Bad Berleburg/Düsseldorf. BUND, WWF und NABU wollen die freien Wisente im Rothaargebirge schützen – und nehmen das Land NRW in einem offenen Brief in die Pflicht.
Die deutschen Naturschutzbände machen sich gemeinsam für den Schutz der freilebenden Wisentherde im Rothaargebirge stark – und kritisieren jetzt in einem offenen Brief den Umgang des Landes NRW mit der Gemengelage. Dazu haben Sie nun einen offenen Brief an die beiden zuständigen NRW-Ministerien für Landwirtschaft und Umweltschutz das Land verfasst. Den vollständigen Brief finden Sie hier:
„Sehr geehrter Herr Minister Krischer, sehr geehrte Frau Ministerin Gorißen,
das im Jahr 2013 von zivilgesellschaftlichen und behördlichen Naturschutzakteuren in Zusammenarbeit mit örtlichen Grundbesitzern und regionalen Gebietskörperschaften gestartete Vorhaben zur Wiederansiedlung freilebender Wisente im Rothaargebirge befindet sich in Folge rechtlicher Interventionen betroffener Waldbesitzer in einer äußerst schwierigen Lage. Die kaum erfüllbaren Anforderungen von dritter Seite sowie die damit einhergehenden Risiken zwangen den gemeinnützigen Förderverein “Wisent-Welt-Wittgenstein e. V.” als Initiator und Träger des Vorhabens zur Dereliktion, so dass die ohnehin bereits freilebenden Wisente nunmehr als herrenlos zu betrachten sind. Die Unterzeichner dieses Briefes sehen sich außerstande, die Anlässe und Begründungen zu bewerten, die am Ende dazu führten, dass das Vorhaben zur Wiederansiedlung des Wisents im Rothaargebirge dort steht, wo es heute steht.
Lesen Sie auch: Kreistag Siegen-Wittgenstein: Wisente sollen nicht hungern
Wir stellen jedoch fest, dass infolgedessen in den Kreisen Siegen-Wittgenstein und Hochsauerlandkreis seit 2013 eine auf fast 30 Tiere angewachsene Population wildlebender, zum Großteil sogar bereits in Freiheit geborener Wisente existiert. Nach unserer Rechtsauffassung müssen diese außerhalb des Schaugeheges freilebenden Tiere im Sinne des § 7 Abs. 2 Nr. 14 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) als streng geschützt betrachtet werden und ihre Entnahme durch Fang oder Abschuss wäre ein Verstoß gegen geltendes Artenschutzrecht. Der nationale Schutzstatus des Wisents gründet sich insbesondere auf der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie. Demnach handelt es sich um eine Art des gemeinschaftlichen europäischen Interesses und die Mitgliedstaaten sind über den unmittelbaren Schutz der Art hinaus verpflichtet, für deren Erhaltung besondere Schutzgebiete auszuweisen.
Lesen Sie auch: Wisent-Allianz kritisiert Vorgehen des Kreises scharf
Wir sehen daher das Land Nordrhein-Westfalen in Vertretung durch Ihre Ministerien in der Pflicht, die artenschutz- als auch waldpolitischen Maßnahmen zu ergreifen, die geeignet sind, den Fortbestand des Wisentvorkommens im Sauerland und im Rothaargebirge sicherzustellen. Das aktuelle Gutachten der Tierärztlichen Hochschule Hannover zur Freisetzungsphase betont den Erfolg des Wiederansiedlungsprojekts und zeigt Wege auf, wie die Wisente mit weiter optimiertem Management auch weiterhin frei in Deutschland leben können. Die Verantwortung des Landes ergibt sich unserer Einschätzung nach nicht nur aus den oben genannten rechtlichen Notwendigkeiten. Wir sehen vielmehr auch eine ethisch-moralische Verpflichtung des Landes darin, dazu beizutragen, dass die letzten lebenden Vertreter des größten und schwersten Landsäugetiers in Europa eine Zukunft haben.
