Siegen-Wittgenstein. Der Förderverein der Wisent-Wildnis könnte noch in die Bresche springen. Wenn nicht, wird der Amtstierarzt die Fütterung der Tiere erzwingen.
Die Wisente in Wittgenstein werden nicht verhungern. Der Förderverein „Wisent-Welt-Wittgenstein“ wird vom Kreistag „gebeten“, die Fütterung der Tiere aufzunehmen. Zugleich geht das Veterinäramt den Weg zur Zwangsmaßnahme weiter: Dann würde der Kreis selbst die Fütterung veranlassen und sich das Geld vom Trägerverein Wisent-Welt-Wittgenstein zurückholen, der sich aus dem Auswilderungsprojekt zurückgezogen und die Herde für „herrenlos“ erklärt hat.
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Auf Dauer soll das Land NRW das Wisent-Projekt übernehmen
Der Kunstgriff über den bisher an der Auseinandersetzung nicht beteiligten Förderverein kommt im Kreistag während einer Sitzungsunterbrechung zustande. Eine Mehrheit von 22 gegen 15 Stimmen trägt diesen Versuch einer Lösung, die zumindest über den Winter helfen soll. Beschlossen wird dann auch die Aufforderung an die Landesregierung, „die inhaltlichen, rechtlichen und finanziellen Voraussetzungen für eine dauerhafte Fortführung des Natur- und Artenschutz-Projektes ‘Wisente im Rothaargebirge’ zu schaffen“, „zentrale und staatliche Verantwortung für das Projekt (zu) übernehmen und zur Projektsteuerung einen Projektträger (zu) bestellen“. Ein Runder Tisch aller Beteiligten soll weiter beraten. Bis Ende September 2023 soll feststehen, dass das Projekt entweder fortgeführt oder beendet wird.
Landrat Andreas Müller eröffnet die Wisent-Debatte. Dass die Auswilderung 2010 ohne Beteiligung des benachbarten Hochsauerlandkreises begonnen wurde und das Projektgebiet auf den Kreis Siegen-Wittgenstein begrenzt wurde, sei „ein grundsätzlicher Geburtsfehler“ des Artenschutzprojektes. Der Trägerverein hatte im September angesichts der Regressforderungen für die Wildschäden im Nachbarkreis die Herde für herrenlos erklärt. Seine Verantwortlichkeit sei er damit aber nicht los, so die Sicht der Kreisverwaltung, die der Landrat vertritt.
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Übernahme durch den Kreis würde halbe Million Euro jährlich kosten
„Nicht nachvollziehbar“ sei, dass der Trägerverein der Aufforderung zur Fütterung nicht nachkomme, weil er die gegen ihn gerichteten Regressforderungen nicht auf diese Weise anerkennen wolle. „Das Tierwohl steht für mich an erster Stelle.“ Müller stellt klar, dass der Trägerverein für eine etwaige Fortführung des Projekts „nicht in Frage“ komme, und weist darauf hin, dass inzwischen auch Landwirtschaft und Waldbauern in Siegen-Wittgenstein „allergrößte Bedenken“ vor einer Zukunft mit den Wisenten haben. „Ausdrücklich“ rät Landrat Andreas Müller davon ab, dass der Kreis selbst in das Projekt einsteigt. Im Raum steht der Betrag von einer halben Million Euro, der dafür jährlich aufzubringen wäre.
„Der Verein steht sehr wohl Gewehr bei Fuß“, widerspricht Jutta Capito (CDU) - er müsse eben nur von Regressforderungen freigestellt werden. Siegen-Wittgenstein könne die Wisent-Wildnis verkraften, schließlich sei die Region mit dem millionenschweren Life-Projekt der Biologischen Station Siegen-Wittgenstein im südlichen Siegerland „ein Hotspot des Natur- und Artenschutzes“. „Es ist wichtig, dass die Wisente hier eine Zukunft haben. Was wir nicht wollen“, so die Umweltausschussvorsitzende aber auch, „sind die finanziellen Auswirkungen.“
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Umweltdezernent Arno Wied verweist darauf, dass beim Land Geld für die Winterfütterung bereitstehe – der Verein rufe das aber aus den rechtlichen Erwägungen nicht ab. „Sehr verwundert“ sei der Kreis über die Äußerung von NRW-Umweltminister Oliver Krischer, dass die Verantwortlichkeit für das Wisent-Projekt beim Landrat des Kreises Siegen-Wittgenstein liege. Wied: „Es ist verkorkst.“ Hermann-Josef Droege (CDU) pflichtet bei: „So kommen wir nicht vom Fleck.“
„In der allergrößten Not in den Kochtopf“
„Sich hinter juristischen Dingen zu verschanzen, hilft nicht“, meint Andreas Klein (LKR). Der Kreis müsse vermeiden, selbst in die Verantwortung gezogen zu werden, fordert Ullrich Georgi (Linke): „Wir können uns doch nicht sehenden Auges in eine Situation begeben, die wir nicht beurteilen können.“ Vielleicht könne eine Rest-Herde in einem vergrößerten Freigehege weiterleben, „in der allergrößten Not“ müsse sie eben „im Kochtopf“ enden. Die Wisente seien „Aushängeschild für die Region“, sagt Roland Steffe (AfD): „Die Tiere können am allerwenigsten dafür.“ „Völlig versagt“ habe der Trägerverein, findet Steffe. Jutta Capito (CDU) weist das zurück: Der Verein habe „ganz großes ehrenamtliches Engagement“ gezeigt, er sei aber nicht ausreichend mit Personal und Geld ausgestattet worden.
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Vielleicht reiche ja der Erhalt des Schaugeheges, überlegt Julian Maletz (SPD): „Das ist letztlich das, was die Bürgerinnen und Bürger mit dem Projekt verbinden.“ Stephan Hoffmann (CDU) ist ungehalten: Deutlich werde, dass die Verwaltung die Wisente nicht wolle. „Machen Sie es nicht so auffällig.“ Dass die Kommunalpolitiker „bis in die Nacht mit Monologen traktiert“ würden, sei „eines Kreistags nicht würdig“.
Amtstierarzt wird Winterfütterung erzwingen
Dr. Ludger Belke, Leiter des Veterinäramts, weist darauf hin, dass von einer „Wiederansiedlung“ der Wisente nie die Rede sein konnte. „Die Flachland-Wisente haben hier nie gelebt. Will man weiterhin hungernde Tiere im Wald stehen haben?“ Und er spricht Klartext: „Ich habe die Verpflichtung als Amtstierarzt, tierschutzrechtliche Maßnahmen zu ergreifen.“ Dem Trägerverein sei die Ordnungsverfügung, die ihn zur Fütterung der – laut Verwaltung – „mindestens 34“ Tiere verpflichte, angekündigt worden. Der Verein habe dazu Stellung genommen, ein Einverständnis zeichne sich nicht ab. „Das führt unweigerlich zur Ersatzvornahme.“ Beauftragt werden könnten damit die beiden Ranger des Vereins, schlägt Jutta Capito (CDU) vor: „Das Futter ist da.“ Auf die Sitzungsunterbrechung folgt die Abstimmung. Ergebnis: siehe oben.
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