es auf Anfrage aus dem Kreishaus in Siegen.