Lesen Sie auch: BUND: Plädoyer für den Verbleib der freien Wisente
Im Zukunftsvertrag für Nordrhein-Westfalen, auf den CDU und Grüne ihre Regierungstätigkeit gründen, benennen sie die Bewahrung der Schöpfung – neben dem Schutz des Klimas – als eine der größten Aufgaben unserer Zeit. In diese Zielsetzung müssen unseres Erachtens auch die Wisente eingeschlossen werden. Nicht zuletzt hätte ein tatsächliches Scheitern des Projektes eine verheerende Signalwirkung in Richtung anderer nationaler und europäischer Artenschutzprojekte. Sollte es dem Umweltministerium nicht gelingen, für diese vergleichsweise kleine Herausforderung eine adäquate naturschutzpolitische und -fachliche Lösung zu finden, so haben wir ernsthafte Zweifel daran, dass Ihnen die Lösung der wirklich gravierenden und komplexen gesellschaftlichen Herausforderungen bei der Bekämpfung der Biodiversitätskrise gelingt.
Lesen Sie auch: Verwaltungsgericht: Weder Kreis noch Wisentverein als Sieger
Sie können versichert sein, dass wir als starke und auch international in Wisent-Wiederansiedlungen erfahrene zivilgesellschaftliche Akteure des Arten- und Naturschutz Sie gerne im Rahmen unserer Möglichkeiten bei der Bewältigung der regionalen Konflikte und Herausforderungen des Wisentmanagements unterstützen. Sie können aber ebenso versichert sein, dass wir die uns zur Verfügung stehenden medialen und nötigenfalls auch rechtlichen Mittel nutzen werden, damit die Wisente in Nordrhein-Westfalen eine Zukunft haben. Im Zeitalter des größten Artensterbens ist die Wiederansiedlung von Arten ein wichtiger Baustein, um nicht nur die Art zu erhalten, sondern auch um ihre wichtige und multidimensionale Funktion in einem Ökosystem zu nutzen.
Lesen Sie auch: Wisent-Allianz steht für Winterfütterung der Wisente bereit
Dies gilt im besonderen Maße für den Wisent. Generell führte das Verschwinden des Wisents und anderer großer Pflanzenfresser zu einem direkten und indirekten Verlust an Biodiversität in Europa. Lassen Sie uns gemeinsam eine Lösung dafür finden, dass sich wieder in Westeuropa die erste freilebende Wisentherde in NRW etabliert. Dies wäre ein wichtiges Signal für den nationalen Artenschutz, das international große Beachtung finden würde. Einer Antwort auf die Frage, wie Ihre Häuser zur Lösung der Situation beitragen werden, sehen wir bis 22. Januar 2023 entgegen.
Gezeichnet: Jörg-Andreas Krüger (NABU-Präsident), Christoph Heinrich (Geschäftsführender Vorstand WWF), Deutschland Dr. Heide Naderer (NABU-Landesvorsitzende) und Holger Sticht (BUND-Landesvorsitzender).“
Statement
In einem dazugehörigen Statement wird auch die Weltnaturkonferenz in Kanada verwiesen: „Während die Vertragsstaaten auf der Weltnaturkonferenz in Kanada um Vereinbarungen zu wirksamen Maßnahmen gegen das massive Artensterben gerungen und den Schutz der Biodiversität neben dem Klimaschutz als die zentrale Aufgabe für den Erhalt unserer Lebensgrundlage erneut bekräftigt haben, zeigt das Land Nordrhein-Westfalen einmal mehr wie wenig Interesse es am Schutz und Erhalt der Artenvielfalt hierzulande hat. So sieht es sich weiterhin nicht in der Verantwortung, sich für den Schutz der einzigen freilebenden und mittlerweile herrenlosen Wisentherde in Westeuropa einzusetzen.
Der Naturschutzbund (NABU) Deutschland und sein Landesverband in NRW sowie WWF und BUND fordern deshalb jetzt in einem gemeinsamen Brief an die beiden zuständigen NRW-Ministerien für Landwirtschaft und Umweltschutz das Land nachdrücklich dazu auf, seiner rechtlichen sowie ethisch-moralischen Verpflichtung nachzukommen und den Wisenten in NRW eine Zukunft zu sichern. Im Zeitalter des größten Artensterbens sei die Wiederansiedlung von Arten ein wichtiger Baustein, um nicht nur die Art zu erhalten, sondern auch um ihre wichtige und multidimensionale Funktion in einem Ökosystem zu nutzen. Dies gelte im besonderen Maße für den Wisent, dessen Verschwinden in der Vergangenheit zu einem direkten und indirekten Verlust an Biodiversität in Europa geführt habe. Zudem wäre der Erhalt der Herde ein wichtiges Signal für den nationalen Artenschutz, das international große Beachtung finden würde.“